Das Corona-Virus hat viele Eintrittspforten im menschlichen Körper – die Schwere einer Covid-19-Erkrankung hängt von vielen Faktoren ab.

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Wer an Covid-19 erkrankt, leidet in den meisten Fällen an einer Atemwegserkrankung. Bekommt das Immunsystem das Virus nicht in den Griff, wandert es in schwereren Fällen im Körper weiter nach unten, und es kommt zu einer Lungenentzündung, in seltenen Fällen zu akutem Lungenversagen. So weit, so bekannt. Doch Covid-19 kann auch andere Organe im Körper angreifen.

Meist sind von den Auswirkungen in weiteren Organen nur jene rund fünf Prozent der Erkrankten betroffen, bei denen die Infektion schwere, lebensbedrohliche Verläufe nimmt. Auch ist es für konkrete Aussagen noch zu früh, denn bisher gibt es zu den Erkrankungen der einzelnen Organe nur Fallberichte von behandelnden Medizinern sowie Studien, die meist mit nur wenigen Probanden durchgeführt wurden.

Was Studien zeigen

Rechtsmediziner des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE) haben 22 Patienten autopsiert, die nach einer Infektion mit Sars-CoV-2 gestorben sind. Für die Studie wurde die Viruslast in Gewebeproben in sieben verschiedenen Organen untersucht. Die höchste Konzentration von Viruskopien pro Zelle wurde in den Atemwegen nachgewiesen. In geringerer Menge war die Virus-DNA aber auch in Niere, Leber, Herz, Gehirn und Blut nachweisbar. Sars-CoV-2 sei deshalb kein reines Atemwegsvirus, sondern ein "Multiorganvirus", so das Fazit der Mediziner.

Eine mögliche Ursache für die Beteiligung derart vieler Organe ist der ACE2-Rezeptor, der für Sars-CoV-2 die Eintrittspforte in den Körper ist. Er ist nicht nur in den oberen Atemwegen und der Lunge zu finden, sondern auch in Herz, Niere, Magen und Darm. Wie auch immer das Virus dorthin kommt, es könnte an den entsprechenden Stellen ebenfalls über den Rezeptor in den Körper gelangen. "Eintrittspforten für das Virus gibt es auf vielen Zellen im Körper", sagt etwa der Virologe Stefan Winkler von der Med-Uni Wien und führt als Beispiel den Darm an: "Bei vielen Viruserkrankungen, die in der Lunge eine Rolle spielen, haben die Patienten auch Durchfall. Das ist nicht ungewöhnlich", so Winkler.

Selbiges gilt für die Augen. Bei fast allen Viruserkrankungen können die Augen mitbeteiligt sein, so auch bei Covid-19. Eine Bindehautentzündung ist ein mögliches Symptom – übrigens auch bei einer Influenza-Erkrankung.

Schäden durch Behandlung

Möglicherweise ist das Virus auch gar nicht direkt für die Erkrankung einzelner Organe verantwortlich, sondern es sind die Methoden, mit denen Patienten mit schweren Verlaufsformen auf Intensivstationen behandelt werden. Künstliche Beatmung und Medikamente können etwa die Nieren schwer schädigen und eine akutes Nierenversagen verursachen, nicht nur bei Covid-19, sondern auch bei anderen Krankheitsbildern.

Auch die Blutgefäße können in Mitleidenschaft gezogen sein: 25 Prozent der Patienten mit schweren Verlaufsformen entwickeln Thrombosen oder Embolien, das verwundert die Thrombose-Expertin Ingrid Pabinger-Fasching von der Med-Uni Wien nicht. Die Patienten sind meist schon schwerkrank, ihr Organismus bereits geschwächt, das wirkt sich auf die Blutgerinnung aus. "Wir kennen das von Krebs- oder Sepsispatienten, deren Allgemeinzustand schlecht ist – sie sterben letztendlich oft an Embolien. Eine Thrombose ist nicht spezifisch für Covid-19", sagt sie.

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Die Eintrittspforten im Überblick:

  • Gehirn: Forscher halten es für sehr wahrscheinlich, dass Sars-CoV-2 auch ins Gehirn vordringen kann – Ähnliches ist von Polio- und Masernviren bekannt. Möglicherweise beeinträchtigt das Virus dort den Riechkolben, der für den Geruchssinn zuständig ist, sowie die Medulla oblongata des Hirnstamms – sie reguliert die Atmung und den Blutkreislauf. In Tierversuchen wurden diese Effekte bereits nachgewiesen. Auch Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen, Bewusstseinstrübung und Krampfanfälle wurden schon beschrieben.
  • Lunge: Ist das Immunsystem nicht wehrhaft genug, wandert das Virus von Nase und Rachen in die Lunge hinunter. Bei Patienten mit schweren Verläufen löst es eine lebensgefährliche Lungenentzündung aus, die sich zunehmend verschlechtert. Wenn 70 Prozent der Lunge oder mehr betroffen sind, besteht die Gefahr, dass Patienten ein Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS) erleiden. Dann müssen sie künstlich beatmet werden, ansonsten können die Organe im Körper nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden.
  • Leber: Bei bis zu 50 Prozent der Erkrankten sind die Leberwerte erhöht. Das ist womöglich weniger auf die Infektion selbst als auf die Medikamente zurückzuführen, die bei schweren Verläufen verabreicht werden. Zudem sind erhöhte Leberwerte eine bekannte Begleitreaktion des sogenannten Zytokinsturms, einer Art generalisierten Entzündungsprozesses, der bei Covid-19-Patienten mit schweren Verlaufsformen häufig beschrieben wird. Zellen des Immunsystems könnten dabei fälschlicherweise auch die Leber angreifen.
  • Haut: Laut Robert-Koch-Institut treten Manifestationen auf der Haut nach aktuellem Wissensstand selten auf, laut einer chinesischen Studie wurden sie nur bei 0,2 Prozent der Erkrankten beobachtet. Beschrieben werden juckende, Masern-ähnliche Ausschläge, Papeln, Rötungen und ein Nesselsucht-ähnliches Erscheinungsbild sowie Hautbläschen und Hautläsionen, die an Frostbeulen erinnerten. Möglicherweise sind diese Symptome keine direkte Folge von Covid-19, sondern die Folge von Thrombosen in kleinen Blutgefäßen unter der Haut.
  • Magen-Darmtrakt: Wissenschafter vermuten, dass Sars-CoV-2 über geschlucktes Sekret aus der Nase in Magen und Darm gelangt. Gewichtsverlust, Übelkeit, Bauchschmerzen und Erbrechen sind Symptome, die beobachtet wurden. Von Durchfall berichten sogar 20 Prozent der Betroffenen. Dünn- und Dickdarm verfügen ebenfalls über Zellen mit dem ACE2-Rezeptor. Holländische Forscher haben nachgewiesen, dass Sars-CoV-2 Darmzellen befällt und sich dort vermehrt. Das Virus wurde auch im Stuhl nachgewiesen, ist dort aber nicht infektiös.
  • Augen: Laut der American Academy of Ophthalmology (AAO) kommt es bei einem bis drei Prozent aller Covid-19-Patienten zu einer Konjunktivitis, also einer Bindehautzentzündung. Betroffen sind vor allem Patienten mit schweren Verläufen. Eine kleine chinesische Studie hat sogar bei einem Drittel der Probanden Symptome an den Augen festgestellt. Höchstwahrscheinlich kann Sars-CoV-2 durch eine Tröpfcheninfektion bei Kontakt mit der Bindehaut übertragen werden. Forscher haben das Virus in der Tränenflüssigkeit nachgewiesen.
  • Atemwege: In den meisten Fällen gelangt das Virus durch Zellen des Nasen- und Rachenraums in den Körper. Es dockt dort an den sogenannten ACE2-Rezeptor an, woraufhin das Virus sich in den Zellen repliziert, sich also vermehrt. Wie Wissenschafter aus North Carolina gezeigt haben, kann Sars-CoV-2 vor allem die Zellen der Nasenschleimhaut besonders gut infizieren und bahnt sich von dort den Weg in die unteren Atemwege. Laut Robert-Koch-Institut berichten rund 70 Prozent der europäischen Patienten von einem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns.
  • Herz: Mehrere Untersuchungen zeigen, dass schwerkranke Covid-19-Patienten auch kardiovaskuläre Erkrankungen bekommen, etwa Herzinfarkt, Herzinsuffizienz oder Herzrhythmusstörungen, sowie eine erhöhte Blutgerinnung und somit ein gesteigertes Risiko für Thrombosen und Embolien haben. Letztere bildeten oft auch die Todesursache. Die Zusammenhänge sind bislang unklar, sowohl die Herzmuskelzellen als auch die Zellen in den Blutgefäßen verfügen über den ACE2-Rezeptor, den das Virus nutzt, um in den Körper einzudringen.
  • Niere: Insbesondere bei schwer erkrankten, beatmungspflichtigen Covid-19-Patienten wurde laut Robert-Koch-Institut akutes Nierenversagen registriert. In einer großen Studie mit hospitalisierten Patienten aus New York zeigte sich, dass 36,6 Prozent ein akutes Nierenversagen entwickelten, 14,3 Prozent brauchten eine Dialysebehandlung. Allerdings kann auch die künstliche Beatmung Ursache für das Nierenversagen gewesen sein. Patienten mit schweren Verläufen und Nierenschäden versterben häufiger als jene mit intakten Nieren. (Bernadette Redl, 13.6.2020)