Es soll nicht anmaßend klingen, sagt Hubert Achleitner, aber er habe ein Buch schreiben wollen wie die, die er gerne lese: gehaltvoll in wunderbarer Sprache.

Foto: Stefan Wascher

Den Corona-Gruß, bei dem man die Ellenbogen aneinanderstößt, findet Hubert Achleitner zu aggressiv. Er stupst einen deshalb mit dem Fuß an. Fünf, sechs Bücher stapeln sich auf dem Tisch seines Hotelzimmers. Nun ist der 67-jährige Musiker, besser bekannt als Hubert von Goisern, selbst unter die Autoren gegangen. Sein Roman Flüchtig handelt von einem teilnahmslosen Ehepaar und einem Ausbruch. Unvermittelt wird er auch politisch – so wie das zeitgleich entstandene, im August erscheinende Album Zeiten & Zeichen.

STANDARD: Warum steht auf dem Buch Ihr bürgerlicher Name und nicht "von Goisern"?

Achleitner: Ich hatte Angst, dass ein Verlag das Buch nur nehmen würde, weil er sich denkt, auch wenn es ein Schas ist, ist das mit dem Namen eine gmahde Wiesn. Außerdem wollte ich es von der Musik trennen. Der Musiker Hubert von Goisern ist zwar ein Teil vom Hubert Achleitner, aber nicht der, der das Buch geschrieben hat.

STANDARD: Was unterscheidet für Sie ein Lied von einem Buch?

Achleitner: Heast as net sind vier Zeilen, wo sich jeder drin finden kann. Ein Lied ist wie ein Konzentrat. Ein Roman ist schon eher eine Suppe. Wenn es gut geht, eine dicke Suppe, wenn es schlecht geht, eine dünne.

STANDARD: Im Roman kommen dennoch Themen vor, die Sie auch auf "Zeiten & Zeichen" besingen. Etwa die Nazizeit und den aktuellen Rechtspopulismus weltweit ...

Achleitner: Das bestimmt halt mein Denken und Leben sehr. In Österreich kommst du nicht drum herum, dir über die Vergangenheit immer wieder Gedanken zu machen.

STANDARD: Die machen Sie sich auch über einen jungen Kanzler, der dadurch auffällt, "dass er keine Ideale zu haben scheint".

Achleitner: Ich finde, Sebastian Kurz macht seine Sache gut. Er ist ziemlich ideologiebefreit, was aber nicht unbedingt was Negatives sein muss.

STANDARD: Droht da nicht Opportunismus?

Achleitner: Die Grenze zum Opportunismus ist eine moralische. Wir müssen einfach schauen, dass er die Blickrichtung nicht verliert. Deshalb bin ich sehr froh, dass er jetzt mit den Grünen in einer Regierung ist. Ich glaube, dass er lernfähig ist, und traue ihm zu, dass er weiterbringt, was nötig ist.

STANDARD: Was wäre nötig?

Achleitner: Zum Beispiel die Transaktionssteuer. Nicht nur in Österreich hat man etwas verabsäumt, indem man die soziale Gerechtigkeit in den vergangenen Jahrzehnten zurückgeschraubt und sich so der Wirtschaft unterworfen hat. Bei dem Aufwand, der jetzt betrieben wird, um die Corona-Krise zu bewältigen, muss es zu einer Umverteilung kommen! Dann muss der Staat sagen, da und dort wollen wir Kontrolle haben. Der sichere Standort auf zehn Jahre ist zu wenig, wenn der Staat die AUA mit was weiß ich wie vielen Millionen unterstützt.

STANDARD: Das AUA-Paket hat Kurz aber abgenickt. Welche Kontrolle muss noch sein?

Achleitner: Ich kann mir vorstellen, dass es wieder Zölle geben soll, Wirtschaftsraum hin oder her. Wie sonst sollen wir zu dem Geld kommen, das wir jetzt brauchen? Wieso sollten wir den regionalen Produzenten und Markt nicht schützen? Auch in der Musik finde ich Regionalität ganz wichtig – dass die ihre Chance hat, zu überleben, und dass nicht von globalen Klängen über sie drübergefahren wird. Wieso sollte jeder Schas ausgeschrieben werden, und wenn einer ein paar Cent drunterfahrt, schickt er von weiß ich wo Sachen her? Es kann nicht sein, dass, wenn jemand aus Vorarlberg eine Kiste Bier nach Wien bringt, er dieselbe Marge hat wie Ottakringer. Ich finde es gut, wenn es in Wien Vorarlberger Bier gibt, aber der Transport kostet nicht nur Geld, sondern die Umwelt auch Lärm, Abgase ...

STANDARD: Es geht im Buch um Sehnsucht. Was brauchen Sie, um sich frei zu fühlen?

Achleitner: Mit zwölf Jahren habe ich einen Globus bekommen, und ich habe mir vorgestellt, wie es da und dort wohl ist oder riecht. Das hat mich fasziniert. Mit 17 hatte ich dann das Gefühl, dass die Leute mich von irgendwas wegbringen wollen, das ich spannend fand. Ich habe gemerkt, ich müsste einen heftigen Kampf über viele Jahre führen. Da war es nur logisch, dass ich weggehe. Ich habe aber in meinen Jahren unterwegs gelernt, dass es nicht einzigartig für Österreich ist, dass wir so "zuagnaht" sind.

STANDARD: Sie haben Weite in die Volksmusik gebracht. Was ist für Sie heute Heimat?

Achleitner: Heimat ist da, wo ich mich einbringe. Wenn ich als Reisender wo hinkomme, beobachte ich auch Sachen, die mir nicht gefallen, ich würde mir aber nicht anmaßen, das zu kommentieren. Wenn ich lange dort bin, werde ich, wenn mich was stört, das aber irgendwann sagen und mich einbringen. Dann wird es Heimat. Aber solange man nur schaut, bleibt es Außenwelt.

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Kurzkritik: Ausbruch aus der Duldungsstarre

Seit 30 Jahren leben Eva Maria Magdalena und Herwig so leidenschafts- wie sprachlos nebeneinander her. Nun ist die Bankangestellte auch noch bei einer Beförderung übergangen worden und hat in Herwigs Handy eine eindeutige SMS von einer anderen Frau gefunden. 55-jährig beschließt sie, ihr stumpfes Leben hinter sich zu lassen. Wohin sie will, weiß sie nicht. Als Herwig eines Tages von der Arbeit nach Hause kommt, ist sie jedenfalls weg. Sie sitzt im Auto gen Süden.

Hubert Achleitner erzählt in seinem ersten Roman psychologisch sensibel von einer jungen Liebe, die an einer Fehlgeburt zerbrochen ist. So wenig geschieht in der Duldungsstarre der folgenden Jahrzehnte, dass sie nicht viel Raum in der Erzählung nehmen: Sie stürzt sich in die Berge, er sich in Alkohol.

Zum gelungenen Ton trägt wohl auch bei, dass hier die Frau im Mittelpunkt steht, was den Roman schon prinzipiell davor bewahrt, zur Nabelschau eines alternden Mannes zu werden. Zwar tut sich seit Kurzem auch in Herwigs Leben wieder etwas – deshalb die SMS. Doch das Wort "vögeln", das öfters fällt, ist unverdient derb für die Beziehung zu einer Jüngeren, die Achleitner sehr liebevoll und reflektiert zeichnet.

Nach ein paar Seiten mit unnötig schwülstigen Formulierungen ("Trotz des aussichtsreichen Nistplatzes und der hoffnungsvollen Umstände rollte die Glückskugel vom Tisch", über die Fehlgeburt) erholt sich Achleitner überraschend davon und entwickelt eine elegante Erzählung in klaren Worten. Die geschickt verflochtenen Handlungsstränge zwischen Österreich und Griechenland machen sie zum lebensklugen Pageturner. (Michael Wurmitzer, 14.6.2020)