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Wow, das war nicht ohne, was?, schreibt N. K. Jemisin im Nachwort des Abschlussbands ihrer Trilogie. Und auch wenn das einen Tick selbstgefällig klingt – falsch ist es nicht. Die drei Bände der "Großen Stille" boten einen so noch nicht gelesenen Mix aus einzigartigem Worldbuilding, Hauptfiguren, die sich nicht ins Heldenschema pressen lassen, Spiel mit Erzählperspektiven, Fantasy-untypischen Stilexperimenten (inklusive einer Prise Marlene Streeruwitz), einem Hang zum Rätselhaften, politischen Metaphern und der Flamme revolutionären Geistes im Herzen.

Eines noch vorab: "Steinerner Himmel" ist unmöglich zu verstehen, wenn man die beiden Vorgängerbände "Zerrissene Erde" und "Brennender Fels" nicht gelesen hat. Wer es mal mit Jemisin versuchen will, muss die Trilogie unbedingt von vorne beginnen.

Wie alles begann

Im Abschlussband gibt sich endlich jener ominöse Erzähler zu erkennen, der uns die Kapitel um Hauptfigur Essun seit Beginn der Trilogie in zweiter Person geschildert hat. Und am Ende zeigt sich sogar, dass diese äußerst selten gewählte Erzählform nicht nur dem Versuch entsprungen ist, originell zu sein, sondern tatsächlich einen plausiblen Grund hat. Auf dieser Handlungsebene begeben wir uns zehntausende Jahre in die Vergangenheit, in die Ära, bevor die Welt der "Stille" ihren heutigen kaputten Zustand erreicht hatte. Überraschenderweise landen wir da aber nicht etwa in unserer Ära, sondern in einer Welt, die wie deren fantasmagorisches Zerrbild anmutet.

Die Nation von Syl Anagist mit ihrer organisch gewachsenen Architektur und gentechnisch produzierten Hochtechnologie wirkt auf den ersten Blick wie ein wahr gewordener utopischer Traum. Die Menschen scheinen alle Kräfte des Seins ergründet und sich untertan gemacht zu haben, aber es ist ihnen immer noch nicht genug. Erst mit der neuen Geoarkanität (einem von mehreren letztlich etwas verwirrenden Magie-Konzepten in Jemisins Trilogie) werde jedes Problem gelöst sein. Ewiges Leben und ewiger Wohlstand für alle! Alle? Nicht ganz, denn wie wir sehen werden, ist es für das Projekt wieder einmal "notwendig", fühlende Wesen zu instrumentalisieren. Ganz so wie die Orogenen, die tektonische Prozesse steuern können, auf der Gegenwartsebene der Trilogie. Einmal mehr blicken wir auf ein System, das auf Entmenschlichung und Ausbeutung beruht.

Ende der Ruhepause

Zurück in die Gegenwart: Nach dem statischen Teil 2 setzt sich das Geschehen nun buchstäblich wieder in Bewegung. Während die Welt in Folge der jüngsten geologischen Katastrophe langsam vor die Hunde geht, sucht die Orogene Essun mit einer Gruppe Überlebender nach einer neuen Heimat. Jeder Tag ist ein zähes, dreckiges Ringen mit dem Tod – auch wenn dieses in einem geologischen Wunderland stattfindet, das seine ganz eigene Schönheit hat (die gefährliche Pyrotechnik einmal ausgeklammert).

Essuns Tochter Nassun lässt derweil Fantasy-Gefilde hinter sich und erkundet die letzten Reste dessen, was von der Supertechnologie der fernen Vergangenheit übriggeblieben ist. Und so reist sie zur anderen Seite der Welt, zum mysteriösen Kernpunkt, wo sich das Schicksal der Welt entscheiden soll. Den metaphorischen Schlüssel dafür halten beide Frauen in Händen. Und bis zuletzt bleibt die Frage spannend, in welche Richtung die Entscheidung fallen wird: Soll die Welt repariert werden ... oder soll sie als Strafe für ihre Ungerechtigkeit brennen?

Blind darauf vertrauen, dass Jemisin zu guter Letzt ein Happy End kredenzen wird, kann man nämlich nicht. Wie die Lava in den Verwerfungslinien unter der Welt der "Stille", so brodeln in der Erzählung auch die Emotionen – und eine der stärksten ist Unversöhnlichkeit: "Erzähl mir nichts von unschuldigen Zuschauern, unverdientem Leiden, herzloser Rache. [...] Nun, einige Welten sind auf einer Verwerfungslinie aus Schmerz errichtet worden, aufrecht gehalten durch Albträume. Klage nicht darüber, wenn diese Welten fallen. Sei wütend darüber, dass sie erschaffen wurden, um unterzugehen."

Die Sache mit dem Rassismus

Wie schon in der Rezension zu "Brennende Erde" gesagt, thematisiert Jemisin Machtverhältnisse. Ob sie auch Rassismus analysiert, wie in vielen Rezensionen zeitgeistig in die Runde geworfen wird, da zögere ich etwas. Einige unverkennbare Signale in diese Richtung werden sicher gesetzt. Der Ausdruck Rogga – ein Schimpfwort für Orogene – hat sicher nicht nur zufällig morphemische Ähnlichkeit mit "Nigga"; jedenfalls nicht, wenn er von einer politisch so bewussten Autorin wie N. K. Jemisin kommt. In einer Schlüsselstelle des zweiten Bands spricht Essun ein Machtwort und erklärt, dass sie keine Abstimmung darüber zulassen werde, welche Art Menschen man retten darf und welche nicht. Das ist an Eindeutigkeit kaum zu überbieten – wie auch ein Zitat aus einer Charta des alten Machtsystems, in dem Orogene als "minderwertige Spezies" verunglimpft werden.

Auf der anderen Seite hätten wir da den kuriosen Umstand, dass die Menschen in dieser Trilogie so sehr in "Rassen" unterteilt werden, wie ich es schon lange in keinem Buch mehr gelesen habe. Dass Jemisin bemerkenswert viel auf äußerlichen Unterschieden und sogar auf angeblich volkstypischen Charakterzügen herumreitet, sollte auch nicht unerwähnt bleiben.

Liefert die Phantastik eine schiefe Metapher?

Gleichzeitig sind die Orogenen explizit keine ethnische Gruppe, entsprechend begabte Kinder können überall geboren werden. Als Rassismus-Metapher eignen sie sich damit höchstens auf Umwegen – analog zu all den unterschiedlichen Varianten des Homo superior, die die Phantastik hervorgebracht hat, von A. E. van Vogts Slan bis zu den "X-Men". Die werden zwar auch immer wieder gerne in einen Antirassismus-Kontext gestellt. Nur sollte man sich vielleicht einmal genauer anschauen, ob die Phantastik da nicht eine grundlegend schiefe Metapher liefert und der Sache damit letztlich einen Bärendienst erweist.

Denn während sich der reale Rassismus an belanglosen Körpermerkmalen festmacht, geht es hier um Fähigkeiten mit potenziell unabsehbaren Folgen. Es ist nicht dasselbe, ob sich jemand Pfefferspray oder eine Atombombe ins Handtäschchen steckt. Jemisins Figuren zeigen das sehr schön: Sie reagieren auf Angriffe mit der Verhältnismäßigkeit von Daenerys Targaryen und lösen aufgrund persönlicher Befindlichkeiten Katastrophen aus. Nüchtern betrachtet sind alle zentralen Orogenen der Trilogie Massenmörder. Selbst die kleine Nassun löscht buchstäblich im Vorbeigehen eine ganze Siedlung aus – von späteren Massakern ganz zu schweigen.

Das Kreuz mit den Superwesen

Just ein Genre, dem viele eine geringe Intellektualität attestieren, hat diesen inneren Widerspruch bislang am stärksten thematisiert: der Superhelden-Comic. Marvel hat den Grundstein gelegt, Reihen wie die "Watchmen", "The Authority", "The Boys" und viele andere sind weitergeschritten und hinterfragen kritisch die Rolle von Superhelden. Superwesen – die klassische Einteilung in "Helden" und "Schurken" ist mitunter gegenstandslos – lösen Probleme ... die es ohne sie oft gar nicht gäbe. Und bei deren Lösung erst recht wieder gewaltiger Kollateralschaden entsteht. Ein gewöhnlicher Mensch, egal welcher körperlichen Erscheinung, kann da nur hilflos zuschauen (und hoffen, dass er nicht von den Trümmern erschlagen wird).

Jemisin kommt diesem Reflexionsgrad mit ihrer Trilogie zumindest nahe. Mit höchst ambivalenten Hauptfiguren, die Opfer, Täter, Monster und Hoffnungsträger gleichermaßen sind. Menschen eben. In einfache Interpretationsschablonen lassen sich die nicht stecken.