Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft im Griff. Vor allem in der Industrie bleiben Aufträge aus. Das zeigt sich auch in Frachthäfen.

Foto: Imago / allOver / KTH

Die Börsenindizes sind in den vergangenen Wochen wieder steil gestiegen. Die Tech-Börse Nasdaq ist in der Vorwoche im Verlauf sogar über ihren Allzeithoch-Schlusskurs vom Februar geklettert, der Dow Jones stieg am Freitag erstmals wieder über 27.000 Punkte.

Der Grund für die Euphorie am Markt wirft Fragen auf. Denn nicht nur lassen sich die Folgen der Corona-Pandemie nicht genau abschätzen – auch die Frage, wie schnell und stark die wirtschaftliche Erholung vonstattengeht, ist offen. Woher der Optimismus?

In der Vorwoche haben jedenfalls die Zahlen vom US-Arbeitsmarkt mehr als überrascht. Das hat die Rallye angeschoben. Trotz Viruskrise wurden im Mai rund 2,5 Millionen Stellen außerhalb der Landwirtschaft geschaffen. "Die völlige Überraschung", kommentierten Analysten der Nord/LB die Zahlen. Ökonomen hatten nämlich mit einem Abbau von acht Millionen Stellen gerechnet. Die US-Arbeitslosenquote sank damit von 14,7 auf 13,3 Prozent. "Das deutet wahrscheinlich auf eine schnellere Erholung, zumindest auf dem Arbeitsmarkt, hin, als die Menschen erwartet hatten", sagte Stratege Subadra Rajappa von der Société Générale.

Etwas verlangsamt hat sich auch die Talfahrt der US-Dienstleister. Der Einkaufsmanager-Index stieg im Mai auf 45,4 Punkte (davor 41,8). Ökonomen hatten mit einem Anstieg auf 44 Punkte gerechnet, ab einem Wert von 50 wird Wachstum angezeigt.

Starker Einbruch

Der deutschen Industrie hingegen ist das Neugeschäft wegen Corona im Rekordtempo weggebrochen. Sie sammelte im April um 25,8 Prozent weniger Aufträge ein als im Vormonat. Das ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Statistik 1991. Ökonomen rechneten mit einem Minus von 19,7 Prozent, nachdem es bereits im März einen starken Rückgang von 15,0 Prozent gegeben hatte. Dennoch erreichte der deutsche Leitindex Dax auf Wochensicht ein Plus von knapp elf Prozent.

EZB-Chefin Christine Lagarde sagte zuletzt, dass die Konjunktur im Euroraum infolge der Pandemie heuer um acht bis zwölf Prozent schrumpfen werde. In Summe also weder rosige Ausblicke noch aktuelle Hoffnungszahlen.

Für Peter Brezinschek, Chefanalyst der Raiffeisen Bank International (RBI), steckt hinter der Euphorie an den Börsen die liquiditätsgetriebene Erwartungshaltung, "dass die Notenbanken und Staaten jeden wirtschaftlichen Schaden abfedern". Sowohl in der US-Notenbank Fed als auch in der Europäischen Zentralbank (EZB) wird darüber nachgedacht, im Notfall auch Aktien vom Markt aufzukaufen. Auch die Papiere von "fallen angels", also jenen Unternehmen, die von den Ratingagenturen auf einen nicht mehr investierbaren Level ("junk") herabgestuft werden, wollen die Notenbanken möglicherweise kaufen.

"Im Moment haben wir eine Vollkasko-Gesellschaft", sagt Brezinschek. Es wird indiziert, dass jeder wirtschaftliche Schaden infolge der Corona-Pandemie ausgeglichen wird. Diese Haltung ist laut dem RBI-Analysten auf die Finanzmärkte übergesprungen. Die Preis-, Knappheits- und Risikosignale der Börse funktionierten laut Brezinschek nicht mehr.

Wenn die Zahlen für das zweite Quartal auf dem Tisch liegen, werden laut Brezinschek die Einschätzungen zum Konjunkturverlauf besser werden. Eine deutliche Korrektur an den Börsen schließt der RBI-Experte dann nicht aus.

Branchenrotation

Zu beobachten war eine Sektor-Rotation. Zu Beginn der Pandemie performten Aktien aus den Bereichen IT und Gesundheit gut, nun werden zyklische Werte (Chemie, Stahl, Auto, Freizeitindustrie) gesucht. "Anleger glauben hier an eine Erholung", sagt Brezinschek. Diese müsse im zweiten Halbjahr aber bewiesen werden.

Erholt hat sich zum Wochenstart der Ölpreis. Ein Barrel (159 Liter) Brent stieg um 1,3 Prozent auf 42,79 Dollar. Die Börsen haben verschnauft und wenig verändert notiert. Realwirtschaftliche Zahlen prallen derzeit an den Märkten ab. Anleger betrachteten diese Daten als rückwärtsgewandt, sagte Anlagestratege Michael Hewson von CMC Markets. "Die Stimmung wird vom Optimismus über das Wiederhochfahren der Wirtschaft geprägt." (Bettina Pfluger, 9.6.2020)