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Die US-Amerikanerin N. K. Jemisin, bekannt geworden mit der Fantasy-Trilogie "Inheritance" ("Das Erbe der Götter"), gehört zu jener Gruppe von Autoren, die in den vergangenen Jahren die großen Genrepreise gleichsam abonniert haben. Glücklicherweise aber auch zu einer Untergruppe, die Romane schreiben kann, die tatsächlich Hand und Fuß haben.

Ihre aktuelle Reihe "Broken Earth" hat gerade den dritten Hugo Award in Folge gewonnen – noch nie zuvor sind alle drei Teile einer Trilogie jeweils als bester Roman des Jahres ausgezeichnet worden. Man kann die Frage aufwerfen, ob dieser Siegeszug auch ohne die Polarisierung des Genres durch "Puppygate" stattgefunden hätte (Jemisin war eine der profiliertesten Gegnerinnen der konservativen bis reaktionären Gruppen, die als Sad bzw. Rabid Puppies auftraten und letztlich scheiterten). Zumindest ein Preis ist aber auf jeden Fall verdient – in den kommenden Jahren werden die Awards dann vielleicht wieder etwas abwechslungsreicher.

Eine Welt im Daueraufruhr

"Zerrissene Erde" könnte das "Darkover" der 2010er Jahre sein. Es läuft unter der Genrezuordnung Science Fantasy; Technologie und Magie verbinden sich hier zu einem ungewöhnlichen, aber stimmigen Ganzen. Schauplatz der Trilogie ist ein schlicht als die Stille bezeichneter Superkontinent auf einer Welt, die die Erde der fernen Zukunft oder auch ein anderer von Menschen besiedelter Planet sein könnte. Und es ist keine ruhige Welt: Regelmäßig regt sich Vater Erde in Form von gewaltigen tektonischen oder vulkanischen Ereignissen, die als Fünftzeiten bezeichnet werden. Diese können ähnlich schwerwiegende Folgen nach sich ziehen wie die diversen Massenaussterbeereignisse der Erdgeschichte, doch liegen zwischen ihnen nicht Millionen, sondern im Schnitt nur einige hundert Jahre.

Eine so spezielle Welt bringt auch spezielle Mutationen hervor: Orogenen genannte Menschen können die Seismik beeinflussen, indem sie ihrer Umgebung Energie entziehen und diese in die Erde lenken. Verständlicherweise werden sie vom Rest der Bevölkerung zwiespältig gesehen: Zum einen können sie Katastrophen verhindern, zum anderen sind sie schlicht und einfach lebende Massenvernichtungswaffen – je nachdem, wie sie ihre Gabe einsetzen. Die Romanheldinnen, die uns Jemisin hier präsentiert, werden wir als beides kennenlernen: als Helferinnen in der Not und als Massenmörderinnen (keine leichte Entscheidung der Autorin, Sympathieträgern eine derartige Last auf die Schultern zu legen).

Technologisch befinden wir uns auf einem Stand, der Telegraphie, Elektrizität und Antibiotika kennt. Trotzdem fühlt sich das Setting nicht nach frühem Industriezeitalter an: Es gibt keine Anzeichen für Massenproduktion oder -mobilität, stattdessen leben die Menschen überwiegend in voneinander getrennten Gemeinschaften (kurz: Gems), die Subsistenzwirtschaft betreiben – eine Konsequenz daraus, dass man im Fall einer Fünftzeit auch ohne Kontakt zum Rest des Reichs überleben können muss. Es gibt aber Relikte aus anderen Zeitaltern mit ganz anderen technologischen Errungenschaften; das sichtbarste von allen sind riesige Obelisken aus Kristall, die am Himmel schweben. Und als Extrawürze gibt es noch die geheimnisvollen Steinesser: Wesen, die unter der Erdkruste leben und manchmal auf der Oberfläche als "lebende Statuen" in Erscheinung treten. Es ist eine fremde, seltsame Welt.

Sich darauf einlassen lohnt sich

Der Prolog von "Zerrissene Erde" kommt als rasantes Zapping durch den Kontext der folgenden Handlung daher und ist daher zunächst noch völlig unverständlich (es zahlt sich aus, ihn nach Beendigung der Lektüre noch mal zu lesen, erst dann versteht man alles). Dabei wird aber nicht nur zwischen Personen und Schauplätzen herumgesprungen, sondern auch zwischen Präsens, Imperfekt und Futur sowie zwischen Erzählen in zweiter und dritter Person. Das ist eine ordentliche Packung, und ich dachte zunächst noch: "Oweh, dieses Buch wird mir auf die Nerven gehen", aber nicht immer ist der erste Eindruck der richtige. Jemisin wird den Wechsel zwar beibehalten – dann aber im Rhythmus längerer Kapitel und Abschnitte, was die Sinne wieder entwirrt.

Die Handlung läuft in drei Erzählsträngen mit ebenso vielen Protagonistinnen ab. Die prominenteste Rolle kommt dabei der Orogene Essun zu, die in einer kleinen Gem eine Familie gegründet hat und ihre Gabe vor ihrer Umwelt geheim hält. Doch leider hat sie diese an ihre Kinder weitervererbt – als ihr Mann dies bemerkt, erschlägt er den Sohn und entführt die Tochter. Als der Roman beginnt, ist dies bereits geschehen. Dass Essuns Kapitel in zweiter Person erzählt werden, scheint daher zunächst den Schockzustand einer Figur widerzuspiegeln, die neben sich steht. Im weiteren Verlauf des Romans werden wir sehen, dass es dafür auch eine andere Erklärung geben kann.

Die beiden anderen Stränge wirken etwas konventioneller. Damaya ist ein junges Mädchen mit Orogenen-Gabe, das von seiner Familie verstoßen und vom Fulcrum-Orden aufgenommen wird, um seine Kräfte kontrollieren zu lernen. Es folgt das gewohnte Handlungsmuster aus Selbstfindung zwischen strenger Disziplin und schulischem Mobbing. Dritte im Bunde ist die junge Orogene Syenit, die zusammen mit einem versierteren Ordenskollegen in eine Stadt entsandt wird, die von einem geologischen Problem geplagt wird. In welchem zeitlichen und kausalen Zusammenhang diese drei Erzählstränge stehen, bleibt lange Zeit offen, wird aber noch in diesem Band der Trilogie geklärt werden. Dialoge, Innenschau und Action in teils kataklysmischem Ausmaß halten sich dabei die Waage.

Das nächste "Game of Thrones"?

Unsere drei Heldinnen bewegen sich zu Fuß über den Kontinent, und dieses Tempo spiegelt die Erzählung wider. Das ist kein Roman, über den man einfach mal so schnell drüberlesen kann – was ohnehin schade wäre, denn dafür hat Jemisin sprachlich zu viel auf dem Kasten. Der langsame Aufbau und die Komplexität der Handlung würden sich aber hervorragend dafür eignen, daraus eine Serie zu machen. Und tatsächlich ist "Broken Earth" bereits von TNT für eine TV-Serie optiert worden. Die Suche nach einem Nachfolger für das bald auslaufende "Game of Thrones" läuft – nach dem Flop der "Shannara Chronicles" und dem wer-weiß-wie-langen Warten auf die Tolkien-Serie besteht da eindeutig Bedarf, und Jemisins Szenario hat großes Potenzial.