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Vergangenen Montag, 21.10 Uhr, ORF 2: In der Sendung Thema geht es um Angst und Corona. In dem 26-minütigen Beitrag erklären sechs Experten, welche psychischen Folgen das Virus auf Menschen haben kann. Fünf von ihnen sind männlich, eine weiblich. Auch Betroffene kommen zu Wort. Hier ist das Verhältnis krass umgekehrt: Auf neun Frauen, die über ihre Ängste und Sorgen reden, kommt ein Mann. Der Beitrag schließt mit wirren Verschwörungstheorien – verbreitet von einer Frau.

Der Beitrag übertrifft damit das Ergebnis einer neuen Studie über Medienpräsenz von Frauen in Corona, die sich auf Deutschland bezieht. In die Untersuchung flossen 174 Informationssendungen und knapp 80.000 Onlineartikel ein. Studienautorin Elizabeth Prommer hofft, dass die deprimierenden Ergebnisse ein Weckruf sind.

STANDARD: 22 Prozent aller Experten, die in Deutschland Corona und Folgen erklären, sind weiblich. Wie erklären Sie das?

Prommer: Frauen kommen in der Corona-Berichterstattung einschlägig und als Sonderfall vor. Ich kann nicht für Österreich sprechen, obwohl einige der untersuchten Medien auch in Österreich konsumiert werden. Eingefahrene Routinen scheinen bei der Expertensuche eine Rolle zu spielen. In der Vorstellung ist ein Experte ein Mann, und der ist weise. Im Normalbild ist die Expertin gar nicht vorhanden. Journalisten machen sich in ihrer Tagesroutine auf die Suche und sind froh, wenn sie jemanden schnell gefunden haben, und das ist dann eben meist ein Mann.

STANDARD: Aber bilden Medien diese Verteilung nicht einfach ab? In den Führungsetagen sitzen nun einmal mehr Männer.

Prommer: Das war uns auch klar, deshalb haben wir uns die Ebene darunter angesehen, und da ändert sich nichts: Wenn ganz normale HausärztInnen, AnästhesistInnen, KlinikärztInnen befragt werden, sind es trotzdem vier Männer und eine Frau. Und das, obwohl die Hälfte der Mediziner Ärztinnen sind. 45 Prozent sind Virologinnen, und auch hier wird der Mann als Experte kontaktiert. Man traut Frauen offensichtlich keine Expertenmeinung zu, wenn es schnell gehen muss.

STANDARD: Eine gängige Begründung lautet: Frauen sind als Expertinnen schwieriger zu gewinnen, sagen schneller ab.

Prommer: Bis eine Frau als Expertin gefragt wird, muss sie schon ganz schön renommiert sein und mindestens zehn Bücher zum gefragten Thema publiziert haben. Während beim Mann eine Masterarbeit reicht – und das ist nicht einmal überspitzt formuliert. Das hat zur Folge, dass man als Frau sehr viele Anfragen bekommt und dann natürlich eher absagen muss. Wir Frauen kriegen auch sehr viel mehr Hassmails, in denen wir nicht für unsere Kompetenz kritisiert werden, sondern für unser Aussehen. Viele wollen sich dem nicht aussetzen. Und dann geht es schlicht um Prioritäten. Die Virologin Marylyn Addo entwickelt in Hamburg einen Impfstoff. Dann stellt sich für sie nicht die Frage, ob sie sich in den Zug nach Berlin für eine Talkshow setzen oder einen Impfstoff entwickeln soll.

Standard: Männer werden als unumstößliche Instanzen präsentiert. Festigt die Corona-Krise patriarchale Strukturen?

Prommer: Definitiv. Wir prägen uns so das Bild des männlichen Experten ein, weil Frauen als kompetente Personen gar nicht zu sehen sind, oder wenn, dann nur als Ausnahme. In Deutschland kommen männliche Virologen zu Wort, die seit Jahren nicht mehr zu dem Thema publiziert haben. Es gibt Männer in den Medien, die einfach das Geschäft gut bespielen. Ich möchte aber gerne darauf hinweisen, dass Frauen auch als besonders Betroffene ignoriert werden. In vielen Branchen, die jetzt gerade pleitegehen – ob Hotellerie, Gaststätten, Einzelhandel –, arbeiten überwiegend Frauen. Es trifft also viele Frauen, aber ich sehe weit und breit keine Programme und Ideen, wie man Frauen besonders helfen kann.

STANDARD: Gewalt in der Familie blieb laut Ihrer Untersuchung ein Orchideenthema.

Prommer: In den untersuchten Medien kam Gewalt in der Familie nur einmal vor. Eine neue Studie der Technischen Universität München belegt, dass rund drei Prozent der Frauen in Deutschland in der Zeit der strengen Kontaktbeschränkungen zu Hause Opfer körperlicher Gewalt wurden, 3,6 Prozent wurden von ihrem Partner vergewaltigt. In 6,5 Prozent aller Haushalte wurden Kinder gewalttätig bestraft. Das spiegelt sich in der Medienberichterstattung nicht wider.

STANDARD: Was kann man tun?

Prommer: Ich wünsche mir, dass die Studie ein Weckruf für Medien ist. Von alleine geht das nicht. Ich hoffe nicht, dass uns die Krise zurückwirft, sondern dass sich die verschiedenen Player Zielvorgaben setzen, um Frauen und Männer gleichermaßen zu zeigen.

STANDARD: Wie soll das gehen?

Prommer: Expertinnendatenbank aufbauen, selbst zählen, der ORF muss öffentlich zählen und nicht nur im Geheimen. Es muss transparent daran gearbeitet werden.

STANDARD: Sie sprechen die Tatsache an, dass der ORF Gleichstellungszahlen zwar erhebt, sie aber nicht veröffentlicht.

Prommer: Ein weiterer Trugschluss ist, auf die vielen Frauen in Redaktionen hinzuweisen, die sich auch nicht anders verhielten als Männer. Aber wenn Frauen halbe-halbe abbilden und Männer bei 80 zu 20 bleiben, kommt am Ende wieder nur 1:2 raus. Die Männer in den Redaktionen sind auch in der Verantwortung und müssen auch mitmachen. Deshalb bin ich für Strukturänderungen.

STANDARD: Sie sprechen die Quote an ...

Prommer: ... bei der es in Deutschland regelmäßige Nervenzusammenbrüche gibt. Man könnte es spielerisch angehen: Jede Redaktion nimmt sich fifty-fifty vor, und am Ende des Jahres zählen wir zusammen und vergleichen. (Doris Priesching, 14.6.2020)

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