Die EU-Abgeordneten von Victor Orbáns Fidesz-Partei wollen sich von der EVP lossagen. Die EVP hat die Mitgliedschaft der Fidesz aber bereits im März 2019 suspendiert.

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Die Auseinandersetzung zwischen der Fidesz-Partei von Viktor Orbán und ihrer Dachpartei auf europäischer Ebene, der Europäischen Volkspartei (EVP) ist seit Donnerstag um eine skurile Facette reicher. Für kurze Zeit sah es so aus, als würden die 12 EU-Abgeordneten von Fidesz einen Schlussstrich ziehen und die Parteifamilie der Christdemokraten aus eignem Antrieb verlassen.

Am Vormittag gab Katalin Novák, Vizepräsidentin der Partei und Staatssekretärin, überraschend via Twitter bekannt: "Wir haben entschieden, die Mitgliedschaft in der EVP-Fraktion zu suspendieren", also im EVP-Klub im Europäischen Parlament. Als Grund führte sie an, dass die Fraktion "in eine liberale, linke Richtung geht". Es stelle sich die Frage, ob die EVP die christliche Kultur respektiere, eine Linie gegen Migration und für die Familie einschlage.

Der Tweet spricht nun nicht mehr von Suspendierung der Mitgliedschaft der EVP-Fraktion im EU-Parlament, sondern lediglich der EVP. Dort ist die Fidesz allerdings bereits seit März 2019 suspendiert.

Ein Sprecher der EVP-Fraktion zeigte sich daraufhin irritiert. Einer "Suspendierung" der Mitgliedschaft eines Abgeordneten, sei es durch ihn selbst oder die Fraktionsführung, sei in den Statuten gar nicht vorgesehen. Er wies aber darauf hin, dass die Fidesz als Partei seit einem Jahr ohnehin in der europäischen Dachpartei suspendiert sei. Weder nähmen Delegierte an Sitzungen teil noch dürften sie abstimmen.

Irrtum oder Polemik

Kaum war dies durchgedrungen, machte Novák einen Rückzieher. Sie korrigierte ihren Tweet, indem sie die "Suspendierung" der Mitgliedschaft "in der EVP-Fraktion" durch "in der EVP" ersetzte. Das wurde mit einem "Irrtum" erklärt, hatte aber wohl den Sinn, gegen EVP-Präsident Donald Tusk zu polemisieren.

Seit einem Jahr tobt bereits ein Streit um einen möglichen Ausschluss der Fidesz aus der Dachpartei, weil der ungarische Premierministers Viktor Orbán ständig mit antieuropäischer Rhetorik und Verstößen gegen EU-Grundrechte auffiel. Vor den Europawahlen im Mai 2019 wurde die Fidesz auf Antrag von EVP-Fraktionschef Manfred Weber suspendiert und ein Weisenrat von drei prominenten Christdemokraten eingesetzt, darunter Östzerreichs Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel. Der sollte den Fall prüfen und einen Vorschlag machen sollte, wie man weiter mit der Orbán-Truppe umgeht. Weil man sich nicht einigen konnte, fehlt der Bericht der Weisen bis heute.

Tusk fordert harte Linie gegen Orbán

Der Pole Tusk, der frühere Ständige Präsident des Europäischen Rates, der erst seit ein paar Monaten EVP-Präsident ist, hatte immer für eine harte Linie gegen Orbán plädiert, genauso wie der frühere Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der den Rauswurf der Fidesz offensiv gefordert hatte. Orbán wollte selber nicht austreten, er machte aber den Anschein, dass er den Ausschluss provozieren wollte, um sich dann zu Hause als Opfer der Liberalen in der EVP präsentieren zu können.

Die Tweets von Novák weisen auch darauf hin, dass es ihr vor allem um Attacken gegen Tusk ging. Sie betont, dass die Fidesz immer "konstruktiv zusammengearbeitet", alle Fragen der Weisen beantwortet habe. In der EVP gebe es aber nur Konfusion und Missverständnisse. Tusk habe "die Krise nicht lösen können". Mehr noch: Sie warf dem Polen vor, die EVP als Plattform für innenpolitische Zwecke in seiner Heimat zu missbrauchen.

Wie geht es weiter? In der EVP wird der Vorstoß als weiterer Versuch der Fidesz gesehen, einen baldigen Ausschluss zu provozieren, damit Orbán sich dann als Opfer und "Retter des Abendlandes" vor den "linken Christdemokraten" präsentieren kann. Vermutlich würde er dann versuchen, sich im EU-Parlament der Fraktion der EU-skeptischen Konservativen anzuschließen, die derzeit von der polnischen PiS dominiert wird, nachdem die britischen Tories mit dem Brexit im Februar ausgeschieden sind. (Thomas Mayer aus Brüssel, 11.6.2020)