Vater-Sohn-Pietà: Kurz nach seiner Geburt verlor der Maler Neo Rauch beide Eltern bei einem Zugunglück. In "Vater" hält ein großer Mann einen kleinen im Armen. Wer wer ist, spielt keine Rolle.
Foto: Uwe Walter, Berlin, Bildrecht Wien

Es ist ein suchender Blick, den er in den Raum wirft. Unsicher wendet er sich von seiner Familie ab. Die Frau merkt es nicht, sie stillt gerade einen Säugling. Das danebenstehende Kleinkind aber erkennt die Abwesenheit des Vaters. Der Vater in Junge Familie von Werner Berg aus 1932 scheint zwar dieser anzugehören, ihr zugleich aber eigenartig fremd zu sein. Sein Blick quillt über den Bildrand in den Ausstellungsraum. So als ob er die Blicke der anderen Väter suchen würde.

Diese lassen sich in der Ausstellung Family Matters im wiedereröffneten Dom Museum Wien finden – allerdings muss man sie suchen. Die Sonderschau kann auf unterschiedlichen Wegen betrachtet werden, die Beleuchtung der Vaterfigur ist einer davon – und aus aktuellem Anlass ein passender. Anlässlich des Vatertags sowie der Zerreißprobe, mit der sich Eltern in den vergangenen Wochen konfrontiert sahen, sind Väter und auch ihre elterliche Rolle stärker in den Fokus gerückt.

Wie sich ihr Bild in der Kunst gewandelt hat, sei immer eine Frage des Blicks der Gesellschaft, erklärt die Direktorin und Kuratorin der Schau, Johanna Schwanberg. Dass vor allem zärtliche Darstellungen von Vater-Kind-Beziehungen selten in der Kunstgeschichte zu finden sind, sei mit ein Grund gewesen, die Ausstellung zu konzipieren. Emotionen bei Männern wurden lange nicht dargestellt. "Hier herrscht quasi eine Leerstelle vor", so Schwanberg. Ist die Vaterrolle also in der Kunst unterrepräsentiert?

Der emotionslose Patriarch

Dies bestätigt sich zumindest bei Angelika Kauffmanns Gruppenbild der königlichen Familie von Neapel. Darauf ist König Ferdinand IV. als patriarchale Standfigur zu sehen, seine Frau sitzend, die Kinder um sie herum drapiert. Jedem ist eine klassische Rolle zugewiesen. Ähnlich distanziert scheinen auch die Familienkompositionen des Biedermeier, wobei hier ein Werk von Waldmüller überrascht: Ein zurückkehrender Vater umarmt seine Kinder herzlich. "Ein Meilenstein" für die Malerei des 19. Jahrhunderts, erläutert Schwanberg.

Dieser nichtstringente Wandel kann in der Schau gut beobachtet werden, da diese einen Überblick über das Thema Familie in der Kunst gibt und aufzeigt, wie divers dieses sein kann. Dennoch will die Ausstellung keine chronologische Zusammenfassung liefern. Eher versammelt sie Werke aus diversen Epochen und Stilen.

So stehen sich eine um 1320 entstandene Steinmadonna sowie eine lebendig anmutende Skulptur einer alten Frau mit einem Neugeborenen von Sam Jinks aus 2010 gegenüber. Schwanberg wollte nicht nur die Familien als Ganzes porträtieren, sondern auch "in sie hineinzoomen".

Wo bleiben die modernen Väter?

Zoomt man dann an die Väter heran, zeigt sich, dass sie im Vergleich zu den Müttern deutlich in der Unterzahl sind: In Porträt eines Edelmannes mit seinem Sohn von Tintoretto offenbart sich eine strenge, obgleich für die Zeit innige Beziehung. Der Vater legt stolz seine Hand auf die Schulter des Buben. An derselben Wand spielt sich eine seltsam distanzierte Szene zwischen einem kolossalen Vater und seiner verschwindend zarten Tochter ab. Sein Blick scheint an ihr vorbeizugehen. Fast übersieht man, dass sie ihm schüchtern eine Nelke zusteckt.

Flankiert von diesen beiden Vaterfiguren hängt eine Fotoserie von Elinor Carucci, die sich und ihre Zwillinge über Jahre in sehr intimen Situationen porträtiert hat. Ein gelungener und starker Kontrast – doch wo bleiben die ebenso modernen Väter?

In diesem Moment entdeckt man einen üppig gerahmten Josef aus 1886, der das Jesus-Kind in seinen Armen hält. Liebevoll legt er seinen Kopf auf den des Kindes, das sich an ihn kuschelt. Bedenkt man, dass Josef nicht der leibliche Vater von Jesus war, so Schwanberg, könne man bei der Heiligen Familie eigentlich von einer Patchwork-Family sprechen. Das Bild des heiligen Josef sei ein sehr modernes. "Er ist ein tolles Rolemodel", befindet die Direktorin.

Gewalt und große Gefühle

Doch dieses innige Bild wird gleich von gewalttätigen Inhalten gebrochen, die sich in profanen und sakralen Szenen abspielen: So droht in Maria Lassnigs Großes Familienbild der Vater mit einem Motorrad über die nackt am Boden kauernde Mutter samt Tochter zu fahren; in Obsorge zerren die Eltern erschreckend heftig an ihrem Baby. Und in Abraham opfert Isaak möchte der Vater seinen Sohn umbringen lassen.

Dass die Familie ein Ort der Ambivalenz sein kann, wird in der Schau ebenso aufgenommen und ermöglicht – mithilfe der feministischen Positionen der 1970er-Jahre – das, worauf man die ganze Zeit gewartet hat: In Another sleepless night sind ein Vater und sein Kind in einer durchwachten Nacht zu sehen, in den verfremdeten Bildern von Weronika Gęsicka zieht ein Vater seinem Kind den Kopf lang, und in Neo Rauchs Pietà Vater hält eine große Männerfigur eine kleinere im Arm – wer Vater und wer Sohn ist, ist egal.

Nach und nach werden die Väter präsenter. Sie müssen nicht repräsentieren und dürfen verwundbar sein. Anhand von zwölf Bildern aus der dokumentarischen Serie familia der Fotografin Katharina Mayer tritt als Spiegelung zu den historischen Darstellungen ihre ganze Diversität zutage: Da sind Familien mit zwei Vätern oder keinen, Adoptiv-, Zieh- oder Stiefvätern, alleinerziehenden oder kinderlosen Vätern. Ihre Blicke sagen alles. (Katharina Rustler, 13.6.2020)