Gab sich im Musikverein energisch Philippe Jordan.

Jean-Fran

Mit den Anfängen ist das so eine Sache. Dass jedem Anfang ein Zauber innewohne, meint die Lyrik zu wissen. Dass aller Anfang schwer sei, proklamiert der Volksmund. Wer zu der Hundertschaft gehörte, die dem Konzert der Wiener Symphoniker im Musikverein beiwohnen durfte, der lernte dabei, dass die Wahrheit in Sachen Anfang zwei Gesichter hat. Trafen doch beide Sentenzen auf den Abend mit den Symphonikern zu.

Das Konzert unter der Leitung Philippe Jordans bezauberte in weiten Teilen. Faszinierend etwa die aparte Akustik im fast leeren großen Musikvereinssaal: Der Nukleus des Orchesterklangs blieb (in den vorderen Sitzreihen) schlank und elegant wie der Kopf eines Pfaus, sein Nachhall geriet so prachtvoll und weitschweifig wie dessen Schwanzfedern. Beethovens dritte Leonoren-Ouvertüre und seine dritte Symphonie wurden in diesem Umfeld über weite Strecken zu einem bezaubernden Klanggenuss.

Großgestischer Antreiber

Auch in der Abenddämmerung seiner sechsjährigen Amtszeit als Chefdirigent der Symphoniker versuchte Jordan sein Orchester als großgestischer Antreiber zu befeuern und als heldengleicher Poseur zu inspirieren – was dem Schweizer nur zum Teil gelang. Im Vergleich zur fulminanten, auch digital archivierten Aufführungsserie aller Beethoven-Symphonien vor drei Jahren musste man Abstriche machen.

Beim Kopfsatz der Eroica wurden Beethovens forsche Metronomangaben nicht erreicht, im Scherzo wie auch im Finale griffen die Zahnrädchen der Orchesterstimmen oft noch etwas ungelenk und knirschend ineinander: Das Schmieröl der täglichen Orchesterroutine fehlte hörbar.

Bemerkenswert auch, wie tranig und elanbefreit die Ersten Geigen das Fortissimo-Thema im Scherzo über die Rampe schickten. Da hat der Wiener Klangkörper in der Corona-Pause einiges an Speck angesetzt, das Andrés Orozco-Estrada ab Herbst wieder abtrainieren müssen wird.

Egal: Die Hundertschaft im Saal applaudierte teils pistolenschusslaut, darunter auch ein matt wirkender Bogdan Roščić. Ab September wird Jordan mit ihm zusammen einen weiteren Anfang zu bewältigen haben – den an der Wiener Staatsoper. (Stefan Ender, 11.6.,2020)