Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Picturedesk/Neumayr

Wer hat dem SPÖ-Abgeordneten Jan Krainer pikante Details aus dem Steuerakt von KTM-Chef Stefan Pierer verraten? Diese Frage trieb das türkise Finanzministerium im Herbst 2017 derart um, dass sogar rechtswidrige interne Ermittlungen durchgeführt wurden – das stellt ein Bescheid der Datenschutzbehörde fest. Das zeigen bislang unveröffentlichte Dokumente, die STANDARD, ORF und Profil vorliegen.

Das hauseigene Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) warnte, dass das Finanzministerium "kontrovers" vorgehe, wenn es die Arbeit der Staatsanwaltschaft erledige. Trotzdem wurde eine "Rasterfahndung" nach Krainers Informanten durchgeführt und wurden tausendseitige Akten zu langjährigen Mitarbeitern angelegt.

Bild nicht mehr verfügbar.

KTM-Chef Stefan Pierer zeigt seine Sympathie für die ÖVP öffentlich, etwa 2017 mit einer Spende
von über 430.000 Euro. Die SPÖ machte daraufhin Daten zu seinem Steuerverhalten publik.
Foto: Picturedesk/Neumayr

Die Dokumente belegen außerdem, dass Pierer tatsächlich auf einer "Abschleicherliste" stand – die im Finanzministerium auch als solche bezeichnet wurde. Genau das thematisierte Jan Krainer im Herbst 2017, der Hochphase des Wahlkampfs, mit einer parlamentarischen Anfrage. Er wollte wissen, ob Pierer heimlich vor dem Inkrafttreten eines Steuerabkommens mit Liechtenstein Geld aus dem Fürstentum nach Österreich transferiert hatte, um sich Millionen an Steuern zu sparen.

Spendabler ÖVP-Unterstützer

Politisch brisant war das vor allem, weil Pierer nur wenige Wochen zuvor 437.000 Euro an die ÖVP und ihren neuen Chef Sebastian Kurz überwiesen hatte. Rasch war klar: Krainer hat sehr gute Informationen aus dem Inneren des Finanzministeriums. Er kannte die Überweisungsdaten von Pierer aus dem Dezember 2013: Über zwanzig Millionen Euro flossen von Liechtenstein nach Österreich. Und er wusste, dass Pierer zwei Wochen später dafür Steuern in der Höhe von über sechs Millionen Euro hätte zahlen müssen. Im Raum stand eine brisante Frage, die erst viel später mit Nein beantwortet wurde: Hat ein ÖVP-Großspender versucht, die Finanz auszutricksen? In der Volkspartei schrillten die Alarmglocken.

Schon an jenem Tag, an dem Krainer seine Anfrage einbrachte, meldete sich der damalige ÖVP-Generalsekretär Stefan Steiner bei Thomas Schmid, damals Kabinettschef im Finanzministerium, heute Chef der Öbag, die Staatsbeteiligungen im Wert von über zwanzig Milliarden Euro verwaltet. Die ÖVP-Zentrale bat um mediale Schützenhilfe für Pierer. Auch der damalige Minister schaltete sich ein. "Der Computer hinterlässt Spuren", schrieb Hans Jörg Schelling (ÖVP) an Schmid. Letzterer glaubte anfangs nicht, dass die Daten aus dem Ministerium stammen.

Auf Spurensuche

Welche Computerspuren existieren, sollte das Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) klären. Am 2. Oktober rief spätabends der damalige Sektionschef Eduard Müller, heute Chef der Finanzmarktaufsicht, im Büro für Interne Angelegenheiten an. Dort wurde ihm beschieden, dass die Erfolgsaussichten, den Informanten zu finden, "gering" seien. Trotzdem wurden am nächsten Tag Daten zu dutzenden Mitarbeitern an Müller übermittelt. Wieder einen Tag später meldete sich Müller persönlich bei Ilse Vrabl-Sanda, Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, um strafrechtliche Ermittlungen zu fordern. Da bereitete Krainer schon den nächsten Schlag vor: Am 4. Oktober fragte er in einer weiteren parlamentarischen Anfrage, warum Pierer in den Jahren 2012 und 2013 nur wenige Tausend Euro Einkommenssteuer bezahlen musste. Wieder glühten die Telefone: Schmid und der damalige Wirtschaftsminister Harald Mahrer, der genau wie Schelling gerade im Nationalrat auf der Regierungsbank saß, chatteten miteinander. Von dort aus schlug Schelling per SMS vor, Krainer mit dem Dirty Campaigning von Tal Silberstein in Verbindung zu bringen. Am 5. Oktober grub das Finanzministerium weiter: Es forderte nun eine "Gesamtanalyse" eines unbescholtenen Mitarbeiters an. Der Akt, den das BIA schlussendlich über Mitarbeiter anlegte, wies am Ende mehrere Tausend Seiten auf.

Das Büro für Interne Angelegenheiten (BIA) warnte den Sektionschef vor dem gewünschten Vorgehen
Foto: Faksimilie

Zugriffe auf XXXLutz geprüft

Am 7. Oktober befürchtete der damalige Sektionschef Müller offenbar, dass Daten über den einstigen Arbeitgeber von Minister Schelling nach außen gespielt werden, nämlich über die Möbelkette XXXLutz. Die Konzerngesellschaften müssen Lizenzgebühren an die XXXLutz Marken GmbH mit Sitz in Malta überweisen, dadurch entgehen der Finanz Steuerabgaben. Das BIA sollte herausfinden, wer auf die Steuerdaten des Möbelhändlers zugegriffen hat. Rasch gab es Entwarnung. Zurück zu Pierer. Bei ihm ging es um sein Privatvermögen und die Frage, ob er dieses "abgeschlichen" hat.

Der Hintergrund (siehe auch Wissen unten): 2013 schloss die damalige Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) Steuerabkommen mit Liechtenstein ab. Personen, die in Österreich leben, aber Geld im Fürstentum bunkern, müssen dieses offenlegen oder über die liechtensteinische Bank versteuern. Außerdem müssen österreichische Banken Geldflüsse aus Liechtenstein melden. Dasselbe galt für die Schweiz, mit der ein ähnliches Abkommen in Kraft trat. Pierer betonte immer wieder, alle fälligen Steuern bezahlt zu haben. Aber sein Finanzgebaren war eine Erzählung, mit der man politisch punkten konnte – und die das Finanzministerium ärgerte. Deshalb betrieb es die Ermittlungen gegen Krainers angebliche Informanten mit einer solchen Verve, dass sie später von der Datenschutzbehörde als rechtswidrig bezeichnet werden.

So grenzte das Büro für Interne Angelegenheiten selbstständig "Verdächtige" ein – und zwar nicht aus dienstrechtlichen, sondern auch aus strafrechtlichen Gründen. Offenbar herrschte von der Sektions- und Ministeriumsspitze ein großer Druck. So warnten die Finanzermittler ihre Vorgesetzten, dass die Vorgehensweise "kontrovers und unprofessionell" sei. Man müsse nun die Staatsanwaltschaft vorangehen lassen. Zwei der Verdächtigen, die später der Staatsanwaltschaft gemeldet werden, hätten laut BIA in Befragungen schon längst "plausibel" erklärt, warum sie auf Pierers Daten zugegriffen hätten.

Unmut bei den Mitarbeitern

"Viele, die noch Karriere machen wollten, stellten sich in den Dienst der ÖVP, um bei internen Ermittlungen gegen vier hochrangige Beamte zu glänzen", sagt einer, der die Geschehnisse aus nächster Nähe erlebt hat. Auch in anderen Ministerien wurden Kabinettsmitarbeiter aus den Reihen der ÖVP aktiv.

So schrieb der damalige Justiz-Kabinettschef Clemens Niedrist seinem Pendant im Finanzministerium, er habe "Sektionschef Pilnacek gebeten, ein Auge auf die Pierer-Sache zu haben". Was meinte er damit? Pilnacek sagt, man müsse doch Niedrist fragen. Niedrist, jetzt selbst Kabinettschef bei Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP), reagiert auf eine Anfrage nicht. Das Ergebnis der exzessiven Ermittlungen? Alle Verfahren wurden eingestellt, Krainers Informant wurde nie gefunden. Ging die Jagd nach dem Infoleck im Rückblick zu weit, wie die Datenschutzbehörde beschied?

Schelling bestreitet, dass der Fall speziell war: "Besteht der Verdacht, dass Informationen aus dem Ministerium kommen, wird von der Verwaltung immer in derselben Weise untersucht, zumindest in meiner Amtszeit." Auch Müller spricht davon, dass "bei Hinweisen auf Verstöße gegen das Amtsgeheimnis immer entsprechende Ermittlungen" eingeleitet wurden. Und ergänzt: "Dabei hat sich manchmal auch herausgestellt, dass die Informationen nicht durch Beamte, sondern von dritter Seite (zum Beispiel aus dem Umfeld der Betroffenen) weitergegeben wurden." Im Fall Pierer hat man das offenbar nicht für möglich gehalten. (Fabian Schmid, 12.6.2020)