Auch in Madagaskar greift der Virus um sich. In der Hafenstadt Toamasina wird Desinfektionsmittel versprüht.

Foto: AFP/Rijasolo

Was ein Bauern-Opfer ist, weiß jeder. Doch jetzt wurde die Welt erstmals mit dem Konzept eines Bonbon-Opfers konfrontiert, und dessen erste Märtyrerin ist Madagaskars Erziehungsministerin Rijaso Andriamanana geworden. Das Kabinettsmitglied des afrikanischen Inselstaats wollte ihrem Boss, Präsident Andry Rajoelina, einen Gefallen tun, der unlängst angekündigt hatte, den "Lauf der Geschichte" zu ändern. Das sollte mit einem Getränk geschehen, das aus dem "Einjährigen Beifuß" (artemisia annua) gewonnen wird, und Rajoelinas Versicherungen zufolge dem Corona-Virus auf wunderbare Weise zu Leibe rückt. Einem halben Dutzend infizierten Madagassen verabreicht soll der "Covid Organics" genannte Trunk bereits zu unmittelbaren Heilungserfolgen verholfen haben – woran der Insel-Präsident auch dann noch festhielt, als die Weltgesundheitsorganisation (WHO) weithin sichtbar ihre Behörden-Stirn in Falten legte.

Als eigentliches Problem des Beifußgetränks stellte sich allerdings nicht dessen wunderbare Wirkung oder Wirkungslosigkeit heraus, sondern dass es ausgesprochen bitter ist. Was nützt das beste Medikament, wenn es beim besten Willen nicht die Kehle passieren will? Ministerin Andriamanana hatte da eine glänzende Idee, die ihr allerdings den Job kosten sollte. Sie bestellte für jede Schülerin und jeden Schüler des einzigartig artenreichen Inselstaats je drei Süßigkeiten – Bonbons, Lutscher und Kaugummis –, die ihnen beim Runterwürgen des Zaubertranks hilfreich sein würden. Eine Strategie, die auch Pharmakonzernen nicht unbekannt ist – nur dass diese die Bestandteile der Lutscher schon während des Produktionsprozesses beifügen und in den Preis einkalkulieren.

Bonbons für die Kinder

Was Rijaso Andriamanana nämlich zum Verhängnis wurde: Dass sich die Kosten für die Lolli-Beigabe auf 2,2 Millionen US-Dollar summierten. Das ist für einen Staat, der lediglich gut 1 Milliarde US-Dollar im Jahr einnimmt, nicht unerheblich: Vor allem, wo die Bestellung der Ministerin lediglich Schulkindern zugute kommen sollte: An Kleinkinder, Studenten und Erwachsene war noch gar nicht gedacht. Jedenfalls zeigte sich Madagaskars Presse von der verschwenderischen Versüßungsaktion entsetzt: Sie startete eine gesalzene Kampagne, der sich Regierungschef Rajoelina bald nicht mehr zu erwehren wusste. Obwohl sich seine Ministerin schließlich von ihrer eigenen Initiative wieder vollinhaltlich distanzierte, wurde sie jetzt unzeremoniell aus dem Kabinett entfernt. Das erste Bonbon-Opfer der Geschichte.

Das Problem mit "Covid Organics" ist damit nicht aus der Welt geschafft. Aus ganz Afrika gehen inzwischen Bestellungen für den bitteren Zaubertrank ein: Wie Tansanier, Äquatorialguineer und Nigerianer den einjährigen Beifuß-Saft über ihre Kehle kriegen, soll allerdings ihre Sache sein. (11.6.2020)