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Micheál Martin wird wohl neuer Premierminister von Irland.

Foto: AP/Niall Carson

Weißer Rauch über Dublin: Vier Monate nach einer Wahl mit unklarem Ausgang haben am Montagmittag drei Parteien ihr gemeinsames Programm für die restliche Legislaturperiode in Irland vorgelegt. Sollten die Parlamentsfraktionen der bisherigen Regierungspartei Fine Gael (FG), der bisher größten Oppositionspartei Fianna Fáil (FF) und der Grünen sowie anschließend auch die Parteimitglieder dem Pakt zustimmen, wird Ende des Monats FF-Chef Micheál Martin neuer Premierminister.

Das 137-seitige Dokument "Unsere gemeinsame Zukunft" kam nach wochenlangen Verhandlungen zustande. Zunächst einigten sich FG unter dem bisherigen Taoiseach (gälisch für Häuptling) Leo Varadkar sowie Martins FF auf eine gemeinsame Regierung. Das kommt in der irischen Politik einer kleinen Revolution gleich: Die beiden Volksparteien gingen aus der Spaltung des Landes im Bürgerkrieg 1922 hervor und waren sich seither spinnefeind. Inhaltlich liegen sie freilich nah beisammen. Während FG ("Familie der Iren") mehr im konservativen städtischen Bürgertum beheimatet ist und der EVP-Fraktion im Europaparlament angehört, kann sich FF ("Soldaten des Schicksals"), Mitglied der liberalen Alde, auf starke Wurzeln im konservativen ländlichen Raum verlassen.

Sorge vor Sinn Féin eint

In den vergangenen vier Wochen gesellten sich die Grünen unter Parteichef Eamon Ryan zu den Gesprächen über eine Jamaika-Koalition. Alle drei Parteien trieb die Sorge vor der sensationell erstarkten Sinn Féin um. Die als legaler Arm der irisch-republikanischen Terrortruppe IRA gegründete Partei hat sich von Gewalt losgesagt und unter Mary-Lou McDonald linkspopulistisch positioniert: Gefordert wurden tiefgreifende Reformen im Gesundheitswesen, dem sozialen Wohnbau und dem öffentlichen Nahverkehr. Die Argumentation von Premier Varadkar, man habe erst unter dem Spardiktat der EU die maroden Staatsfinanzen reparieren müssen, stieß auf taube Ohren.

Sinn Féin holte im Februar die meisten Stimmen (24,5 Prozent), gewann aber wegen Kandidatenmangels lediglich 37 Mandate. Die neue Regierungspartei FF erhielt mit 21 Prozent der Stimmen 38 Mandate im 160-köpfigen Parlament Dáil, FG kam auf 35 Sitze, die Grünen stellen zwölf Abgeordnete. Das neue Kabinett soll 15 Minister umfassen, je sechs Mitglieder der größeren Parteien sowie drei Grüne. Der seit drei Jahren als Premier amtierende Varadkar, 41, dürfte ein neues, auf ihn zugeschnittenes Wirtschafts- und Infrastrukturressort erhalten; Ende 2022 soll er mit seinem Nachfolger Martin die Ämter tauschen.

Bezahlbarer Wohnraum und Gesundheit als Gewinnerthemen

Inhaltlich haben die neuen Partner die Forderungen der Bevölkerung nach besserer Gesundheitsversorgung sowie bezahlbarem Wohnraum aufgegriffen. Bei den wirtschaftlichen Anreizen für eine Erholung nach der Corona-Wirtschaftskrise soll Ökologisches im Vordergrund stehen: mehr Geld für Busse und Radwege, Subventionen für bessere Wärmeisolierung einer halben Million Häuser. "Das sind alles toll klingende Reformen, aber sie kosten alle Geld", mahnt der Dubliner Ökonomieprofessor Edgar Morgenroth.

Bei der Befragung von Fraktionen und Parteivolk stehen die Grünen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Die kleine Partei war für eine Regierungsbeteiligung an der Seite von FF zwischen 2007 und 2011 von den Wählern brutal abgestraft und aus der Dáil gejagt worden.

Dementsprechend skeptisch sind jetzt die Abgeordneten und Mitglieder des Fundi-Flügels. Zudem will Vizechefin Catherine Martin (nicht mit dem FF-Chef verwandt) ausgerechnet jetzt ihren Vorsitzenden Ryan an der Parteispitze ablösen. Doch selbst wenn die grüne Basis die Regierungsbeteiligung ablehnt, dürfte die Einigung der einstigen Bürgerkriegsgegner halten. Parlamentarische Unterstützung müsste dann von kleineren Parteien sowie einigen der 19 unabhängigen Abgeordneten kommen. (Sebastian Borger aus London, 15.6.2020)