Toyota CEO-Akio Toyoda präsentierte kürzlich seinen Entwurf einer Smart City vom Reißbrett. Werden CEOs künftig Präsidenten und Kanzler ablösen?

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Etwas mehr als 370 Jahre gibt es Nationalstaaten in ihren verschiedensten Formen jetzt schon. Im Zeitalter exzessiver menschlicher Mobilität (vor und nach Corona) trifft deren eigentliche Definition auf die meist künstlich geschaffenen Völkerrechtssubjekte aber kaum noch zu. Die sprachliche, kulturelle oder ethnische Homogenität, die teils erst durch Säuberungen und Vertreibungen erreicht wurde und von Befürworten einer starken Nation gerne reklamiert wird, ist quasi passé. Nur mehr vereinzelt ist sie auf Inseln wie Japan und Island oder in strammen Diktaturen wie Nordkorea ansatzweise vorzufinden.

Globalisierung, Migration und Einkommensunterschiede haben mittlerweile fast alle Staaten zu Vielvölkerstaaten gemacht – die einen mehr, die anderen weniger. Grundsätzlich unterstützt die Geschichte aber die These positiver Auswirkungen auf den Fortschritt durch verschiedene Einflüsse. Neben Waren und Genmaterial wird nämlich vor allem Know-how ausgetauscht. Binnenstaaten, die in den vergangenen Jahrhunderten aufgrund von Marktlogiken oft vernachlässigt wurden, litten besonders unter diesem mangelnden Wissenstransfer.

Zwischen Stabilität und Aufbruch

Der Nationalstaat hat also eigentlich schon so gut wie ausgedient. Staaten an sich gelten aber nach wie vor als die politische Norm – egal wie ihre Herrschaftsform im Inneren aussieht. So korrupt und brutal der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-un auch gegen sein Volk vorgeht, niemand wird ihm derzeit absprechen, der unangefochtene Chef eines auf seine Weise funktionierenden Staates zu sein.

Jene, die sich diesem politischen Dogma nicht unterwerfen, werden von der Gemeinschaft von Staaten als solche politisch (etwa Seeland oder Liberland) und manchmal auch militärisch bekämpft (etwa Drogenkartelle in Südamerika oder der sogenannte Islamische Staat). Die Gemeinschaft, das sind jene rund 200 Staaten, die sich nach der blutigen Phase der Entkolonialisierung und des Zerfalls mehrerer Staatenbünde in den vergangen Jahrzehnten etabliert haben. Sezessionistische Bestrebungen werden meist geächtet, je nach politischer Großwetterlage aber auch gelegentlich unterstützt. Die Staatengemeinschaft will Stabilität, während Gesellschaften immer wieder dynamisch agieren und bestehende Strukturen aufbrechen. Zu viele Staaten dürfen es aber keinesfalls werden, so der Tenor. Ein Fleckerlteppich soll um jeden Preis vermieden werden.

Kein Ende der Geschichte

Das ist insofern interessant, als die verschiedenen Herrschaftsformen innerhalb der Staaten sehr wohl einen Fleckerlteppich darstellen. Von absoluten und repräsentativen Monarchien über Ein-Mann-Diktaturen, parlamentarische Demokratien und Konföderationen von Staaten sowie Oligarchien, Technokratien und Kleptokratien findet sich derzeit fast alles.

Doch sind Trends zu erkennen? Ist die parlamentarische Demokratie tatsächlich die dominierende Herrschaftsform, die sich auf lange Sicht durchsetzen wird?

Trotz gelegentlicher autoritärer Rückschritte ist ein klarer Trend hin zu mehr Demokratie und weniger Autokratie erkennbar, wie Zahlen des Pew Research Center belegen. Francis Fukuyamas These vom "Ende der Geschichte" und dem Sieg der westlichen Demokratie wurde binnen der vergangenen drei Jahrzehnte aber schon so oft durch die Weltpolitik widerlegt, dass kaum noch jemand davon ausgeht, dass die Demokratie in ihrer aktuellen Form gekommen ist, um zu bleiben. Generell ist es absurd, in einem dynamischen System von acht und bald schon zehn Milliarden Menschen davon auszugehen, dass sich die Form der Herrschaft im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten nicht noch radikal verändern wird.

Weg vom Nationalstaat, hin zum Markt-Staat?

Zweifelsfrei könnte die tiefere politische Integration diverser europäischer Staaten zu einer Union von Staaten wegweisend sein – sofern die Stolpersteine aus dem Weg geräumt werden können. Die großen Probleme werden nach oben transferiert, die kleinen auf regionaler Ebene gelöst. Werden die Mitgliedsstaaten aber in 20 Jahren in einem gemeinsamen Staatengebilde aufgegangen sein? Wenn nicht, vielleicht in 100 Jahren? Es wirkt weit weg, aber überlegen Sie einmal, was sich seit dem Ersten Weltkrieg alles getan hat.

Drei futuristische Ideen, die abseits utopischer Vorstellungen einer allentscheidenden Weltregierung gelegentlich Aufmerksamkeit bekommen, möchte ich hier kurz anschneiden und als Diskussionsgrundlage möglicher Herrschaftsformen der Zukunft anbieten.

  • DER MARKT-STAAT
    Zahlreiche der finanzkräftigsten und einflussreichsten Unternehmen der Welt verfügen heute schon über mehr Soft Power als viele Kleinstaaten. Deren BIP übertreffen Marken wie Amazon, Google oder Alibaba sowieso schon lange. Noch dazu sind sie Vorreiter in dominierenden Technologien, ohne deren Kontrolle sich das Gewaltmonopol des Staates nicht ewig aufrechterhalten lassen wird, Stichwort: künstliche Intelligenz und Gesichtserkennung. Dabei sind die wichtigsten Unternehmen des 21. Jahrhundert vielleicht noch gar nicht gegründet. Möglich wäre jedenfalls, dass Firmen gegen ein entsprechendes Entgelt allumfassend für die Sicherheit, die Gesundheit, die Pension und die restliche Grundversorgung einer Person aufkommen. Die digitale Staatsbürgerschaft wird zum künd- und wechselbaren Abo – Premiumvarianten inklusive.

  • DER GLOKALE STAAT
    Die Auswirkungen des Weltklimas und weitere noch nicht vorhersehbare Krisen fordern die Menschheit dazu auf, manche Themengebiete tatsächlich auf globaler Ebene anzugehen und Entscheidungsgewalt abzugeben. Die Regulierung des Wetters, die Verteilung von Trinkwasser oder die Versorgung mit neuen Energieformen werden von einem Gremium rechtlich bindend beschlossen. Zu verschiedenen Problemen werden globale Lösungsvorschläge ausgearbeitet. Staaten können sich freiwillig anschließen. Ab einer Mindestanzahl von teilnehmenden Ländern und einem zu erreichenden Quorum an vertretenen Menschen wird die Idee umgesetzt. Gesellschaftspolitische Entscheidungen werden per partizipativer Demokratie oder einem anderen Herrschaftssystem weiter auf lokaler und regionaler Ebene entschieden.

  • STADT-STAATEN
    Hauptstädte waren seit jeher Machtzentren. Besonders in größeren Staaten entwickeln oft aber andere Städte weit mehr Einfluss, Kapital und Anziehungskraft. Seit einigen Jahren bereits betreiben zahlreiche Weltstädte ihre eigene Diplomatie und haben Vertretungen in anderen "Global Cities". Städte wie New York, Schanghai, São Paulo, San Francisco, Mumbai, Osaka oder Istanbul eisen sich in diesem Szenario zusehends von ihren Hauptstädten los und gründen als Gegenmodell zu den Vereinten Nationen die Vereinten Städte. Mit der Zeit folgen auch erste Hauptstädte, weil zusehends klar wird, dass im Zuge des 22. Jahrhunderts nur mehr der Grund und Boden innerhalb und rund um die Millionenstädte von Bedeutung sein wird. Es kommt zu einer noch stärkeren Landflucht und einer extremen Konzentration der Weltbevölkerung in Städten. Die wahre Macht liegt fortan bei Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern.

Und nun die Frage an Sie: Was glauben Sie wie in 100 Jahren unsere Herrschaftsform aussehen könnte? Ändert sich vielleicht doch weniger, als man glaubt, oder wandelt sich die Welt gar noch radikaler, als dies in den vergangenen 100 Jahren der Fall war? (Fabian Sommavilla, 12.6.2020)