Die Polizei im Fokus der Proteste.

Der "Würgegriff" bei der Polizei von Los Angeles ist ab sofort Geschichte. Diese umstrittene Festnahmemethode, bei der die Blutzufuhr zum Gehirn unterbunden wird, dürfe zunächst nicht mehr angewandt werden, teilte die Polizeibehörde der Stadt Anfang der Woche mit. Sie werde zunächst auch aus dem Trainingsprogramm für Polizeibeamte verbannt – ein erstes Zugeständnis an die umfassenden Proteste in den USA gegen Alltagsrassismus und Polizeigewalt nach dem Tod von George Floyd. Die Rufe nach einer umfassenden Reform der Polizei werden immer lauter.

Auch der Afroamerikaner Eric Garner starb 2014 im Würgegriffe eines New Yorker Polizisten. Die Proteste damals waren wenig nachhaltig. 2020 könnte das schon deshalb anders sein, weil sich die Corona-gebeutelte Nation mitten im Wahlkampf befindet.

Demokratischer Kniefall

So konnte man beispielsweise am Montag im US-Kongress führende US-Demokraten medienwirksam kniend vorfinden. Fast neun Minuten lang – die Zeit, in der ein weißer Polizeibeamter vor zwei Wochen sein Knie in den Nacken des am Boden liegenden Floyd gedrückt hatte. Dieses Symbol der "Black Live Matters"-Bewegung, der die Demokraten bisher eher reserviert gegenüberstanden, sollte den Wählern vor allem eines zeigen: Die Demokraten identifizieren sich mit dem Ruf nach Wandel.

Auch der Gesetzesentwurf, den sie daraufhin zur Polizeireform präsentierten, sollte vor allem Bereitschaft zur Aktion signalisieren. Dass der Entwurf je tatsächlich Gesetz wird, ist aber schon deshalb unwahrscheinlich, weil jedes Gesetz auch durch den derzeit republikanisch dominierten Senat muss. Der Text sei voller "Rohrkrepierer" und schon deshalb abzulehnen, ließen die Republikaner am Dienstag wissen und bezogen sich vor allem auf die vorgeschlagene Erleichterung der Strafverfolgung von Polizisten. Der US-Präsident prüfe jedenfalls "mehrere andere Vorschläge". Rasche Reformen werden eher auf regionaler Ebene erwartet.

Änderung der Strategie

Zumindest dürfte US-Präsident Donald Trump verstanden haben, dass seine reine Law-and-Order-Herangehensweise nicht gut ankommt. Die Umfragen sind alarmierend, laut CNN finden nur mehr 38 Prozent der Bürger Trumps Amtsführung gut. Im Schnitt liegt der Amtsinhaber in den Umfragen aktuell knapp acht Prozentpunkte hinter seinem bei Schwarzen beliebten demokratischen Herausforderer Joe Biden. Alarmierend für die Republikaner: Selbst bei Kernwählern wie den evangelikalen Christen verlor der Präsident zuletzt massiv an Unterstützung.

Eine Entwicklung, die Joe Bidens aktueller Strategie Erfolg attestiert. Er versucht sich aktuell als Zuhörer und Versöhner – also als Donald Trumps Gegenpol – zu positionieren. Biden inszeniere sich als "Chefheiler" Amerikas, kommentierte CNN.

In diesem Sinne traf sich der Vizepräsident von Barack Obama auch am Montag im texanischen Houston mit der Familie des getöteten Floyd. Mehr als eine Stunde lang habe sich Biden mit dessen Verwandten ausgetauscht, erklärte der Anwalt der Familie. "Er hörte zu, hörte ihren Schmerz und teilte ihr Leid."

Hält sich Biden jetzt an Empathie als Gebot der Stunde, war das nicht immer so. Er war es, der als Senator in den 1990er-Jahren ebenfalls einen Law-and-Order-Ansatz verfolgte. 1994 zeichnete er für eine drastische Strafrechtsreform verantwortlich, die zumindest indirekt dazu beitrug, dass die Zahl der Gefängnisinsassen drastisch anstieg. Auch kritisierte Biden noch in den 1970er-Jahren Integrationsbemühungen an öffentlichen Schulen in seinem Heimatstaat Delaware.

Die Republikaner bemühen sich aktuell jedenfalls, ihn ins linke Eck zu rücken. Er wolle den Polizeibehörden Finanzmittel zusammenstreichen, sie gar ganz abschaffen, wie es die Protestierenden teilweise verlangen. Tatsächlich stehen Kürzungen nicht auf der demokratischen Vorschlagsliste. In Bidens Wahlkampfprogramm ist im Gegenteil das Vorhaben nachzulesen, die Verbesserungen der Beziehungen zwischen der Polizei und den Bewohnern von problematischen Stadtvierteln mit 300 Millionen Dollar zu fördern.

Beerdigung einer Symbolfigur

Der Wahlkampf in den USA hat jedenfalls sein emotional aufgeladenes Hauptthema gefunden. Derzeit profitieren dabei vor allem die Demokraten. Bei Floyds Beisetzung, die am Dienstag im Familienkreis stattfand, war es ebenfalls Biden, dessen Videobotschaft auf dem Plan stand. Schon vor der Beerdigung in Houston verabschiedeten sich mehr als 6000 Menschen am Sarg des 46-Jährigen. (Manuela Honsig-Erlenburg, 9.6.2020)