Selbst die ältesten Landschaften auf dem Mond befinden sich nach wie vor im Wandel. Zu diesem Schluss kommen Forscher des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Göttingen und der ETH Zürich nach der Auswertung von über zwei Millionen Aufnahmen der Mondoberfläche. Die Wissenschafter erstellten anhand dieser Daten die erste globale Karte der Felsstürze auf dem Erdtrabanten.

Lunare Bewegung: Ein Brocken im Nicholson Krater hat sich von einem Felsvorsprung (rechts) gelöst und ist fast einen Kilometer den Hang hinuntergerollt.
Foto: NASA/GSFC/ASU

Die Auswertungen zeigen, dass auf nicht in erster Linie Beben, sondern vor allem Einschläge von Asteroiden die Ursache von Felsstürzen auf dem Mond sind – und dass sich auf diese Weise selbst Milliarden Jahre alte Mondlandschaften noch immer verändern. Die Studie wurde im Fachblatt "Nature Communications" veröffentlicht.

Mondsonde macht`s möglich

Eine Übersicht über die Häufigkeit und die Orte von Felsbewegungen auf dem Mond war nach Angaben der Forscher bis vor wenigen Jahren nur schwer zu gewinnen. "Die allermeisten abgestürzten Felsbrocken auf dem Mond haben einen Durchmesser zwischen sieben und zehn Metern", erklärte Valentin Bickel, der Erstautor der Studie.

"Frühere Raumsonden, die den Mond untersucht haben, konnten solch kleine Strukturen nicht überall sichtbar machen", so Bickel. Erst der Lunar Reconnaissance Orbiter der US-Weltraumbehörde Nasa kartiert seit 2010 aus einer Mondumlaufbahn die gesamte Mondoberfläche mit der nötigen räumlichen Auflösung und Abdeckung.

Bickel und Kollegen durchforsteten in den vergangenen Monaten ein Archiv mit mehr als zwei Millionen dieser Aufnahmen. Dafür entwickelte er einen Suchalgorithmus, der auf der Grundlage neuronaler Netzwerke nach und nach lernt, die typischen Spuren abgehender Felsstürze in Satellitenbildern zu erkennen.

136.610 Felsstürze

Auf diese Weise entstand eine Karte der Mondoberfläche zwischen 80 Grad nördlicher und 80 Grad südlicher Breite, die 136.610 Felsstürze mit Durchmessern von mehr als zweieinhalb Metern verzeichnet. "Die Karte bietet uns erstmals die Möglichkeit, das Auftreten von Felsstürzen auf einem anderen Himmelskörper und deren Ursachen zu untersuchen", sagte Urs Mall vom MPS.

Auf diesen Karten des Mondes sind alle entdeckten Ansammlungen von Felsstürzen als orange-rötliche Flecken dargestellt. Das Gebiet zwischen 70 Grad nördlicher und südlicher Breite ist unten links zu sehen, die Polregionen darüber. Ab 80 Grad nördlicher und südlicher Breite verhindern lange Schatten ein verlässliches Identifizieren von Felsstürzen.
Foto: MPS/Nasa

Bisher hatten Forscher angenommen, dass vor allem Mondbeben Felsbrocken lösen und in Bewegung versetzen. Nun zeigte sich, dass Einschläge von Asteroiden offenbar eine deutlich wichtigere Rolle spielen. Solche Impakte sind anscheinend – direkt oder indirekt – für mehr als 80 Prozent der Felsstürze auf dem Mond verantwortlich.

Selbst in den ältesten Landschaften des Erdtrabanten, die vor bis zu vier Milliarden Jahren entstanden, finden sich den Forschern zufolge an uralten Kratern Spuren von frischen Felsstürzen. Da solche Abdrücke nach einigen Millionen Jahren verwittern müssten, sind offenbar selbst diese alten Oberflächen noch immer im Wandel.

Hinweise auf seismische Regionen

"Asteroideneinschläge beeinflussen und verändern die Geologie einer Region offenbar über sehr, sehr lange Zeiträume hinweg", sagte Bickel. Zudem legen die Ergebnisse nahe, dass sich auch andere, sehr alte Oberflächen auf Körpern ohne Atmosphäre wie etwa auf dem Merkur oder dem großen Asteroiden Vesta noch immer verändern könnten.

Wo die Felsstürze nicht in Zusammenhang mit Kratern stehen, deutet viel auf einen seismischen oder vulkanischen Ursprung hin. So fanden die Forscher etwa Gesteinsabgänge an vermutlich seismisch aktiven tektonischen Gräben und an Vulkanschloten mit charakteristischen Rissen und Gängen.

Die neue Übersichtskarte kann so helfen, noch unbekannte, seismisch aktive Regionen zu identifizieren. Für künftige robotische oder gar bemannte Missionen zum Mond stellen solche Gebiete eine potenzielle Herausforderung dar. (red, APA, 13.6.2020)