Gebirge entstehen mit wenigen Ausnahmen an den Grenzen der tektonischen Platten. Stoßen etwa zwei Kontinentalplatten gegeneinander, so falten sich an der Kollisionszone Gebirksketten empor. Der Himalaya beispielsweise erhob sich durch das Auftreffen des Kontinentalblocks der Indischen auf den der Eurasischen Platte. Die Alpen wiederum falteten sich durch die Kollision der Afrikanischen Platte mit der Eurasischen Platte auf. Lange Zeit ging man davon aus, dass die Gebirgsbildung ein zeitlich begrenzter Vorgang ist, mittlerweile ist diese Ansicht jedoch überholt.
Dass Gebirge nicht endlos weiter wachsen, wurde bisher der Erosion angelastet – doch eine aktuelle Studie zeigt nun, dass es nicht die Verwitterung ist, die darüber bestimmt, wie hoch Gebirgsmassive aufragen. Verantwortlich ist vielmehr ein Kräftegleichgewicht in der Erdkruste, wie Wissenschafter aus Potsdam und Münster in der Fachzeitschrift "Nature" berichten.
Erdbeben und Gebirgsauffaltung
Die höchsten Gebirgsgürtel unserer Erde, etwa der Himalaya oder die Anden, erstrecken sich entlang von so genannten konvergenten Plattengrenzen. Dort bewegen sich zwei Erdplatten aufeinander zu, und eine der Platten wird gezwungen, unter die andere in den Erdmantel abzutauchen. Bei diesem Prozess der Subduktion kommt es auf der Kontaktfläche zwischen den beiden Platten immer wieder zu starken Erdbeben. Außerdem entwickeln sich über Jahrmillionen Gebirge an den Rändern der Kontinente.
Ob die Höhe dieser Gebirge vor allem durch tektonische Vorgänge im Erdinneren bestimmt wird oder hauptsächlich durch Erosion und den Abtransport von Material an der Erdoberfläche kontrolliert ist, wird in den Geowissenschaften seit langem kontrovers diskutiert. Die neue Studie von Wissenschaftern um Armin Dielforder vom Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zeigt nun zum ersten Mal, dass Erosion durch Flüsse und Gletscher keinen nennenswerten Einfluss auf die Höhe von Gebirgen hat.
Wärme als Indikator für Reibungsenergie
Zu diesem überraschenden Ergebnis gelangten die Forscher indem sie die Kräfte entlang verschiedener Plattengrenzen auf der Erde berechneten. Sie nutzten dazu Daten, die Aufschluss über die Festigkeit von Plattengrenzen geben und sich zum Beispiel aus Wärmeflussmessungen im Untergrund ableiten. Der Wärmefluss an konvergenten Plattengrenzen wird wiederum von der Reibungsenergie an den Grenzflächen der Kontinentalplatten beeinflusst.
Man kann sich demnach die Gebirgsbildung anhand eines Tischtuches vorstellen. Legt man beide Hände unter das Tuch auf die Tischplatte und schiebt, so faltet sich das Tuch auf, zugleich rutscht es immer wieder ein bisschen über die Handrücken. Die Falten würden den Anden entsprechen, das Rutschen über die Handrücken der Reibung im Untergrund – je nach Gesteinseigenschaften bauen sich dabei auch Spannungen auf, die sich in schweren Erdbeben entladen, insbesondere an Subduktionszonen.
Kräftegleichgewicht
Die Forschenden sammelten aus der Literatur weltweite Daten zur Reibung im Untergrund von unterschiedlich hohen Gebirgszügen (Himalaya, Anden, Sumatra, Japan) und berechneten daraus die entstehenden Spannungen und damit auch die Kräfte, die zur Hebung der jeweiligen Gebirge führen. So wiesen sie nach, dass sich in aktiven Gebirgen die Kraft auf der Plattengrenze und die Kräfte, die sich aus dem Gewicht und der Höhe des Gebirges ergeben, die Waage halten. Solch ein Kräftegleichgewicht herrscht in allen untersuchten Gebirgen, obwohl diese in unterschiedlichen Klimazonen mit stark variierenden Erosionsraten liegen.
Dieses Ergebnis zeigt, dass Gebirge in der Lage sind, auf Erdoberflächenprozesse zu reagieren und bei schneller Erosion so zu wachsen, dass das Kräftegleichgewicht und die Höhe des Gebirges erhalten bleiben. Diese fundamental neue Erkenntnis eröffnet zahlreiche Möglichkeiten, die langfristige Entwicklung und das Wachstum von Gebirgen eingehender zu erforschen. (red, 21.6.2020)