"Hören Sie? Jetzt stören sogar die Krähen." Günther Dieckmann ist zum Scherzen aufgelegt. Hochzufrieden legt der Mann, der ein bisschen aussieht wie Kapitän Iglo – ohne Uniform und Kapitänsmütze –, den Kopf in den Nacken und deutet in die Luft: Über ihm nichts als Himmel und ein paar Wolken – und das seit Wochen. Normalerweise donnern hier jede Menge Flugzeuge über die Köpfe der Anwohner hinweg und setzen zum Landeanflug am Flughafen Schwechat an. Jetzt ist es komplett ruhig. Bis auf das Vogelgezwitscher im Garten.

Hier, in der grünen Idylle am Rande von Wien, ist die Gegend ursprünglich. Der Bus fährt in spärlichen Intervallen in die Kordonsiedlung in Penzing. Die Straßen tragen Namen wie Fenchelweg, Ulmenstraße, Günselgasse. Die prachtvolle Villengegend, wo ältere Damen ihren Pudel im Bus auf einem eigenen Sitz thronen lassen, ist schon ein gutes Stück weg.

Wer hier wohnt, ist oft vor Jahrzehnten hergezogen oder hier aufgewachsen, so wie Dieckmann. Seine Eltern haben das Haus gebaut, in dem er heute lebt. "Noch", wie er gleich weniger gut gelaunt sagt: "Ich habe schon darüber nachgedacht, das Haus zu verkaufen."

Lärm statt Idylle

Was Dieckmann und seinen Gästen Erich Kainz und Adolf Hrncir wehtut, ist der Lärm. Dieckmann, eigentlich ein grauhaariger gemütlicher Pensionist mit kurz geschoren Haaren, in Shorts und ausgewaschenem T-Shirt, hat einen Laptop auf dem Gartentisch aufgeklappt. Um zu erklären, was ihn wurmt, wirft er eine Tonspur an. Dröhnende Motorengeräusche wummern aus den Lautsprechern.

Günther Dieckmann (links), Erich Kainz (Mitte), Adolf Hrncir haben sich lange mit allen Mitteln gegen die 3. Piste des Flughafen Wiens gewehrt und den Verein Antifluglärmgemeinschaft (AFLG) gegründet.
Foto: Robert Newald

Die drei Männer hier am Tisch wissen, um welche Maschine es sich handelt, welcher Wind dafür sorgt, dass es hier auch einmal unerträglich wird. "Wir verstehen dann unser eigenes Wort nicht mehr", sagt Kainz. Auch er grauhaarig und salopp gekleidet. Kainz wohnt in der Nachbarschaft, ebenso wie Hrncir.

Sie alle sind mittlerweile Fachleute auf dem Gebiet Fluglärm, wissen über Dezibel, Einflugschneisen, Flugrouten und Geschäftsmodell des Wiener Flughafens Bescheid. Dem Tag, an dem der Flughafen die dritte Piste in Angriff nimmt, gegen die sie sich mit allen Mitteln gestemmt haben, sehen sie mit Grauen entgegen.

Hochfahren auf Sicht

Dieser Tag ist wohl in weite Ferne gerückt. Ob er jemals kommt, obwohl alle rechtlichen Hürden aus dem Weg geräumt sind, steht in den Sternen. Corona hat den internationalen Luftverkehr fast komplett kollabieren lassen. Jetzt erwacht die Branche langsam aus der Schockstarre. Der Flughafen Wien, der im April aufgrund der weltweiten Reisebeschränkungen und der damit verbundenen gekappten Flugverbindungen praktisch eine Vollbremsung hinlegen musste, fährt langsam wieder hoch.

Die Maschinen rollen wieder in Startposition, die Fluggesellschaften holen einen Teil ihres Personals zurück, die ersten verwegenen Airlines hatten schon vor Wochen ihre Flugpläne für Wien angekündigt, auch wenn sie dann angesichts der behördlichen Einschränkungen kläglich im Sand verlaufen sind.

Das Virus hat die gesamte Luftfahrtindustrie infiziert. Die probt nach dem Shutdown die Wiederauferstehung.
Foto: AFP / Christof Stache

Doch so schnell wird die Airline-Branche wohl nicht aus der Krise fliegen. Die meisten Experten und Airline-Chefs rechnen damit, dass es Jahre dauert, bis wieder Vor-Krisen-Niveau erreicht wird. Auch wenn jetzt so manche Gesellschaft schon wieder vorlaut tönt wie eh und je: Der ungarische Billigflieger Wizzair etwa wirbt mit einem Supersale um Passagiere in Wien. Am 11. Juni könne eine vierköpfige Familie um 40 Euro reisen, heißt es gewohnt marktschreierisch.

Die Ryanair-Tochter Laudamotion hebt erst im Juli wieder ab. Auch Ryanair-Boss Michael O’Leary hat bereits angekündigt, mit noch aggressiveren Preisen um Kunden zu buhlen. Ob das dann noch möglich ist oder die von der Regierung geplante Anti-Dumping-Regelung bereits greift, ist noch offen. Ultrabilligtickets sollten dann nicht mehr möglich sein. Auch die AUA stimmt die Passagiere auf den Neustart am 15. Juni ein.

Gähnende Leere am Vienna Airport in der zweiten Maihälfte. Jetzt sollte es langsam wieder voller werden.
Foto: AFP

Ihre Kapazitäten haben alle zurückgeschraubt, Expansionspläne auf Eis gelegt, Flugzeuge ins Ausgedinge geschickt oder irgendwo geparkt, Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt oder gleich Jobs gekappt.

Hochgefahren wird teilweise in homöopathischen Dosen. Derzeit sind am Flughafen Wien allerhöchstens fünf Prozent der rund 6000 Mitarbeiter im Einsatz, mehr als sechs bis acht Flüge täglich heben nicht ab. Rund 1000 Passagiere tummeln sich in den Hallen. Ein Bruchteil dessen, was sich in Vor-Corona-Zeiten abgespielt hat: Im Sommer 2019 verzeichnete der Flughafen rund 100.000 Passagiere – pro Tag.

Corona diktiert die Regeln

Noch ist es gespenstisch ruhig. Bis auf ein Terminal sind alle Arme, an denen sonst geschäftiges Treiben herrscht, stillgelegt. Wie ein riesiger Tintenfisch, dem seine Arme abgehackt worden sind, darbt der Moloch vor sich hin. Diesen Montag werden ein paar Geschäfte und Gastronomiebetriebe wiederaufsperren – im Terminal 3, wo derzeit alle Flüge abgefertigt werden. Wohl auch, um ein bisschen Normalität in den Airport zu bringen. Ab Mitte Juni rechnet der Flughafen mit etwa rund 5000 Passagieren, im Juli sollen es 10.000 pro Tag werden. Es wird also vergleichsweise ruhig zugehen in diesem Sommer.

Ganz grundsätzlich hätten sie nichts gegen das Fliegen, sagen die drei. Nur wohin sich das alles entwickelt habe, da können und wollen sie nicht mit.
Foto: STANDARD/Newald

Nach dem Chaossommer im vergangenen Jahr mit Flugausfällen, Verspätungen, Umbuchungen sonder Zahl wird sich die Lage zumindest in dieser Hinsicht verbessern.

Erbaulicher werden Flugreisen nicht, im Gegenteil. In naher Zukunft diktiert Corona die Regeln. Zu den üblichen unerquicklichen Erfordernissen wie quälenden Sicherheitskontrollen inklusive Schuhe ausziehen und auf den letzten Drücker noch nach Flüssigkeiten im Handgepäck suchen kommt noch allerlei Ungemach dazu.

Masken, Abstand und Plexiglas

Maskenpflicht herrscht im gesamten Flughafen, die Abstandsregeln von mindestens einem Meter sind strikt einzuhalten. Beim Check-in, in den Shops, an den Gepäckbändern, in den Gängen, in den Wartezonen. Man wird nicht übersehen können, dass die Pandemie bis auf weiteres König ist: Bodenmarkierungen, Hinweisschilder, Lautsprecherdurchsagen und wohl die eine oder andere Ermahnung durch das Flughafenpersonal werden nicht vergessen lassen, dass Reisen in Corona-Zeiten anders ist. Wärmebildkameras werden die Körpertemperatur der Passagiere checken.

Das Personal ist bei Check-in-, Boarding- und Informationsschaltern durch Plexiglas abgeschirmt. Der einzige erfreuliche Effekt der Seuche könnte sein, dass Zubringerbusse nicht mehr so vollgestopft sein dürfen, wie in der Vorkrisenzeit. Maskenpflicht gilt auch in den Flugzeugen. Abstand halten wird hier eine besondere Herausforderung. Ob so Urlaubsfeeling aufkommt, bleibt abzuwarten.

Geht es nach Günther Dieckmann, Erich Kainz und Adolf Hnrcir in ihrem Garten in Hütteldorf, könnte alles so bleiben, wie es jetzt ist. Auch wenn sie sich nicht als Fluggegner schlechthin sehen und auch die Arbeitsplätze im Blick haben, die an der Branche hängen: Jetzt sei ein guter Zeitpunkt, um innezuhalten und nachzudenken, wie es in der Luftfahrtbranche ganz grundsätzlich weitergehen soll. Und in einem sind sie sich besonders einig: Ein Recht auf einen billigen Städteflug gibt es nicht. (Regina Bruckner, 13.6.2020)