Die Corona-Pandemie hat Eltern zu Hilfslehrkräften gemacht – unfreiwillig: Für viele zeigte sich da, wie anspruchsvoll dieser Beruf sein kann.

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Im Gastkommentar plädiert Walter Emberger, Gründer von Teach For Austria, dafür, dass Pädagoginnen und Pädagogen mehr wertgeschätzt werden.

Auch nach Corona werden Organisationen neue Mitarbeiter suchen, die selbstständig schwierige Aufgaben erledigen und andere führen können. Sie werden wieder überrascht sein, wie eng das Angebot hier ist. Eine naheliegende, aber weitgehend ungenutzte Quelle für solche Personen sind Lehrer.

Die von mir gegründete Organisation Teach For Austria bringt seit acht Jahren Quereinsteiger in den Lehrerberuf, mit großem Erfolg. Unsere Lehrerinnen und Lehrer ("Fellows") unterrichten für mindestens zwei Jahre an herausfordernden Schulen, das sind Neue Mittelschulen und polytechnische Schulen im Stadtgebiet. Wir haben untersucht, wie die Tätigkeit als Lehrkraft sie nach diesen zwei Jahren auf ihrem weiteren Berufsweg beeinflusst hat. Vom Ausmaß der erworbenen Fertigkeiten und von deren Deckungsgleichheit mit den Anforderungen an erfolgreiche Führungskräfte waren wir dann doch überrascht.

Die Kompetenzen und Haltungen, die Lehrkräfte erfolgreich machen, sind dieselben, die auch Führungskräfte brauchen: Sie können klar kommunizieren, Leute einbinden, unterschiedliche Kulturen verstehen, das Potenzial anderer Menschen erkennen und fördern, sie sind resilient, können auch mit den lästigsten Kunden und schwierigsten Mitarbeitern sowie Chefs wertschätzend umgehen, können Grenzen setzen, beurteilen, motivieren, lernen und haben ein Repertoire an Führungsstilen, das sie je nach Situation anwenden können. Das alles haben Lehrerinnen und Lehrer in jungen Jahren auf die harte Tour gelernt, allein in der Klasse vor mehr oder weniger motivierten und unterschiedlichst talentierten Schülern stehend, Stunde für Stunde mit neuen Leuten.

Kleine Schulstunde

Lassen wir uns das an zwei Beispielen vor Augen führen: zwei ehemalige Fellows, die zwei Jahre unterrichtet haben, nennen wir sie Anna und Amir. Beide leiten jetzt Teams in Organisationen, Anna in der Wirtschaft und Amir im halböffentlichen Bereich.

Annas letzte Bewerbungsrunde war vor einer großen Jury von einem Dutzend Leuten. Gewohnt, mit größeren diversen Gruppen umzugehen, hat sie das Hearing kurzerhand in eine für alle interessante Schulstunde umgewandelt. Sie hat ihre Vision für die Stelle nicht einfach präsentiert, sondern Schritt für Schritt unter Einbindung aller Jurymitglieder erarbeitet. So blieb das am besten "hängen" – sie bekam die Stelle.

Ein Beispiel aus der Arbeit von Amir: Bei einem Strategieworkshop mit unterschiedlichen Stake holdern aus Wirtschaft, Ministerien und Hochschulen fiel kurzfristig die externe Moderatorin aus. Amir übernahm diese Rolle, weil er als ehemaliger Lehrer gelernt hat, mit größeren Gruppen verschiedenster Kulturen umzugehen, die Lauten nicht dominieren zu lassen, die Leisen einzubinden und zu einem gemeinsamen Nenner in Form eines Arbeitsprogramms zu kommen. Es lief gut. Amir moderiert in Zukunft alle Workshops seiner Organisation. Kurz nach dem Strategieworkshop wurde ihm die Führungsrolle in einem Team angeboten.

Was für Teach-For-Austria-Lehrer gilt, gilt für alle engagierten Lehrerinnen und Lehrer. Warum aber hat man bisher meist nicht an Lehrkräfte gedacht, wenn man Stellen in der Wirtschaft zu besetzen hatte? Das ist wohl auch dem ungerechtfertigt schlechten Image des Berufs geschuldet. Anstatt uns an der Standesvertretung zu reiben, sollten wir uns als Gesellschaft die Frage stellen: Geben wir dem Lehrerberuf die ihm zuständige Wertschätzung? Schließlich ist er einer der wichtigsten Berufe für die Zukunft eines Landes. Jene von uns, die durch Corona unfreiwillig über mehrere Monate zu Hilfslehrern geworden sind, wissen auch, wie anspruchsvoll dieser Beruf ist.

Faire Chancen

Vor einem halben Jahr war ich bei der Präsentation der Pisa-Ergebnisse in Paris. Die Diskussion dort lautete nicht, wie ich erwartet habe, "Welches Land hat mehr Punkte", sondern sie drehte sich um zwei Fragen: Wie schaffen wir faire Bildungschancen für alle? Und: Wie bekommen wir die besten Leute als Lehrer? Jene Länder, die schon länger am Beantworten dieser Fragen sind, schneiden auch bei Pisa sehr gut ab, haben also den besser auf das Leben vorbereiteten Nachwuchs: Kanada, Estland, Finnland, Neuseeland, Singapur, China.

In vielen Industrieländern, auch bei uns, wird bei Pisa meist nur halbwegs zufrieden festgestellt, dass wir eh im Mittelfeld sind. Das sind wir, und das bei steigendem Geldeinsatz. Um aus dem Mittelfeld rauszukommen, müssen wir uns dringend um diese zwei Fragen kümmern. Lasst uns alles dafür tun, dass Lehrer einer der angesehensten Berufe wird, damit die Lehrkräfte stolz sind auf ihren Beruf und die tüchtigsten Nachwuchskräfte Lehrerinnen und Lehrer werden wollen. Und wer stolz auf seinen Beruf ist, dem ist das Ergebnis seiner Arbeit wichtiger als die Frage, ob er nach Corona am Fenstertag oder im Sommer arbeitet oder nicht. (Walter Emberger, 15.6.2020)