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"Und dann lebten sie glücklich bis ans Ende ihrer Tage" – viele Kinder kennen diesen Satz aus Märchen. Der Prinz und die Prinzessin haben sich endlich gefunden, sind verliebt und gründen eine Familie. Die Realität sieht jedoch oft anders aus: Eltern trennen sich. Im Jahr 2018 waren laut Angaben von Statistik Austria gut 12.900 Minderjährige in Österreich von der Scheidung ihrer Eltern betroffenen. Das sind zwar weniger als einige Jahren davor, doch darf man dabei nicht vergessen, dass die Heiratsquote hierzulande seit Jahren sinkt und viele Männer und Frauen heute Familien gründen, ohne verheiratet zu sein. Ihre Trennungen kommen in der amtlichen Bundesstatistik nicht vor. Insgesamt dürften in Österreich also sehr viel mehr Kinder von der Trennung beziehungsweise Scheidung ihrer Eltern betroffenen sein.

Wie geht es also Kindern, wenn sich ihre Eltern trennen? Was können Mutter und Vater tun, um die Auswirkungen auf ihr Kind so gering wie möglich zu halten? Wie wichtig ist das Engagement des Vaters? Und kann die Trennung vielleicht auch positive Folgen haben?

Unmittelbare Auswirkung

Fragen, die auch die Wissenschaft beschäftigen. Gibt man die Wörter divorce (zu Deutsch: Scheidung) und seperation (zu Deutsch: Trennung) bei Pubmed ein, einer der international größten Online-Forschungsdatenbanken, liefert diese über 8.000 Treffer. Die ältesten Studien stammen aus den 1930er-Jahren. Seitdem häufen sich die Hinweise darauf, dass sich die Trennung der Eltern negativ auf die Entwicklung von Kindern auswirkt. Welche Folgen das sind, haben inzwischen mehrere Übersichtsarbeiten zusammengefasst. Ihr Ergebnis: Kinder von Scheidungseltern schneiden in der Regel schlechter in der Schule ab, nehmen mehr Drogen, sind häufiger übergewichtig und haben tendenziell mehr psychische Probleme wie Depressionen oder eine Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).

Ergebnisse, die eine aktuelle Arbeit aus dem Jahr 2018 für Deutschland bestätigt. Für die Untersuchung hat ein Forscherteam um die Wissenschafterin Esther Geisler von der Hertie School of Governance in Berlin die Daten verschiedener repräsentativer Befragungen sowie Daten des Mikrozensus und der Deutschen Rentenversicherung ausgewertet und zusammengefasst. Ihr Fazit: Kinder aus Trennungsfamilien machen sich nicht nur häufiger Sorgen und sind niedergeschlagen, sie berichten auch öfter über Ängste, sind häufiger unkonzentriert, wütend und aggressiv. Ob Gefühle wie Wut und Angst eine Folge der Trennung sind, lässt sich nicht sagen.

Eine Frage des Geldes

"Obwohl inzwischen zahlreiche Studien darauf hinweisen, dass sich Scheidung und Trennung der Eltern negativ auf die Kinder auswirkt und dies auf den ersten Blick sehr plausibel wirkt, lässt sich aus den Untersuchungen kein direkter Zusammenhang ableiten", sagt Alexandra Langmeyer, Leiterin der Fachgruppe Lebenslagen und Lebenswelten von Kindern vom Deutsches Jugendinstitut in München. In Deutschland seien viele Alleinerziehende beispielsweise besonders häufig von Armut betroffen und bezögen Sozialhilfe. "Wer am Monatsende jedoch immer fürchten muss, kein Geld mehr für den Einkauf zu haben, steht nicht nur unter finanziellem, sondern meist auch unter psychischem Druck", so Langmeyer – ein Druck, der häufig an die Kinder weitergegeben werde.

Eine Vermutung, die die Statistik bestätigt: Als die Autorinnen und Autoren der Übersichtsarbeit der Hertie School of Governance soziodemografische Faktoren wie die finanzielle Situation aus den Daten herausrechneten, war der Unterschied zwischen Kindern, deren Eltern sich getrennt hatten, und denen, die mit ihren Eltern zusammenlebten, gar nicht mehr so groß.

Änderung gestalten

Der italienische Wissenschafter Vittorio Carlo Vezzetti kommt in einer Übersichtsarbeit, die 2016 im Fachblatt "Health Psychology Open" erschienen, zu einem ähnlich Ergebnis. Ein Großteil der Studien weise zwar darauf hin, dass sich die Scheidung der Eltern negativ auf das Kind auswirkt, schreibt er. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Trennung an sich die Probleme verursache. Entscheidender sei, dass die Trennung die gesamten Lebensumstände der Familie ändert – und das betreffe nicht nur die finanziellen Ressourcen, sondern auch die emotionale Verfügbarkeit der Eltern, die durch die Anforderungen der Trennung den Blick für die Bedürfnisse ihres Kindes verlieren, sowie das soziale Klima der Familie, also die Tatsache, dass in Trennungsfamilien oft auch schon vor der Trennung viel gestritten wurde.

Der Familiensoziologe Paul R. Amato von der Universität von Pennsylvania in den USA warnte daher bereits im Jahr 2010 in einer Studie davor, sich nicht nur auf die "durchschnittlichen Auswirkungen einer Scheidung" zu konzentrieren, da diese die individuellen Anpassungsleistungen der betroffenen Kinder verdecke.

Gut verkraften

Viele Forscherinnen und Forscher beschäftigen sich heute daher weniger mit der Frage, welche negativen Auswirkungen Trennungen auf Kinder haben, sondern sie untersuchen, was es braucht, damit sie diese gut verkraften.

Denn dass die Trennung der Eltern für Kinder schmerzhaft ist und dass dieser Schmerz aufgefangen werden muss, steht außer Frage. "So gibt es beispielsweise immer wieder Fälle, in denen die Eltern sich im Streit trennen und ihren Kindern nicht ausreichend erklären, warum die Mutter oder der Vater geht", berichtet Torsten Andersohn, der seit beinahe 30 Jahren als Familientherapeut und Erziehungsberater in Berlin arbeitet. Das Problem dabei: "Kinder, denen nicht erklärt wird, warum der geliebte Vater oder die geliebte Mutter auszieht, suchen die Schuld in der Regel bei sich; sie fühlen sich von dem fortgehenden Elternteil im Stich gelassen und lernen, dass Auseinandersetzungen existenziell bedrohlich sind."

Für Andersohn bringen derartige Trennungen daher oft gefährliche "blinde Entwicklungen" mit sich, bei denen Eltern ihre Kinder nicht ausreichend Halt geben und mitnehmen – und ja, solche Trennungen wirkten sich meist negativ auf die Entwicklung des betroffenen Kindes aus. Deshalb sei es so wichtig, dass Eltern ihren Kindern deutlich machten, dass sie sich zwar als Paar trennen, aber weiterhin Eltern bleiben.

Konzept Coparenting

In der Forschung hat sich hierfür der Begriff des Coparenting etabliert, also die Kooperationsfähigkeit von Mutter und Vater in der Elternrolle. Wie wichtig diese ist, bestätigt eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015. Für diese hat der Psychologe Diogo Lamela da Silva von der Universität Porto in Portugal mit seiner Kollegin Barbara Figueiredo von der Universität Minho die Studien zum Coparenting analysiert, die zwischen Jänner 2000 und Oktober 2014 veröffentlicht wurden. Diese zeigten, dass Kinder, deren Eltern nach der Trennung in der Erziehung gut miteinander zusammenarbeiten, deutlich weniger Verhaltensprobleme aufweisen als solche, deren Eltern sich häufig stritten oder sich gegenseitig in ihrer Autorität untergruben.

"Arbeiten die Eltern auch nach der Trennung gut zusammen, gibt das den Kindern emotionale Stabilität und sorgt dafür, dass sie sich bei Vater und Mutter sicher fühlen", erklärt Familientherapeut Andersohn. Streitereien zwischen den Eltern brächten Kinder hingegen schnell in Loyalitätskonflikte. Sogenannte "hochstrittige Familien" gelten daher als entscheidender Risikofaktor.

Eine Studie um den Wissenschafter Eivind Meland von der Universität Bergen in Norwegen, die im Jänner 2020 im Fachmagazin "Scandinavian Journal of Public Health" veröffentlicht wurde, zeigt zudem, wie wichtig die Beziehung zum Vater ist. Gut jedes fünfte Kind in Deutschland lebt laut Angaben des Statistischen Bundesamtes nur mit einem Elternteil zusammen. Neun von zehn dieser Kinder leben bei ihrer Mutter.

Toxische Loyalitätsfragen

Für die norwegische Untersuchung hat Meland mit seinem Team 1.225 Jugendliche in einem Zeitraum von zwei Jahren zwischen 2011 und 2013 befragt. Das Ergebnis: Jugendliche, die Angaben, kaum, wenn nicht gar keinen Kontakt zum Vater zu haben oder denen es schwer fiel, nach der Scheidung mit ihm zu sprechen, hatten mehr emotionale und physische Probleme. Darunter: Ängste, Depressionen, Stress sowie Magen- und Kopfschmerzen. Dass die schlechte Kommunikation mit dem Vater ein Resultat der Trennung ist, lässt sich aus der Studie allerdings nicht ableiten. Möglich wäre beispielsweise auch, dass die befragten Jugendlichen schon vor der Trennung kein gutes Verhältnis zu ihm hatten.

Was umgekehrt nicht bedeutet, dass eine gute Beziehung zum Vater nicht wichtig ist. Diese zeichnet sich jedoch nicht dadurch aus, dass Vater und Kind sich jeden Tag sehen oder miteinander telefonieren. "Entscheidend ist nicht die Quantität der gemeinsam verbrachten Zeit, sondern die Qualität", sagt Wissenschafterin Langmeyer. Einzige Ausnahme seien Kinder zwischen null und zwei Jahren. Denn in diesen Jahren entwickelt sich bei Kindern das Bindungsverhalten, und ein regelmäßiger und häufiger Kontakt zu beiden Elternteilen ist von Vorteil. Ansonsten scheint das Alter der Kinder zum Zeitpunkt der Trennung nicht maßgeblich darüber zu entschieden, wie sie die Trennung verarbeiten.

Zwischen Eltern pendeln

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Betreuungsmodelle sich für Kinder am besten eignen. Denn auch wenn in Ländern wie Deutschland nach wie vor das Residenzmodell dominiert, bei dem das Kind die meiste Zeit bei einem Elternteil lebt, geht der Trend Richtung Wechselmodell. Das heißt, auch wenn das Kind hauptsächlich bei der Mutter wohnt, verbringt es dennoch mindestens ein Drittel, wenn nicht gar die Hälfte der Zeit beim Vater – und tatsächlich bestätigt eine Übersichtsarbeit der Forscherinnen Kim Bastaits und Inge Pasteels von der Universität Antwerpen in Belgien aus dem Jahr 2019, dass das Wechselmodell die Chance erhöht, dass Kinder zu beiden Eltern eine gute Beziehung entwickeln, die sogar mit der aus nicht getrennten Familien vergleichbar ist. Für Eltern, die sich viel streiten, oder Familien mit Gewalterfahrungen sei das Modell hingegen weniger geeignet.

"Dazu kommt, dass sich nicht alle Eltern das Wechselmodel leisten können", gibt Familientherapeut Andersohn zu bedenken. Für den Psychologen kommt es deshalb vor allem darauf an, dass sich die Eltern mit dem Modell wohlfühlen und es ihrem Kind authentisch vermitteln. Denn: "Geht es den Eltern gut, dann geht es auch den Kindern gut, und sie sind bereit, sich auf viele Situationen einzustellen", sagt Andersohn.

Emotional sein dürfen

Das heißt jedoch nicht, dass Kinder über die Trennung der Eltern nicht traurig, wenn nicht gar wütend sein dürfen – oder, besser gesagt, sollten: "Denn Kinder, die bei sich zu Hause nicht den Raum bekommen, ihre Gefühle zu äußern, machen diese oft mit sich allein aus, was wiederum zur Entwicklung psychischer Probleme beitragen kann", erklärt der Familientherapeut.

Wutausbrüche lassen sich demnach auch positiv deuten: Sie zeigen, dass das Kind seinen Eltern vertraut und keine Angst davor hat, dass sein Geschrei zu einem Beziehungsabbruch führt. Trennungen können daher durchaus eine positive Wirkung haben: "Sie vermitteln dem Kind, dass Krisen gemeistert werden können", sagt Andersohn. (Stella Marie Hombach, 10.6.2020)