Staatssekretärin Andrea Mayer auf dem Balkon ihres Büros im siebenten Stock der Kunst- und Kultursektion am Concordiaplatz.

Foto: Regine Hendrich

Nach dem Rücktritt von Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek (Grüne), der es nicht vergönnt war, der Kulturbranche wirtschaftlich durch die Corona-Krise zu helfen, stand sie bereit: Andrea Mayer. Die 58-Jährige Kulturexpertin wechselte von der Hofburg, wo sie die Kanzlei von Bundespräsident Alexander Van der Bellen leitete, auf den Concordiaplatz. Der dort ansässigen Kunst- und Kultursektion des Bundes stand Mayer schon einmal zwischen 2015 und 2017 als Sektionschefin vor, nun ist sie als neue Staatssekretärin auch politisch verantwortlich.

Drei Wochen ist sie im Amt, und seither ist viel passiert: Kultur darf eingeschränkt wieder stattfinden, die Finanzhilfen werden auf neue Beine gestellt. Mit über die Krisenbewältigung hinausgehenden Ideen hält sich Mayer im Interview noch zurück. Zum kulturpolitischen Regierungsabkommen bekennt sie sich aber vollinhaltlich. Und schon nächste Woche will sie neue Erleichterungen im Kulturbereich präsentieren.

STANDARD: Sie haben die Politik als Spitzenbeamtin viele Jahre Backstage kennengelernt, nun stehen Sie selbst auf der Bühne: Ist das befreiend oder beängstigend?

Mayer: Es ist jedenfalls eine große Veränderung, in der ersten Reihe zu stehen. Ich empfinde sehr viel Freude, dass man jetzt gestalten und in dieser besonderen Phase für Kunst und Kultur viel zum Positiven bewirken kann. Aber natürlich verspüre ich auch die große Verantwortung und die große Erwartungshaltung.

STANDARD: Ihre Vorgängerin hätte sich unter normalen Bedingungen wohl mit der Zeit eingearbeitet. Hat die Krise aber offengelegt, dass Fachfremdheit ein Problem sein kann?

Mayer: Ich möchte gar nicht über die Vergangenheit spekulieren. Ich bringe jedenfalls mit, dass ich die Branche gut kenne, vernetzt und krisenfest bin und Managementqualitäten habe. Das möchte ich zur Verfügung stellen, um als oberste Lobbyistin mit allem, was mir zu Verfügung steht, für die Branche tätig sein zu können.

STANDARD: Sie selbst kommen aus der SPÖ, haben Ihre Parteimitgliedschaft ruhend gestellt. Ist die Personaldecke der Grünen so dünn, dass man auf rotes Personal zurückgreifen muss?

Mayer: Ich wurde ausgewählt als Expertin, von der man erwarten kann, dass sie für diesen speziellen Bereich jetzt die richtigen Entscheidungen trifft.

STANDARD: Sie sehen sich also nicht als SPÖ-U-Boot in der Regierung?

Mayer: Ich habe meine Parteimitgliedschaft ruhend gestellt.

STANDARD: Es heißt, Sie hätten sich selbst angeboten, stimmt das? Und wie sehr hat Bundespräsident Van der Bellen mitgewirkt, dass Sie zum Zug kommen?

Mayer: Es gibt viele Zuschreibungen, wie solche Entscheidungen getroffen werden. Ich bin gefragt worden, habe es mir kurz überlegt und mich mit dem Bundespräsidenten beraten. Er hat mir Mut zugesprochen und war so freundlich, mich so kurzfristig aus meiner wichtigen Funktion in der Hofburg wegzulassen, um die Kulturbranche hier gut durch die Krise zu bringen.

STANDARD: Ist es nachteilig, dass die Kultur nicht mehr beim Kanzleramtsminister liegt, sondern in einem Staatssekretariat?

Mayer: Ich sehe das überhaupt nicht so. Es gibt ein Staatssekretariat und ein Kulturministerium unter Werner Kogler, der der zweitmächtigste Mann in der Regierung ist. Wir sind ein starkes Team und gut abgestimmt. Jeder wird in seinem Bereich Positives bewirken.

STANDARD: Sollte es in Zukunft ein eigenständiges Kulturministerium geben?

Mayer: Die Situation ist jetzt, wie sie ist, und es ist eine gute Konstellation. Zu zweit ist man immer stärker. Und Kunst und Kultur ist außerdem eine Aufgabe der gesamten Regierung. Aber noch einmal: Es gibt einen Kulturminister und eine Staatssekretärin.

STANDARD: Die Erwartungshaltung an Sie aus der Szene ist enorm hoch, aber ohne den Finanzminister im Boot wird wenig gehen. Wollen Sie Gernot Blümel, der immerhin selbst Kulturminister war, bei der Ehre packen?

Mayer: Es ist sicherlich mein Vorteil, dass ich alle Mitglieder der Bundesregierung aufgrund meiner Tätigkeit in der Hofburg gut kenne, so auch Gernot Blümel jahrelang. Wir haben eine sehr gute Gesprächs- und Arbeitsbasis, und er hat da sicher ein offenes Ohr.

STANDARD: Wie werden Sie denn Ihr Büro, Ihr Team, die Kultursektion personell umbauen?

Mayer: Wir schauen jetzt einmal, wie wir durchkommen. Es ist akut so vieles zu erledigen, dass sich diese Fragen vorerst gar nicht stellen.

STANDARD: Kommen wir zu den Corona-Hilfen: Nach Lunaceks Rücktritt und Ihrem Antritt ging dann vieles sehr schnell. Das lag, mit Verlaub, wohl weniger an Ihnen als an der Erkenntnis in der ÖVP, dass man in diesem Bereich Nachholbedarf hat, oder?

Mayer: Es haben verschiedene Konstellationen zusammengewirkt. Das lautstarke Melden der Kunst- und Kulturbranche war vielleicht entscheidend. Bei meinem Antritt war mir schnell klar, wo die Prioritäten zu setzen sind, ich konnte sie auch argumentieren, und ich habe so viel Zuspruch und Motivation erfahren, dass es uns gelungen ist, gleich in den ersten Tag vieles in die Wege zu leiten: die Lockerungen, die Überbrückungsfinanzierung für die Freischaffenden, das Paket für die Filmschaffenden, und jetzt folgen die nächsten Schritte. Also, ich glaube, die Bilanz ist für die ersten drei Wochen ganz gut.

STANDARD: War die Abwicklung der Härtefallfonds-Hilfen über die WKO ein Griff ins Klo?

Mayer: Das sind Entscheidungen, die lang vor meinem Antritt als Staatssekretärin getroffen wurden, und zwar nicht direkt in meinem Bereich. Ich hatte die Rückmeldung von den KünstlerInnen, dass sich viele vom Härtefallfonds nicht unterstützt fühlten und deswegen auch in einer Notlage sind. Deswegen war klar: Wir müssen eine schnelle, maßgeschneiderte, unbürokratische Lösung finden, und das ist jetzt in Form des Überbrückungsfinanzierungsfonds über die Sozialversicherung der Selbstständigen passiert.

STANDARD: Wie schnell sollen die Hilfen jetzt ausbezahlt werden?

Mayer: Wir hatten erst heute einen weiteren wichtigen Meilenstein: Im Kulturausschuss wurde der Fonds einstimmig von allen Parteien beschlossen. Jetzt geht das dann durch den parlamentarischen Prozess, parallel arbeiten wir schon an der geplanten Abwicklung. Wir können sofort beginnen, wenn das Gesetz beschlossen ist.

STANDARD: Das heißt: Ab Juli ...

Mayer: ... kann man dann den Antrag stellen und auch sofort Geld empfangen.

STANDARD: Ausständig ist, ob Bundesmuseen und -theater höhere Basisabgeltungen bekommen, um die Millionenausfälle zu kompensieren. Wann kommt das?

Mayer: Wir haben die Ausschüttung der Basisabgeltung vorgezogen, damit einmal die Liquidität gesichert ist. Mit den Museen und Theatern haben wir gemeinsam eruiert, wie der Einnahmenentgang aussieht und welche Kosten krisenbedingt auch nicht entstehen. Und so sind wir mit dem Finanzminister in Verhandlungen und glauben, dass wir es bald geschafft haben, zusätzliche Mittel zu erhalten, sodass die Bundeseinrichtungen bis Jahresende gut weiterarbeiten werden können und dass es keine Entlassungen geben muss.

STANDARD: Die Direktoren verdienen bis zu 250.000 Euro im Jahr, mehr als der Bundeskanzler. Sollte man das nicht drosseln?

Mayer: Es haben verschiedene Direktoren von sich aus aktuell ihre Gehälter gekürzt und diese für karitative Zwecke zur Verfügung gestellt. Wie viel im Detail, kann ich Ihnen nicht sagen, aber es gibt diese Geste.

STANDARD: Wäre eine weitere Drosselung auch über die Krise hinaus denkbar?

Mayer: Es haben schon Kulturpolitiker vor mir begonnen, die Gehälter zu drosseln, auch bei den Bundestheatern.

STANDARD: Wollen Sie weiter drosseln, oder reicht Ihnen die aktuelle Deckelung?

Mayer: Ich habe dazu meine Vorstellungen, werde aber keine Gehaltsverhandlungen über Medien führen.

STANDARD: Ihre Vorgängerin wollte "Fair Pay" im Kulturbereich stark zum Thema machen. Sie auch?

Mayer: Ja, denn gerade die Corona-Krise hat ja gezeigt, unter welchen oft schwierigen Rahmenbedingungen die Kulturschaffenden arbeiten. Die Kunst hat ihren Preis, und dem müssen wir gerecht werden. Unabhängig von der Corona-Krise werden wir uns anschauen, wie man zu faireren Bedingungen kommen kann. Das Thema gerechte Entlohnung im Kulturbetrieb zieht sich durch, nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern. Da braucht es einen gemeinsamen Kraftakt, um etwas zu verbessern.

STANDARD: Was sind Ihre Ziele fürs kommende Kulturbudget?

Mayer: Die Kulturbranche ist natürlich von der Krise besonders betroffen, sie war die erste, die schließen musste, und es wird auch noch länger dauern, bis wir wieder ein Kulturleben wie vor der Krise haben. Dementsprechend müssen wir die budgetären Rahmenbedingungen gestalten. Wir werden sicher 2020/21 eine Erhöhung des Kulturbudgets brauchen.

STANDARD: Können Sie diese Erhöhung garantieren?

Mayer: Es wäre naiv, irgendetwas zu garantieren. Aber ich werde mich mit allem, was mir zur Verfügung steht, dafür einsetzen.

STANDARD: Wie wollen Sie den Kulturkonsum wieder ankurbeln? Deutschland reduziert flächendeckend die Mehrwertsteuer, in Österreich überlegt der Bundeskanzler, diese für die Gastronomie zu senken. Kulturvertreter fordern die Rücknahme der sogenannten Ticketsteuer von 2016, als die Mehrwertsteuer auf Kulturtickets von zehn auf 13 Prozent angehoben wurde. Was planen Sie?

Mayer: Nächste Woche werden wir uns in einer Klausur der Bundesregierung mit der Frage beschäftigen, welche Branchen Unterstützung brauchen könnten. Dazu gehört sicherlich auch Kunst und Kultur. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Anreize zu schaffen. Auch Private sollen mehr Geld in Kunst und Kultur investieren. Wir werden da Ergebnisse präsentieren.

STANDARD: Eine kulturpolitische Baustelle ist das Haus der Geschichte in der Neuen Burg. Sie waren Sektionschefin, als das Projekt unter Josef Ostermayer in Angriff genommen wurde. Wohin geht nun die Reise?

Mayer: Es ist eine aktuelle Frage, das Thema gibt es seit vielen Jahren. Ich bin aber erst seit drei Wochen im Amt und möchte um Verständnis bitten, dass ich mir dazu noch keine abschließende Meinung bilden konnte. Es gibt aktuell so viele akute krisenbedingte Dinge zu erledigen.

STANDARD: Gibt es von Ihrer Seite ein prinzipielles Bekenntnis zum Haus der Geschichte? Die Grünen waren davon bislang nicht sehr begeistert.

Mayer: Das Haus der Geschichte gibt es, und daran ist nicht zu rütteln. Wir müssen nur schauen, dass es in eine gute nächste Phase kommt.

STANDARD: Räumlich ausweiten in der Neuen Burg?

Mayer: Das ist eine von vielen Möglichkeiten, ja. Wir werden alle prüfen.

STANDARD: Im Regierungsprogramm ist eine Holding für die Bundesmuseen vorgesehen. Wird die kommen?

Mayer: Die Bundesmuseen müssen natürlich jetzt einmal durch die Krise gebracht werden, das ist vordringlich. Klar ist, unabhängig von einer Holdinglösung, dass die Häuser inhaltlich unabhängig bleiben. Alles andere wird man sich gemeinsam mit den Direktorinnen und Direktoren anschauen.

STANDARD: Geplant war auch ein millionenschweres Investitionsprogramm für Kulturbauten, wovon die Salzburger Festspiele hätten profitieren sollen. Dort ist auch eine Art Fotomuseum seit Jahren im Gespräch. Was wird daraus?

Mayer: Das Investitionspaket ist sehr wichtig, und ja, da geht es um Salzburg, aber auch um Bregenz, ums Volkskundemuseum in Wien, um die Bundesmuseen und vieles mehr. Ich werde alles dafür tun, dieses Programm umzusetzen.

STANDARD: Fotomuseum wird es geben?

Mayer: Die Überlegungen dazu sind noch nicht abgeschlossen. Aber ich bin mit allen Beteiligten im Gespräch, insbesondere mit dem Salzburger Landeshauptmann.

STANDARD: Fehlt Ihnen etwas im kulturpolitischen Regierungsabkommen? Was sind für Sie die wichtigsten Punkte?

Mayer: Es wird mir eine Freude sein, nach der Corona-Krise das Regierungsprogramm weiter umzusetzen. Natürlich bekenne ich mich dazu, ich finde es sehr gelungen, sonst hätte ich das Amt nicht angenommen. Was mir zentral ist, ist, dass Kunst und Kultur auf der Agenda der Bundesregierung ganz weit oben bleibt. Ich verstehe mich als die oberste Lobbyistin für den Bereich. Man spricht sehr viel und gerne über die große Wertschöpfung, die uns Kunst und Kultur bringen. Und wie wichtig der Bereich für den Tourismus ist. Das bejahe ich alles, aber ich möchte auch festhalten: Kunst und Kultur sind ein Wert an sich und gehören deswegen auch staatlich finanziert.

STANDARD: Sie sind jetzt in fünf Jahren die sechste Kulturverantwortliche auf Bundesebene. Wie lange soll der Wanderpokal bei Ihnen bleiben?

Mayer: Für diese Legislaturperiode jedenfalls. Wir stehen ja auch erst am Beginn der Arbeit dieser Regierung. (Stefan Weiss, 11.6.2020)