Österreichische Schülerinnen lesen "Spatzenpost" auf Deutsch.

Foto: JUNGÖSTERREICH Zeitschriftenverlag

Will man in Österreich sein Kind einschulen, muss man allerlei Papierkram ausfüllen. Unter anderem wird nach der Umgangssprache in der Familie gefragt. Alljährlich produziert die Auswertung dieser Angaben viele schöne Schlagzeilen: "Schule in Not. Wo Deutsch eine Fremdsprache ist." – "Mittlerweile sprechen rund 234.000 Schüler eine andere Sprache als Deutsch." – "Wo mehr Schüler Türkisch als Deutsch sprechen." – "Volksschüler in Wien sprechen kaum Deutsch."

Wie fast immer in der Berichterstattung über sogenannte Migrationsthemen, wird auch hier fröhlich vermengt, verkürzt und skandalisiert: Die Staatsbürgerschaft der Schülerinnen und Schüler wird vermischt mit der Kategorie "Migrationshintergrund". Eine nichtdeutsche Umgangssprache, also die Sprache, die sie zu Hause mit der Familie sprechen, wird gleichgesetzt mit "keine Deutschkenntnisse". Kinder, die hier geboren wurden und deren Großeltern eingewandert sind, werden plötzlich zu "Ausländern".

Ein Schatz!

Garniert werden diese Berichte gerne mit Zitaten von Politikern, die warnen, sich besorgt zeigen oder drohen. Zuletzt hatte Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) Gelegenheit, sich in der "Kronen Zeitung" zu der neuesten Statistik zu äußern: "Parallelgesellschaften, Integrationspflicht, Kürzungen der Sozialhilfe!" Raab ließ sich auch von der beharrlichen und informierten Interviewerin nicht beirren und ignorierte gekonnt die Tatsache, dass in den meisten Fällen eine "nichtdeutsche Umgangssprache" keinesfalls bedeutet, dass die Kinder kein Deutsch sprechen. In vielen Fällen bedeutet das schlicht Mehrsprachigkeit, und zwar bereits mit sechs Jahren. Was für ein Schatz! Wir bräuchten lediglich ein passendes Bildungssystem, das ihn zu heben vermag.

Stattdessen werden Maßnahmen gesetzt, die von Wissenschafterinnen und Pädagogen vielfach kritisiert werden: Kinder werden von den Klassenkameraden getrennt, sind kein Teil der Klassengemeinschaft und verpassen regulären Lernstoff. Auch wenn die sogenannten Deutschklassen vom Bildungsminister heute als großer Erfolg verkauft werden, zeigt sich gerade in der Corona-Krise ihre große Schwäche: In das schulische Regelsystem schlecht integrierte Kinder dürfen jetzt – natürlich freiwillig – einen Teil ihrer Ferien opfern.

Skandalisieren, alarmieren und drohen anstelle zeitgemäßer Lösungen. Natürlich brauchen Schülerinnen und Schüler, die erst seit kurzem in Österreich sind, Unterstützung. Wenn sie dann in einer Klasse landen, in der es vielleicht weitere Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen gibt, führt das selbstverständlich zur Überforderung statt Förderung. Experten haben hier seit Jahren gute Lösungsvorschläge, zum Beispiel zusätzliche Lehrkräfte, wie man das aus Integrationsklassen für Schüler mit Behinderung kennt. Oder Muttersprachenlehrer, die auch im regulären Unterricht eingesetzt werden. Mit ein wenig gutem Willen und Ressourcen wäre das auch in Favoriten zu stemmen.

Stolze Zweisprachigkeit

Das "Sag's multi!"-Finale 2020.
VWFI

Das sich Mühen lohnen können, zeigt der alljährliche mehrsprachige Redewettbewerb "Sag's multi!". Heuer gab es das Finale und die Preisverleihung lediglich als Livestream. Doch normalerweise stehen die Kinder und Jugendlichen stolz und feierlich auf der großen Bühne im Wiener Rathaus. Sie halten ihre Reden abwechselnd in ihrer Familiensprache und auf Deutsch. Im Publikum sitzen die stolzen Eltern und Lehrerinnen, zu Tränen gerührt.

Und bevor es jetzt "Ausnahme!, Einzelfälle!" heißt: Das könnte unsere Normalität sein. Dafür müsste man Mehrsprachigkeit anerkennen und fördern – und zwar nicht nur dann, wenn es europäische Prestigesprachen betrifft. Skandalisieren, alarmieren und drohen bringt unsere Einwanderungsgesellschaft keinen Schritt weiter. (Olivera Stajić, 16.6.2020)