Behutsamer Saitendenker: John Scofield interpretiert Steve Swallow.

Nicolas Suttl

Das ganze Album Swallow Tales wurde an nur einem Nachmittag aufgenommen; eigentlich arbeitet John Scofield an ihm jedoch seit 40 Jahren. Vor ungefähr vier Dekaden lernte der mittlerweile 68-jährige US-Gitarrist als Student den Bassisten und Pädagogen Steve Swallow kennen. Es waren die wilden 1970er, der 20-jährige Scofield absolvierte seine Lektionen aber am renommierten Berklee College. Mit Swallow zu spielen brachte ihn in Verbindung mit eher friedvollen Songideen.

Bis zum aktuellen Trioalbum mit Swallow und Drummer Bill Stewart gab es natürlich Wilderes zu tun. Scofield changierte zwischen abstraktem Modern Jazz, hitziger Fusion und funkiger Coolness. Lange war er eine Art "musicians’ musician", bekannt unter Kollegen als eigenwillig. Ins Scheinwerferlicht der Extraprominenz zog ihn jedoch erst Miles Davis, der eines Abends mit Damen und Typen, die man besser nicht nach der Uhrzeit fragt, im Club erschien, wo Scofield mit Saxofonist Dave Liebman vor eher schütterer Kulisse spielte.

Nie auf Raserei angelegt

Nach dem – wie immer – knappen Miles-Kompliment ("Du klingst gut") folgten ab 1982 drei Jahre in der expressiven Jazzrockband des düsteren Trompeters, bei dem Scofield seinen nie auf Raserei angelegten, Prägnanz suchenden Stil zelebrierte. Später nahm er den Promischwung mit, heuerte exklusiv bei Blue Note und dann bei Verve an, um seine Solokarriere voranzutreiben. Es gelang. Mittlerweile gehört Scofield zu jenen raren anspruchsvollen Stilisten, die Breitenwirkung besitzen, ohne sich kommerziell verbiegen zu müssen.

Von der Atmosphäre her gleichen Swallow Tales einer entspannten Reise in die gute alte Zeit der Standards – zu jenen Songs, die ein Improvisator unbedingt im Kopfarchiv aufbewahren musste. Es sind Stücke wie Hullo Bolinas, Eiderdown und Falling Grace tatsächlich ja längst Teil der jazzigen Allgemeinbildung. Swallow, mit Komponistin Carla Bley liiert, ist ein subtiler Songschreiber, der hier als ruhig schlagendes Bassherz die intime Atmosphäre prägt. Mit in Understatement verpackter Eloquenz.

Wie ein Instrument

Auch so erklärt sich die Partnerschaft mit Scofield – auf den Gitarristen triff der Begriff "Understatement" ebenso zu. Er ist kein "Notenvertilger", eher ein relaxter Produzent sanglicher Aphorismen, in die das Element Klang als Gestaltungsmittel mit einfließt. "Wenn wir zusammenspielen, ist es manchmal so, als spielten wir auf einer großen Gitarre, da der Basspart und mein Part so sehr miteinander in Einklang sind", schwärmt Scofield.

Einspruch. Dies kann nur für die Ebene des Harmonischen und der Sparsamkeit gelten; unterschiedlicher können Swallow und Scofield ja ansonsten nicht klingen. Der Hauptreiz der Einspielung liegt regelrecht auch im Kontrast zwischen den Amigos: Scofield geht in Bebop-orientierten Uptempo-Tunes wie In F nicht einfach den konventionellen Weg. Er neigt zu abstrakten, polytonalen Interpretationen der Changes.

Gerne kratzbürstig

Zudem wirkt sein Sound gerne kratzbürstig, mutiert während eines Solos ins Unbequeme und stellt sich quer zur Konvention, während Swallow Waking-Bass-Charme versprüht. Ein altehrwürdiger Stil wird also durch die Brille der Gegenwart betrachtet. Andererseits ist Scofield immer auch bereit, dem Songcharakter selbstlos gerecht zu werden. Bei der zauberhaften Ballade Away wirkt er nostalgisch auf den zierlichen Spuren eines Gitarristen wie Jim Hall.

"Wenn ein Label dir Ideen für eine Platte suggeriert, lächelst du höflich, um die Idee danach zum Verschwinden zu bringen, da sie nie dem entspricht, was du für dich als Musiker als richtig empfindest", schildert Scofield seine Erfahrungen.

Bei Swallow Tales, erschienen auf ECM, musste nichts verschwinden. Was an nur einem Nachmittag aufgenommen wurde, war von Anbeginn an so authentisch gemeint, wie es rüberkommt. (Ljubiša Tošić, 15.6.2020)