Donald Trump hält Martin Gugino (unten) für einen "Provokateur der Antifa".

Washington – Donald Trump hat am Dienstag erneut mit einem Tweet für massive Empörung gesorgt. Der US-Präsident nahm auf jenen 75-jährigen Demonstranten Bezug, der seit vergangener Woche mit schweren Kopfverletzungen in einem Spital in Buffalo liegt, nachdem er von der Polizei zu Boden gestoßen worden und dabei mit dem Hinterkopf auf den Asphalt gefallen ist. Trump nannte den Mann bei seinem vollen Namen und unterstellte ihm unter anderem, er könnte als "Provokateur der Antifa" aufgetreten sein.

Demnach habe der Demonstrant Martin Gugino versucht, die Kommunikation der Polizei zu stören oder abzuhören. Außerdem insinuiert Trump, der Pensionist sei womöglich absichtlich theatralisch zu Boden gefallen, um die Polizei in einem schlechten Licht dastehen zu lassen. "Er fiel härter, als er gestoßen wurde", schreibt Trump. "Könnte es sich um eine Falle handeln?"

Vieles an dem Tweet ist nachweislich falsch, wie auch das Video zum Tathergang zeigt, das keinerlei Bewegung des Handys von Gugino in Richtung der Polizisten sichtbar macht, sondern ihn nur gestikulierend zeigt. Gugino ist zwar Mitglied zweier NGOs, einer für bessere Wohnverhältnisse in New York und einer für Menschenrechte, zudem ist er bei einer katholischen Gewerkschaft aktiv, wie die Washington Post schreibt. Bezüglich eines Engagements im Rahmen der Antifa – die es in der von Trump geschilderten Form als feste Gruppe auch gar nicht gibt – sind hingegen keine Hinweise vorhanden.

Dafür, dass Gugino sein Handy als Scanner eingesetzt habe – was technisch unter Umständen möglich ist –, gibt es keinerlei Belege. Auch die Polizei hat keine genannt. Zudem ist völlig unklar, welche Informationen Gugino auf die Art hätte erlangen wollen. Der Polizeifunk von Buffalo ist öffentlich zugänglich, die Frequenz ist kein Geheimnis, sondern im Internet nachzulesen.

Nachrichten aus Russland

Die von Trump verbreitete Theorie stammt vom US-Fernsehsender One America Network (OAN), den der Präsident bei seinen jüngsten TV-Pressekonferenzen mehrfach auffällig deutlich gelobt hat. Trump erwähnt das Unternehmen auch direkt in seinem Tweet. Der Reporter, von dem die Meldung stammt, Kristian Rouz, ist russischer Staatsbürger. Laut einem Bericht des "Daily Beast" vom Vorjahr war er damals gleichzeitig für OAN und das staatliche russische Medienunternehmen Sputnik tätig. Rouz hatte die Theorie offenbar der erzkonservativen Webseite "Conservative Treehouse" entnommen, wo sie erstmals aufgetaucht ist.

Twitter, mit dem Trump wegen der Kennzeichnung seiner Tweets als De-facto-Falschmeldungen seit Wochen im Clinch liegt, hat auf die neue Meldung des Präsidenten bis Dienstagabend nicht mit einem Fact-Check reagiert.

Der Vorfall von Buffalo vergangene Woche hatte international für Aufsehen gesorgt, und das Video zum Tathergang ist das bekannteste unter den zahlreichen Clips, die Polizeibrutalität während der jüngsten Proteste gegen rassistische Polizeibrutalität dokumentieren. Die örtlichen Beamten hatten zwei verantwortliche Polizisten danach ohne Gehalt dienstfrei gestellt, die weiteren Polizisten, die nach dem Vorfall am offensichtlich verletzten Gugino vorbeigehen, aber nicht näher belangt.

In einer Mitteilung der Polizei vor Bekanntwerden des Videos heißt es, eine Person habe sich bei den Demos verletzt, als sie "gestolpert und hingefallen" sei. In Reaktion auf die Freistellung der beiden Beamten hatten die Mitglieder einer Spezialeinsatztruppe ihren Dienst in der Einheit quittiert. (Manuel Escher, 9.6.2020)