Eigentlich wollte Google die erste Beta für Android 11 schon Anfang Mai veröffentlichen. Angesichts der Corona-Krise und zuletzt auch der Protestwelle gegen rassistische Polizeigewalt in den USA hat es schlussendlich etwa länger gedauert als geplant. Vor kurzem war es dann aber so weit: Die Beta steht zum Download bereit.

Wenig los?

Wer die offiziellen Ankündigungen liest, könnte schnell zum Schluss kommen, dass es sich bei Android 11 um eines der kleineren Updates der vergangenen Jahre handelt. Und hätte damit aus Nutzersicht wohl nicht einmal unrecht: Sind die wirklich sichtbaren Änderungen doch im Vergleich zu den Vorjahren eher dünn gesät. Wer die Beta dann selbst ausprobiert, der wird allerdings rasch merken, dass es sehr wohl einige interessante Highlights gibt – die noch dazu das Zeug haben, die Art, wie wir Smartphones nutzen, zu verändern.

Die Android 11 Beta ist da!

Kaum eine Android-Release, bei der Google nicht am Benachrichtigungssystem des Betriebssystems herumbastelt. Und da bildet auch Android 11 keine Ausnahmen. Der Softwarehersteller nimmt eine Reihe zunächst klein wirkender Änderungen vor, die aber gemeinsam eine signifikante Verschiebung im Nutzungskonzept zur Folge haben. Und zwar weg von einem App- und hin zu einem User-zentrierten Ansatz. Doch der Reihe nach.

Konversationen im Fokus

Konversationen werden nun extra herausgehoben im Benachrichtigungsbereich.
Grafik: Google
Die Bubbles werden über dem restlichen Smartphone-Geschehen eingeblendet.
Grafik: Google

Mit Android 11 führt Google eine neue Kategorie im Benachrichtigungsbereich ein, die sogenannten Konversationen. An dieser Stelle werden sämtliche Gespräche aus Messaging- und Chat-Apps zusammengeführt, und zwar oberhalb all der anderen Benachrichtigungen. Die Überlegung dahinter ist simpel: Solche Konversationen sind für die User einfach wichtiger als irgendwelche Push-Mitteilungen von Webseiten oder Statusinformationen von Apps, also sollen sie auch entsprechend prominent positioniert werden.

Damit einher geht ein Redesign der betreffenden Benachrichtigungen: Der Name des Chats oder der Person werden hervorgehoben, der zugehörige Avatar ebenfalls. Auch sind die einzelnen Benachrichtigungsbereiche durch Überschriften und zusätzlichen Abstand klar voneinander getrennt.

Zudem gibt es die Möglichkeit, einzelne Chats als "prioritär" zu markieren, womit sie dann ganz oben in dieser Liste stehen und entsprechende Benachrichtigungen schon in der Statuszeile über dem Avatar des jeweiligen Users – statt wie üblich dem App-Icon – klar gekennzeichnet sind. Damit können also etwa persönliche Diskussionen noch einmal höher als Gruppendiskussionen gewichtet werden. Zudem können solche prioritären Mitteilungen auch vom Do-not-disturb-Modus des Smartphones ausgenommen werden.

Bubbles

Vor allem aber geht damit dann noch ein anderes neues Konzept einher: die sogenannten "Bubbles". In Android 10 noch ein experimentelles – und verstecktes – Feature, sind diese jetzt von Haus aus aktiviert. Vereinfacht kann man sich diese als eine Art systemweites Pendant zu den "Chat-Heads" von Facebook vorstellen. Für prioritäre Konversationen werden dann also – wenn die Nutzer dies wollen – kleine Icons über dem restlichen Smartphone-Geschehen eingeblendet. Klickt man auf diese, wird eine Art Miniansicht der zugehörigen App geöffnet. Die Nutzer können hier also schnell antworten, ohne je die zuletzt genutzte App verlassen und zum jeweiligen Messenger wechseln zu müssen.

Eine Kommunikationszentrale

Damit werden die Bubbles – oder alternativ der korrespondierende Bereich bei den Notifications – also zu einer Art Kommunikationszentrale, in der alle Konversationen zusammengeführt werden. Insofern wird auch weniger wichtig, worüber kommuniziert wird, stattdessen stehen die Gesprächspartner konzeptionell ganz im Vordergrund. Google versucht auf diesem Weg zwar nicht, bestehende Apps zu ersetzen, allerdings rückt ihre Relevanz in der Alltagsnutzung stärker in den Hintergrund. Damit stellt sich Google – wenn man so will – auch dem Versagen der eigenen Messaging-Strategie. Anstatt eine App zu etablieren, die unter Android alles beherrscht, führt man lieber all die unterschiedlichen Programme in einem Konzept zusammen.

Ein Ort für Musik und mehr

In der Ankündigung der Android 11 Beta kam es nur am Rande vor, aber auch in Hinblick auf die Medienwiedergabe nimmt Google konzeptionelle Änderungen vor: So gibt es künftig einen fixen Bereich bei den Schnelleinstellungen, über den die zuletzt abgespielte Musik, Podcasts oder auch Filme erreicht werden können. Und zwar eben wieder unabhängig von der dahinterstehenden App. Auch hier wird also wieder ein zentraler Anlaufpunkt für eine spezifische Aufgabe geschaffen.

Screenshots: Proschofsky / STANDARD

Konkret sieht das so aus: Es wird dauerhaft eine Art Karussell aus den fünf zuletzt abgespielten Titeln präsentiert, durch das die Nutzer seitlich swipen können – und zwar egal ob die Wiedergabe lokal oder an ein anderes Gerät gestreamt wurde. Zudem bleibt diese Liste sogar nach einem Reboot aufrecht. Damit kann schnell die Wiedergabe fortgesetzt werden, ohne erst die jeweilige App aufsuchen zu müssen.

Ausgabe

Dieser Ansatz als Wiedergabezentrale wird noch durch eine weitere Neuerung unterstrichen: nämlich dass nun bei der Mediensteuerung leicht auf einen anderen Ausgabekanal gewechselt werden kann. Wer will, kann also flott zwischen Kopfhörer und Telefonielautsprecher oder auch Casten auf ein anderes Gerät wechseln, ohne in die betreffende App wechseln zu müssen.

Angemerkt sei, dass all dies in der aktuellen Testversion noch hinter einer versteckten Einstellung in den Entwickleroptionen versteckt ist. In den kommenden Betas soll dies aber von Haus aus aktiviert werden. Screenshots in der offiziellen Entwicklerdokumentation legen zudem nahe, dass es bis zur fertigen Version noch visuellen Feinschliff geben wird.

Gerätesteuerung

Über einen Langdruck auf den Ausschaltknopf kann man künftig nicht nur das Gerät neustarten – auch Smart-Home-Steuerelemente landen hier.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Spätestens bei der dritten großen Neuerung sollte dann wirklich jedem ein durchgängiges Thema auffallen: Auch mit den "Gerätekontrollen" wird nämlich ein zentraler Anlaufpunkt für sonst über verschiedene Apps verstreute Funktionalität geschaffen. In diesem Fall geht es um die Steuerung von Geräten aus dem Bereich Smart Home. Nach einem Langdruck auf den Power-Button werden künftig Schaltflächen dargestellt, mit denen etwa schnell das Licht ausgeschaltet oder in der Helligkeit reguliert werden kann, auch der Staubsauger lässt sich von hieraus losschicken. Das erweist sich schnell als nützlich und ist vor allem erheblich flotter, als jedes Mal die passende App aufsuchen zu müssen.

Passend dazu gibt es neue Schnittstellen, die es Apps ermöglichen, sich an dieser Stelle zu platzieren – oder genauer gesagt, sich den Nutzern anzudienen. Was hier schlussendlich platziert wird, wählen nämlich natürlich die User selbst aus. Die erste App, die das Ganze unterstützt, ist – wenig überraschend – Google Home, aber es ist davon auszugehen, dass hier bald andere nachziehen werden. Und noch ein Detail: Wem das an dieser Stelle Gebotene zu wenig ist, der kann über einen Langdruck weitere Optionen – etwa zur Einstellung der Lichtfarbe – aufrufen oder anschließend direkt auf die zugehörige App wechseln.

Sprachsteuerung

Ein Thema, dem in der öffentlichen Betrachtung oft zu wenig Betrachtung zukommt, ist die Barrierefreiheit. Immerhin sind entsprechende Tools essenziell, damit ein bedeutender Teil der Weltbevölkerung überhaupt Smartphones nutzen kann. In Android 11 gibt es hier einen sehr interessanten Fortschritt – und zwar bei der Sprachsteuerung.

Ist die Option "Voice Access" aktiviert, analysiert das System künftig sämtliche User-Interface-Elemente, um sie für Sprachbefehle aufzubereiten. Damit ist es dann möglich, direkt anzusagen, was man vom Smartphone will. Also etwa eine App mit ihrem Namen aufrufen, einen Button durch Aussprechen des zugehörigen Textes betätigen oder auch einfach "scroll down" für die Navigation in einer App zu sagen. Das ist wesentlich natürlicher als bisherige Konzepte, bei denen sämtliche User-Interface-Elemente mit einer Ziffer versehen werden, über die sie dann aktiviert werden können.

Ein gutes Beispiel für die Möglichkeiten von Voice Access in Android 11.

Scoped Storage

Ein Punkt in dieser Geschichte sei dann aber trotzdem einer strukturellen Verbesserung in Android gewidmet – immerhin besitzt sie große Relevanz für Datensicherheit und Privatsphäre von Android-Nutzern. Google dröselt nämlich endlich die problematische Storage-Berechtigung auf. "Scoped Storage" nennt sich dieses Konzept, an dem man sich schon in der Entwicklungsphase von Android 10 versucht hat, das aber nach Kritik von Drittentwicklern – nicht zuletzt an dem dadurch für sie entstehenden Aufwand – zunächst wieder zurückgezogen wurde. Mit Android 11 wird es nun aber ernst.

Um zu verstehen, wie wichtig dieser Umbau ist, müssen zunächst einmal der Status quo und das Problem damit beschrieben werden. Unter Android können Apps ihre Daten an zwei unterschiedlichen Orten speichern: einem "intern" und einem "extern" genannten. Während alles, was im ersten landet, schon lange strikt von anderen Apps getrennt ist, landen die externen Daten in einem gemeinsam genutzten Verzeichnis. Der Zugriff auf dieses ist zwar über die Storage-Berechtigung abgesichert, aber wenn fast alle Apps diese anfragen, wird sie irgendwann sinnlos. Weil die Nutzer sie dann eben einfach ohne Nachdenken erteilen – oder ihr gar nicht auskommen, weil die betreffende App sonst nicht funktioniert.

Diese Situation hat aber eben problematische Konsequenzen: Jede App mit Storage-Berechtigung kann beispielsweise auf alle auf dem Smartphone gespeicherten Fotos zugreifen und dort in Ruhe die EXIF-Daten auslesen, um zu sehen, wo die User sich so herumtreiben. Ebenso denkbar ist eine bösartige App, die versucht, Daten anderer Apps zu manipulieren.

Großreinemachen

Mit "Scoped Storage" wird dem nun ein Ende bereitet. Zunächst gibt es künftig auch im "externen" Bereich für jede App einen exklusiven Bereich, auf den kein anderes Programm Zugriff hat. Das ist etwa für Spiele gedacht, die große Ressourcen nachladen. Dieser Bereich steht automatisch zur Verfügung, eine Berechtigung dafür muss nicht eingeholt werden. Dasselbe gilt für das Schreiben neuer Fotos, Videos oder Musikdaten. Was hingegen sehr wohl über eine neue "Files and Media" genannte Berechtigung abgesichert wird, ist der Zugriff auf die von anderen Apps erstellten Daten. Wenn also ein Bildbearbeitungsprogramm Fotos lesen und verändern will, muss es zuerst bei den Nutzern diese Berechtigung einholen.

Auf alles andere gibt es für Apps generell keinen direkten Zugriff mehr. Eine App, die etwas aus dem Downloads-Verzeichnis öffnen will, kann das zwar noch immer – aber nur mehr über den offiziellen Dateiauswahldialog. Die Nutzer erteilen auf diese Weise durch die Selektion der betreffenden Datei eine implizite Genehmigung – aber ohne dass die App sieht, was sonst noch so in dem Verzeichnis liegt.

Und selbst für alle, die die "Files and Media"-Berechtigung erteilt bekommen haben, gibt es noch eine entscheidende Einschränkung: Der Zugriff auf Standortinformationen in den EXIF-Daten von Fotos ist noch einmal extra abgesichert. Dafür müssen sich Apps also über die generelle Berechtigung hinaus explizit die Erlaubnis der User einholen.

Nicht ganz einfach zu verstehen, aber ein wichtiger Schritt für Android: der Umbau der Storage-Berechtigung.
Grafik: Google

Wer sich jetzt fragt, wie da jetzt eigentlich Dateimanager noch funktionieren sollen, der stellt eine durchaus berechtigte Frage. Aber auch dafür gibt es eine Lösung: Exklusiv für solche Programme erlaubt Android nämlich sehr wohl noch den Vollzugriff auf das Dateisystem. Allerdings müssen sich die Apps dafür einer Prüfung durch Google unterziehen, sonst fliegen sie aus dem Play Store – oder kommen dort gar nicht mehr hin.

Kein Test

Zum Abschluss sei noch einmal betont, dass es sich hierbei nur um eine Auswahl einzelner Highlights handelt und nicht um Aufzählung sämtlicher neuer Funktionen in Android 11. Trotzdem fällt zunehmend auf, dass konkrete neue Features mittlerweile entweder einfach so über App-Updates kommen oder Google sich diese für die Vorstellung einer neuen Pixel-Generation aufbehält. Da bleiben für die großen Androidversionssprünge vor allem strukturelle Verbesserungen an der Softwarebasis sowie neue Schnittstellen für Entwickler übrig – was für die breite Masse natürlich weniger interessant wirkt.

Angesichts dessen könnte man nur allzu leicht übersehen, dass Google mit Android 11 einen neuen Weg in der Smartphone-Nutzung einschlägt: weg vom App-Fokus, hin zu zentralen Anlaufpunkten für einzelne Funktionen – egal welche App dann dahinter läuft. Man darf gespannt sein, wo dieser Weg in den kommenden Jahren noch hinführt.

Download

Wer die Beta selbst ausprobieren will, braucht dafür derzeit ein halbwegs aktuelles Smartphone aus Googles Pixel-Reihe – konkret ab dem Pixel 2. Dort geht es dann aber recht einfach, Google bietet eine Webseite an, über die man dem Betaprogramm beitreten kann. Anschließend wird ein passendes System-Update an das eigene Gerät geschickt.

Ebenfalls flott war OnePlus, wo es die Beta – wenn auch noch in einem deutlich unfertigeren Zustand – für das OnePlus 8 und OnePlus 8 Pro gibt. Smartphones anderer Hersteller sollen die Beta in den kommenden Wochen erhalten. Eine offizielle Liste gibt es dabei noch nicht. Xiaomi hat die baldige Verfügbarkeit aber bereits für Mi 10 und Mi 10 Pro sowie das Poco F2 Pro angekündigt. Oppo will die Beta für die Find X2-Serie bringen, und Realme verspricht eine erste Testversion für Anfang Juli – und zwar für das X50 Pro.

Vorsicht

Wie immer gilt bei all dem die Warnung, dass es sich dabei noch um eine Testversionen handelt, wer nicht mit kleineren Bugs leben kann, der sollte also lieber die Finger davon lassen. Und auch so manche Bezahl-App – wie Google Pay – läuft derzeit noch nicht. In den kommenden Monaten sollen noch zwei weitere Betaversionen folgen, bevor dann für September das stabile Update auf Android 11 geplant ist. (Andreas Proschofsky, 14.06.2020)