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Dieses Buch ist dem Erhalt der Artenvielfalt gewidmet – und die Rezension dazu gewissermaßen auch. Die nächste Rundschau wird nämlich unter dem Motto "Rache der Natur" stehen, weil sich da einiges bei mir im Regal angesammelt hat. "Leben" vom deutschen Umweltthriller-Spezialisten Uwe Laub ("Blow Out", "Sturm") würde da wunderbar reinpassen. Aber weil monothematische Ausgaben als Konzept zwar immer total super klingen, in der Praxis dann aber meist ein bisschen fade sind, habe ich lieber auf Abwechslung gesetzt, diesen Titel hier vorgezogen und die nächste Rundschau dafür mit "Unpassendem" aufgelockert.

"Leben" beginnt damit, dass der Deutsche Mark Brenner beim Überfliegen des Kruger-Nationalparks in Südafrika Zeuge eines Massensterbens wird. Hunderttausende Tierkadaver bedecken die Savanne wie ein Teppich der Verwesung. Und es ist nicht nur eine Spezies betroffen: Die gesamte Megafauna liegt im Sterben, Pflanzenfresser ebenso wie Raubtiere. Später werden wir Mark, dessen Hintergrund wir zunächst noch nicht erfahren, auch an andere Katastrophenschauplätze begleiten, etwa zu einem havarierten Containerschiff vor Cuxhaven oder einer Höhle voller toter Fledermäuse auf der Schwäbischen Alb.

Das Leben und die Jahre

Der Arbeitsalltag der zentralen Hauptfigur sieht deutlich unspektakulärer aus: Fabian Nowack klappert im Aufrag eines Pharmaunternehmens Münchener Arztpraxen ab. Auf der Buchrückseite wird er als "junger Pharmareferent" vorgestellt, aber so liest er sich ehrlich gesagt nicht. Seinem Verhalten und seinen Lebensumständen nach würde ich ihn in mittleren Jahren einordnen – die 49 des Autors wären ein guter Richtwert.

Dessen ungeachtet hält die Altersfrage noch eine bittere Pointe bereit: Nach einem Zusammenbruch wird Fabian nämlich attestiert, dass er an einer besonderen Form von Progerie leide und nur noch wenige Jahre zu leben habe. (Wir blicken kurz aufs Buchcover mit der Sanduhr: "Leben" bezieht sich also auf den zentralen Protagonisten ebenso wie auf die Biosphäre.) Überraschenderweise wird Fabian zu einer Studie mit einem experimentellen Heilmittel eingeladen, die ihn retten könnte. Doch obwohl daran auch das renommierte Robert-Koch-Institut beteiligt sein soll, kommen Fabian die Vorgänge in der abgelegenen Klinik zunehmend fischig vor ...

Die Mosaikstücke fügen sich zusammen

Beizeiten lernen wir dann auch Marks Auftraggeber kennen: Philipp von Cronberg, den Vorsitzenden einer humanitären Stiftung. Womit einmal mehr einer der Archetypen des Wissenschaftsthrillers den Plan betritt – der schwerreiche Philanthrop mit Visionen für die Zukunft, bei dem man nicht weiß, ob er zu den Guten oder zu den Bösen gehört. (In aller Regel ist der Typ böse.)

Wenn dieses Kästchen schon abgehakt ist, fragt man sich unwillkürlich: Wo bleibt die andere Unvermeidlichkeit, das ebenfalls auf der Seite des Guten kämpfende weibliche Gegenstück zur männlichen Hauptfigur? Keine Angst, sie hat ein bisschen Verspätung, aber sie kommt noch knapp vor der Hälfte. Nämlich in Form von Davina DeBoni, einer Botanikerin, die im Auftrag eines Pharmakonzerns im Amazonasdschungel nach einer Heilpflanze sucht. Das klassische Dreigestirn des Wissenschaftsthrillers ist damit wieder aufgegangen. Die Konventionalität des Genres in Sachen Personalzusammenstellung ist wirklich faszinierend, da können selbst Western kaum mithalten!

Das war jetzt übrigens nur eine Feststellung, kein Vorwurf. Mit einem schnörkellosen Stil, der sich ganz in den Dienst der Erzählung stellt, und einem Informationsgehalt, der uns in jeder Situation über alles Wesentliche in Kenntnis setzt, ist "Leben" überaus leicht und schnell zu lesen. Ein klassischer auf Spannung setzender Pageturner eben.

Bröckelnder Rahmen

In der zweiten Hälfte geht "Leben" sogar einen Schritt weiter als die meisten Wissenschaftsthriller. Nun wachsen sich die Geschehnisse, in die Fabian, Mark und Davina verstrickt sind, zu etwas Größerem aus – allerdings auch größer, als es Laub im Rahmen dieses Buchs beschreiben konnte oder wollte. Er beschwört dann ein Szenario herauf, das er aber nur am Rande streift, weil er sich weiterhin ganz auf seine Hauptfiguren konzentriert. (Sorry für die vagen Formulierungen, aber ich will nicht spoilern. Wer "Leben" liest, wird es verstehen.)

Man könnte es als simple erzählerische Entscheidung betrachten, würde sich "Leben" in einem zentralen Punkt nicht selbst untreu. Denn Laub beansprucht für seinen Roman explizit einen ökologischen Kontext. Im ausführlichen Nachwort spricht er vom vielzitierten sechsten großen Massenaussterbeereignis der Erdgeschichte, das derzeit gerade stattfindet, und von der Verantwortung des Menschen. Und er schreibt, dass er bei den Recherchen für "Leben" festgestellt habe, dass es noch keinen Roman zu diesem Massensterben gebe.

Nur ... auch er hat keinen geschrieben. Der millionenfache Tod der Tiere, mit dem "Leben" begann, spielt am Ende eine so geringe Rolle, dass er nur noch mit einer Nebenbemerkung abgeschasselt wird. Stattdessen geht es dann um individuelle Triumphe, individuelle Tragödien und individuelle Gerechtigkeit. Wie in einem Hollywoodfilm, in dem die Welt untergeht und die Frage, ob es ein Happy End gibt oder nicht, allein daran festgemacht wird, was den paar Hauptfiguren widerfährt. Der ökologische Kontext wird in "Leben" zwar heraufbeschworen, aber die Prioritätensetzung spricht eine andere Sprache. Am Ende dreht sich auch hier wieder alles nur um Wohl und Wehe des Menschen.