Walter Lübcke hatte sich für humanen Umgang mit Flüchtlingen eingesetzt.

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Stephan E., Tatverdächtiger im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

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Frankfurt am Main – Bereits Stunden vor Beginn des Prozesses um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor rund einem Jahr haben sich vor dem hessischen Oberlandesgericht in Frankfurt am Main am Dienstag lange Warteschlangen gebildet. Um 6 Uhr und damit vier Stunden vor dem geplanten Prozessbeginn warteten schon etwa 30 Journalisten und mehr als ein Dutzend Zuschauer vor dem Gerichtsgebäude auf den Einlass.

Die ersten Menschen waren nach eigenen Angaben seit der Nacht vor Ort. Wegen der Corona-Pandemie wurden die Sitzplätze im Verhandlungssaal reduziert – für Zuschauer stehen 18 Plätze zur Verfügung, für Journalisten 19. Der Prozess soll um 10 Uhr starten.

Rechtsextremisten angeklagt

Angeklagt sind Lübckes mutmaßlicher Mörder Stephan E. und und sein mutmaßlicher Komplize Markus H., die als Rechtsextremisten gelten und Lübcke wegen seiner flüchtlingsfreundlichen Haltung als Opfer ausgewählt haben sollen. E. muss sich als Hauptangeklagter auch wegen eines versuchten Mordes an einem Asylwerber verantworten.

Der Hauptangeklagte behauptet, der Schuss habe sich versehentlich gelöst, und Lübcke zu töten sei nie das Ziel gewesen. Man habe ihn lediglich einschüchtern wollen. Die Bundesstaatsanwaltschaft glaubt ihm das nicht, wie DER STANDARD berichtete.

Laut Bundesanwaltschaft habe Stephan E. seit Mai 2017 mehrfach das Haus seines künftigen Opfers ausgespäht, berichtete das ZDF-Magazin "Frontal 21" kürzlich. Dabei habe er mal einen Revolver, mal eine Wärmebildkamera mit sich geführt. Aus Unterlagen des Tatverdächtigen geht dem Bericht zufolge hervor, dass er akribische Vorsichtsmaßnahmen traf.

Erschossen aufgefunden

Lübcke wurde in der Nacht auf den 2. Juni 2019 tot auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen-Istha gefunden. Laut Obduktion wurde der 65-Jährige mit einer Kurzwaffe aus nächster Nähe erschossen.

Die Ermittler gingen bald von einem rechtsextremistischen Hintergrund der Tat aus. Bis Ende Oktober sind zunächst 30 Verhandlungstage angesetzt. Die Verhandlung findet auch wegen der Corona-Krise unter verstärkten Sicherheitsvorkehrungen statt.

Immer mehr rechtsextreme terroristische Gefährder

Die Zahl der Rechtsextremisten, die von der deutschen Polizei als potenzielle Terroristen eingestuft werden, steigt weiter. Allein seit Jahresbeginn haben die Länderbehörden 13 weitere Extremisten aus dem rechten Spektrum als sogenannte Gefährder eingestuft, die eine besondere Wachsamkeit erfordern.

Als Gefährder bezeichnet die Polizei Menschen, denen sie schwere Gewalttaten bis hin zu Terroranschlägen zutraut. Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Frage des FDP-Innenpolitikers Benjamin Strasser hervorgeht, führte die Polizei im Juni des Vorjahres 39 Rechtsextremisten als terroristische Gefährder in ihren Datenbanken. Inzwischen sind es nach Angaben des Bundeskriminalamtes bereits 65. (APA, 16.6.2020)