Das vom ORF bereitgestellte Bachmannpreis-Ersatzstudio mit Kamera, Scheinwerfern, Monitor: Juror Klaus Kastberger wird von zuhause kommentieren.

Foto: Klaus Kastberger

Der Hometrainer musste Platz machen. An seiner Stelle steht bei Klaus Kastberger zuhause jetzt ein kleines mobiles Heimfernsehstudio. Von dort aus wird er in den kommenden Tagen seine Kommentare zu den Lesungen des Bachmannpreises in den Äther senden. "Es hat vorige Woche eine Probe gegeben, die hat gut funktioniert", ist der Juror optimistisch.

Das klang Ende März noch anders, als das ORF-Landesstudio Kärnten bekannt gab, die Tage der deutschsprachigen Literatur diesmal wegen Corona ausfallen zu lassen. Dass Klagenfurt auch keinen Autor retten wird, war sich die ORF-Landeschefin Karin Bernhard sicher. Nach Protesten eines Großteils der Jury machte ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, der schon einmal mit dem Ende des Wettlesens geliebäugelt hatte, kehrt und verordnete dem Landesstudio, einen Alternativplan auszuarbeiten, was zähneknirschend geschah.

Mit Stand der Corona-Verordnungen heute hätte man die 44. Ausgabe des Wettbewerbs ohne große Einschränkungen durchziehen können: die Juroren sitzen ohnehin im Sicherheitsabstand voneinander entfernt, die Autoren seit einigen Ausgaben überhaupt so weit weg, dass nicht einmal ein wilder Husten nach einer schlechten Kritik eine nennenswerte Menge Viren bis zur Jury schleudern könnte. Es habe Bestrebungen gegeben, die Jury vor Ort diskutieren zu lassen, sagt Kastberger. Doch wollten nicht alle Juroren das Gesundheitstrisiko auf sich nehmen. So wird einzig Moderator Christian Ankowitsch im Studio in Klagenfurt stehen, flankiert von Heinz Sichrovsky und Julya Rabinowich als Kommentatoren, sollte Sendezeit zu füllen sein.

Poetische Software

Die vierzehn Autoren indes, darunter sechs aus Österreich, haben heuer ihre Lesungen vorab aufgezeichnet. Gespannt sein darf man etwa auf Hanna Herbst, die bisher nicht für Literatur bekannt ist, aber als Journalistin von Vice Österreich Popularität in der Szene erlangt hat. Jörg Piringer experimentiert mit "poetischer Software". Laura Freudenthaler und Carolina Schutti schreiben präzise, stille Texte.

Grimmig, zart, schnell, langsam, laut, leise: Wer nun aber glaubt, jeder Autor hätte zig Fassungen seiner Lesung aufgenommen und die beste nach Klagenfurt geschickt, irrt. "Man konnte sein Video nicht mehrere Male aufnehmen", sagt Autorin Lydia Haider. Varianten hätte sie nur vorab in unzähligen Leseproben versucht. Autor Egon Christian Leitner kennt seine Videoaufzeichnung gar nicht. "Die ORF-Leute beim Dreh waren mein Publikum. Mir wurde gesagt, es gebe keine technischen Probleme."

Dass sie sich stressige Tage in Klagenfurt durch die Videoaufzeichnung ersparen, wiegt für beide den Nachteil nicht wirklich auf. Haider (Stichwort "Babykatzengate" mit Stefanie Sargnagel) war in den letzten Jahren schon als Zaungast in Klagenfurt. Die langen Abende inklusive der Gespräche vor Ort werden ihr heuer abgehen. "Es ist in_Klagenfurt ja immer so, als bekäme man alles auf dem Silbertablett serviert: Was gerade in der Literatur relevant ist oder wovon geglaubt wird, dass es relevant ist, auch Stimmungen zur Lage in Verlagen, in den Medien, bei den Literatinnen selbst und dazu auch noch so viel Textinhärentes."

Notlösung mit mehr Konzentration

Klagenfurt ist während der Wettbewerbstage tatsächlich der Ort, an dem sich ein guter Teil des deutschsprachigen Literaturbetriebs aus Verlagsleuten, Agenten, Journalisten versammelt. Nicht umsonst nennt man die fünf Tage scherzhaft "Betriebsausflug" der Branche. Dass das heuer nur eine Notlösung sein kann, sehen auch die Sponsoren der Preisgelder so. Allen voran die Stadt Klagenfurt, der der anreisende Tross jedes Jahr volle Betten beschert.

Wird sich die digitale Zerstreuung heuer auf die Jurydebatten auswirken? "Die Theorie des Bachmannpreises ist ja, dass es in der Entscheidung um nichts anderes als die Texte geht. Das ist eigentlich eine Laborsituation, hat also tatsächlich nie wirklich gestimmt. Denn das soziale Umfeld spielt immer eine Rolle", sagt Juror Kastberger. "Charmante Autoren hatten es leicht, ihren Charme vor Ort spielen zu lassen. Ich glaube also, dass heuer stärkere Konzentration auf den Texten liegen wird. Und die Texte sind heuer besonders unterschiedlich. Es wird nicht so sehr über gut oder schlecht entschieden werden, sondern für welche Art von Literatur man eigentlich ist."

Was aus der Ferne wohl am meisten fehlen wird: das sonst gewohnte Rascheln, wenn alle im Saalpublikum zugleich in ihren Textkopien umblättern. (Michael Wurmitzer, 17.6.2020)