1. Die Friseurin

Es ist ein kalter verregneter Morgen im Juni. Verena Reindl platziert Leihschirme beim Eingangsbereich ihres Geschäfts. Ein nicht zu verachtendes Accessoire in einem Friseurladen. Denn wenn die Dauerwelle einmal sitzt, gilt es, den Juni-Regen möglichst fernzuhalten. Zum Inventar gehören seit geraumer Zeit auch die Schilder mit dem Hinweis zur Maskenpflicht und die große Desinfektionsflasche von Hairteam Verena im oberösterreichischen Enns.

Ein schwieriges Kurzarbeitsmodell, Informationsdefizite vonseiten der Interessenvertretung – für Verena Reindl war der Lockdown zum Haareraufen.
Foto: Alexander Schwarzl

An den Tag des Lockdowns in ihrem haarigen Geschäft kann sich die 40-jährige Unternehmerin noch gut erinnern. "Es war der 12. März. Im Geschäft kam plötzlich die Meldung im Radio, dass wir zusperren müssen", erzählt Reindl im STANDARD-Gespräch. In die unternehmerische Unsicherheit mischte sich ein bislang völlig unbekanntes Gefühl: Freizeit. "Ich habe immer gearbeitet und in den vergangenen Jahren in Summe vielleicht zwei Wochen Urlaub gehabt. Und plötzlich bist du zwei Monate daheim", erzählt die Friseurin.

Geschäftlich stand zu Beginn des pandemiebedingten Niederlegens von Kamm und Schere zunächst ein großes Fragezeichen. "Da hast du schon einige schlaflose Nächte als Unternehmer. Immerhin beschäftige ich zehn Mitarbeiter." Sie sei aber grundsätzlich "ein Mensch mit einem ausgeprägten Sicherheitsdenken". Reindl: "Und ich habe gewusst, dass ich das, mit Blick auf die Umsatzeinbußen, durchstehen werde. Aber man hat uns ziemlich alleingelassen. Etwa beim Thema Kurzarbeit. Da gab es eigentlich keine Informationen, und alleine hätte ich das nie geschafft. Da hat sich sogar mein Steuerberater schon ordentlich dahinterklemmen müssen."

Ärgerlich war für die Unternehmerin auch der Neustart. Mit 1. Mai wurde dieser von politischer Seite fixiert. Einen Tag nach dem Feiertag startete auch das Ennser Hairteam wieder durch. Doch die konkreten Sicherheitsvorschriften erhielt Reindl erste wenige Stunden vor der Wiedereröffnung: "Also das war echt ein Witz. Ich habe 450 Kunden durchtelefoniert und Termine ausgemacht, aber eigentlich bis zuletzt nicht gewusst, ob ich Trennwände aufstellen muss oder wie viele Kunden ich gleichzeitig den Kopf waschen darf." Unzählige Mal habe sie sich an die Wirtschaftskammer gewandt, aber keine Auskunft bekommen. "Um vier Uhr früh am Tag der Wiedereröffnung sind dann erst Informationen per Mail gekommen."

Angesucht hat Reindl auch um Unterstützung aus dem Härtefonds. Wohl wissend, dass der Betrag eigentlich "nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist". Aber: "Das ist okay, das Geld muss ja wo herkommen. Und ich will nicht, dass meine Kinder diese Schulden zahlen müssen."

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2. Der Hotelier

Das Kaminzimmer wäre start klar. Doch noch sind die Ohrensessel und die Feuerstelle im Hotel Seppl in Mutters im Bezirk Innsbruck-Land leer. "Am Montag starten wir wieder", sagt Hausherr Bernhard Fritz. Wobei das Familienhotel – Eltern, Schwiegermutter und Schwester helfen mit – vorerst auf Sparflamme läuft. Fritz musste nach dem plötzlichen Lockdown im März das gesamte Personal kündigen: "Wir wussten nicht, wie lange die Sperre dauern wird. Für einen Betrieb unserer Größe wäre das auch mit Kurzarbeit nicht zu stemmen gewesen", erklärt er.

Am Montag werden statt 16 nur sieben Angestellte zurück an ihren Arbeitsplatz kommen. Die Küche wird im Sommer 2020 geschlossen bleiben, sagt Fritz: "Das geht sich nicht aus. Wir hatten im Herbst die beste Buchungslage seit Bestehen des Hauses, nun haben 85 Prozent der Gäste storniert." Ob und wie er seine 64 Betten füllen kann, weiß Fritz noch nicht.

Am Montag sperrt Bernhard Fritz sein Hotel Seppl in Mutters wieder auf. Lohnen wird sich das nicht, aber er hat im Moment keine andere Wahl.
Foto: Florian Lechner

"Wirtschaftlich gesehen wäre es besser, nicht aufzusperren. Aber das ist ja auch keine Lösung", sagt der 37-jährige Hotelier und Vater dreier Kinder. Die Familie hat sogar überlegt, das Hotel dauerhaft zu schließen und umzusatteln. Aber die Idee, statt Zimmern Wohnungen zu vermieten, ist nicht so einfach umsetzbar, wie Fritz erklärt: "Hotels sind Sonderwidmungsflächen."

Um trotz Krise – Familie Fritz hatte eben erst ins Haus investiert – weiter bestehen zu können, hat das Hotel Seppl einen Überbrückungskredit bei der österreichischen Hotel- und Tourismusbank (ÖHT) beantragt. "Das funktionierte schnell und war nach einer Woche erledigt", sagt Fritz. Allerdings ist es geliehenes Geld, das er nach fünf Jahren zurückzahlen muss: "Ich glaube, es kommen harte Zeiten auf uns zu. Wie sich das ausgehen soll, weiß ich nicht."

Familie Fritz übt sich in Zweckoptimismus. Die Großeltern haben den Betrieb 1963, kurz vor den ersten Olympischen Spielen in Innsbruck, gegründet. Die nunmehr dritte Generation hat den Fokus auf Radfahren, Wandern und Yoga gelegt – mit großem Erfolg. Um daran anknüpfen zu können, ist man auf internationale Gäste angewiesen: "Wir brauchen daher die Grenzöffnungen."

Die Krise hat dazu geführt, dass die Familie sich und ihr Lebensmodell hinterfragte, sagt Fritz: "Ist der traditionelle Weg wirklich noch der richtige?" Zusammen habe man daher versucht, "Festgefahrenes zu lösen". Der Fokus liege nun nicht mehr nur auf dem Betrieb, sondern mehr auf dem gemeinsamen Familienleben.

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3. Der Weinlehrer

Die Tische stehen schon bereit. Alles ist exakt ausgemessen, schließlich muss der Abstand gewahrt werden, wenn Bernhard Moser in seiner Berliner Weinschule wieder Gäste begrüßt.

1500 Interessierte besuchen im Jahr seine Seminare, um mehr über Wein zu erfahren. "Im Schnitt haben wir 15 Teilnehmer, es können aber auch mal 18 ein", sagt der 47-Jährige, der aus dem salzburgischen Bramberg stammt.

Bernhard Moser aus Salzburg saß in Berlin am Trockenen. Er bekam als Hilfe vom deutschen Staat mehr als ein "Trinkgeld".
Foto: eat! berlin / Pia Negri

Doch wenn er am heutigen Samstag die Türe seiner Weinschule öffnet, dann dürfen maximal zehn Personen in dem pittoresken Häuschen aus dem Jahr 1723 Platz nehmen. "Mehr geht nicht", meint Moser – und ist dennoch sehr froh, dass er mit reduzierter Zahl wieder starten kann.

Denn eine Zeitlang ging bei ihm gar nichts mehr. Bei seinem zweiten Standbein hatte Moser noch Glück im Unglück. Er organisiert auch das Gourmetfestival eat! berlin. Es fand, wie geplant, bis zum 1. März statt.

Danach war Moser Chef zweier Unternehmen mit sieben Mitarbeitern, hatte aber keine Einnahmen mehr. Im Gegensatz zu vielen anderen Berliner Gastronomen konnte er zunächst auf Rücklagen zurückgreifen und Verluste der Angestellten sogar durch Aufstocken des Kurzarbeitsgeldes ausgleichen. Doch schnell war klar: Er braucht Hilfe.

Wie rasch er diese bekam, erstaunt ihn heute noch. "Am 30. März habe ich das Online-Formular bei der Investitionsbank Berlin ausgefüllt, am 1. April war das Geld auf dem Konto", sagt er. 20.000 Euro erhielt Moser, angeben musste er Namen, Steuernummer und die Nummer aus dem Handelsregister. "Das ist schon mehr als ein Trinkgeld, im Gegensatz zum Flughafen BER war Berlin da sehr flott und unbürokratisch – eigentlich ein echter Regelbruch", lobt er die Hilfe. Dass die finanzielle Unterstützung gut und rasch ankam, hört man auch von vielen anderen Betroffenen in Berlin.

Moser muss das Geld wie Einkommen versteuern, er darf es auch nur für betriebliche Kosten (Miete, Strom, Gas) verwenden.

Er hofft, dass bald wieder mehr Menschen in die Weinschule kommen können. Spüren wird er die reduzierte Anzahl finanziell: "Wenn wir weniger Teilnehmer haben, sind zwar die Kosten gedeckt, aber ich habe kein Gehalt."

Und noch etwas ist neu: Neben der Weinbouteille steht jetzt immer auch eine Flasche Desinfektionsmittel.

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4. Der Fabrikant

Mit Ausbruch der Corona -Pandemie wurde die Produktionsstätte von Werner & Mertz in Hallein zum systemrelevanten Betrieb. Das Familienunternehmen produziert im Tennengau seit 67 Jahren Reinigungsmittel und Kosmetikprodukte und ist besser bekannt unter den Marken Frosch und Erdal. "Wir haben uns als Erstes die Frage gestellt, was von uns als Unternehmen erwartet wird", sagt Ingo Frank, der Geschäftsführer von Werner & Mertz am Standort Hallein. "Die Nachfrage nach Desinfektionsmitteln und Seifen ist auf Knopfdruck gestiegen."

Es sei eine Herausforderung gewesen, die Produktion sicherzustellen und weiterhin die benötigten Rohstoffe zu beschaffen. Das Unternehmen mit Produktionsbetrieben in Hallein und Mainz hat Prioritäten gesetzt: Die Herstellung von Desinfektionsmittel wurde auf das Vierfache hochgefahren, bei anderen Produkten wie der Schuhpflege dafür Abstriche gemacht. Alleine von Jänner bis April wurden an der Salzach 300.000 Liter Desinfektionsmittel hergestellt.

Ingo Frank stellte die Produktion seiner Reinigungsmittel rasch um – trotz bürokratischer Hürden.
Foto: Werner & Mertz / Maislinger

Gleichzeitig musste der Betrieb ein "höchstmögliches Ausmaß an Schutz für die Mitarbeiter gewährleisten", betont der Geschäftsführer. Der ohnehin hohe Hygienestandard wurde noch intensiviert, die 160 Mitarbeiter in fixe Schichten eingeteilt und die Pausenzeiten versetzt, um Überschneidungen zu vermeiden. Wo in der Produktion die Mindestabstände nicht eingehalten werden konnten, wurden Plexiglasabdeckungen installiert. Das sei eine Aufgabe gewesen, da in sehr kurzer Zeit unterschiedliche Maßnahmen verkündet wurden, die man einhalten musste, erklärt Frank.

Die geschlossene Grenze nach Deutschland verursachte einen hohen bürokratischen Aufwand. Viele Mitarbeiter wohnen in Bayern und mussten täglich die Kontrollen passieren. "Es war nicht klar, welche Form von Genehmigung wir brauchen", sagt Ingo Frank. "Wir hätten uns erwartet, dass ein Vordruck zur Verfügung gestellt wird."

Ein Ansuchen um staatliche Unterstützung war für das Halleiner Unternehmen kein Thema, und auch Kurzarbeit war nicht nötig. Das vielseitige Produktportfolio gewährleiste eine stabile Situation. "Aber wir haben Umsatzverschiebungen", erklärt der Geschäftsführer. Bei den Reinigungsmitteln für öffentliche Einrichtungen wie Schulen gebe es Einbußen. Die könnten aber mit dem Anstieg bei den Desinfektionsmitteln für Krankenhäuser, Altenheime und Pflegeeinrichtungen kompensiert werden.

Frank ist stolz darauf, was gemeinsam mit den Mitarbeitern in den letzten Jahren aufgebaut wurde. So habe der Betrieb die Krise gut meistern können. "Die Krise hat gezeigt, dass es schwierig ist, wenn man von Importströmen abhängig ist", sagt Frank. Ob das zu einem Umdenken im Konsumverhalten hin zu mehr heimischen Produkten führt, traut sich der Unternehmer nicht vorauszusagen. "Es liegt in der Hand des Verbrauchers." (Steffen Arora, Markus Rohrhofer, Stefanie Ruep, Birgit Baumann aus Berlin, 13.6.2020)