Demonstrantinnen und Demonstranten ...

EPA / Akintunde Akinleye

... gingen in nigerianischen Städten gegen sexuelle Gewalt auf die Straße.

EPA / Akintunde Akinleye

Uwaila Omozuwa ging schon seit Jahren zum Lernen in die Kirche. Dort war es ruhig, sie hatte Platz und wähnte sich sicher. Am letzten Mittwoch im Mai stellte sich der Glaube der 22-jährigen Biologiestudentin aus der nigerianischen Stadt Beni jedoch als trügerisch heraus. Als sie um sechs Uhr abends noch immer nicht zu Hause war, läutete ihre beunruhigte Mutter beim Pfarrer der "Erlösten Christlichen Kirche Gottes" an. Aufgelöst rief Enoch Adeboye kurze Zeit später zurück: Er hatte Uwaila in einer Blutlache in seiner Kirche gefunden. Im Spital wurde festgestellt, dass die Studentin vergewaltigt worden war. Drei Tage später war sie tot.

Uwaila Omozuma ist nicht die einzige Nigerianerin, die den Lockdown in dem bevölkerungsreichsten Staat Afrikas nicht überlebte. Eine Woche später wurde Barakat Bello in ihrem Haus in Ibadan von einer Gruppe Männer überfallen: Einer nach dem anderen missbrauchte das 18-jährige Mädchen, noch vor Ort erlag sie ihren Verletzungen. Ungefähr zur selben Zeit starb in Jigawa ein zwölfjähriges Mädchen: Sie wurde von elf Männern, einschließlich eines 67-Jährigen, vergewaltigt. Und in Dangora bei Kano wurde ein 32-Jähriger festgenommen, der die Vergewaltigung von 40 Frauen gestand.

Epidemie der Gewalt

"Wir haben es hier außer mit der Corona-Pandemie noch mit einer Epidemie der Gewalt gegen Frauen zu tun", sagt Frauenministerin Pauline Tallen. Während des Lockdowns soll sich die Zahl der Vergewaltigungen in dem westafrikanischen Staat verdreifacht haben: Die Hilfsorganisation Action Aid registrierte allein in fünf der 36 nigerianischen Bundesstaaten 253 Fälle sexueller Gewalt. Schon zu "normalen" Zeiten gab jede vierte Nigerianerin bei einer Unicef-Umfrage an, schon einmal sexuell misshandelt worden zu sein. In den meisten Fällen kommt es dabei nicht einmal zur Anzeige: Die Frauen wollen die Tortur nicht noch weitere Male vor der Polizei und dem Gericht durchleben. Zu einer Verurteilung kommt es ohnehin so gut wie nie.

Uwaila Omozuwas Tod auf dem Kirchenboden rüttelte Nigeria allerdings auf. "Wir haben genug!", riefen Demonstrantinnen in der Hauptstadt Abuja und hielten Schilder mit der Aufschrift in die Höhe: "End Rape". In Benin City versammelten sich zornige Frauen vor der Polizeizentrale, und in der Hafenstadt Lagos drückten sie ihren Unmut vor dem Parlamentsgebäude aus.

Gewalt gegen Frauen sei zu einer "nationalen Krise" geworden, sagt Amnesty Internationals Landesdirektorin für Nigeria, Osai Ojigho: "Frauen sind hier nirgendwo mehr sicher: weder zu Hause noch in den Schulen, in den Kirchen, in den Polizeizellen oder Flüchtlingslagern."

Die Politik muss handeln

Inzwischen ist die Entrüstung auch auf die Politik übergeschwappt. Die Gouverneure der 36 Bundesstaaten verhängten vergangene Woche den Ausnahmezustand, allerdings ein eher symbolischer Akt. "Wir verurteilen sämtliche Gewalt an Frauen und Kindern aufs Schärfste", heißt es in einer Erklärung der Provinzialregenten, "und verpflichten uns, dafür zu sorgen, dass die Täter die volle Macht der Gerichte zu spüren bekommen." Die einzelnen Bundesstaaten werden aufgefordert, die nationalen Gesetze gegen Vergewaltigung zu übernehmen, was in mehreren Territorien bisher offenbar nicht der Fall war. Außerdem soll ein Register für sexuelle Straftäter erstellt werden, um deren Namen öffentlich zu machen.

Die im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie fast überall in der Welt erlassenen Ausgangssperren haben nach Angaben der Vereinten Nationen auch in Industrienationen wie den USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Spanien zu einem deutlichen Anstieg der Gewalt gegen Frauen geführt. Und auch in Südafrika wurde in den vergangenen Wochen wieder ein starker Anstieg von Gewalttaten an Frauen registriert. Dabei löste der Mord an einer 28-Jährigen in der vergangenen Woche einen Aufschrei des Entsetzens aus: Die im achten Monat schwangere Johannesburgerin wurde erstochen und anschließend an einem Baum aufgehängt. Am Kap der Guten Hoffnung wird alle drei Stunden eine Frau umgebracht. (Johannes Dieterich aus Johannesburg, 15.6.2020)