Bäume speichern Daten in der Zeit, in der sie leben. Die Wissenschaft kann sich diese Informationen zugänglich machen – beispielsweise um Klimamodelle zu präzisieren.

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Von Eisbohrkernen aus den Gletschern der Pole über Analysen von Kalzit, das sich mit fließendem Wasser in Höhlen ablagerte, bis zum Zerfall natürlicher Kohlenstoffisotope: Die Wissenschaften haben eine ganze Reihe von Verfahren hervorgebracht, um anhand von Materialproben und Artefakten weit in die Vergangenheit blicken und archäologische, erd- und klimageschichtliche Erkenntnisse gewinnen zu können.

Im frühen 20. Jahrhundert wusste man noch nichts von der Möglichkeit, den radioaktiven Zerfall bestimmter Elemente für die Erforschung der Vergangenheit heranzuziehen. Und doch stammt die älteste naturwissenschaftliche Datierungsmethode aus dieser Zeit – die Dendrochronologie. Wörtlich übersetzt: die Lehre von der Zeit der Bäume. Und erstaunlicherweise ist es diese Untersuchung von Hölzern, die bis heute der verbreiteten Datierung durch die Radiokarbonmethode zu einer höheren Genauigkeit verhilft.

Rekonstruktion von Umweltbedingungen

Ausgerechnet ein Astronom sollte die Untersuchung der Jahresringe von Bäumen zur strukturierten Wissenschaft machen: Der US-Amerikaner Andrew E. Douglass (1867–1962) hatte die Idee, dass sich die Sonnenzyklen im Wachstum der Bäume abbilden könnten. Bald wurde klar, dass sich auch vergangene Umwelt- und Klimabedingungen anhand der Analysen alter Holzstücke rekonstruieren lassen.

Bekannt wurde vorerst vor allem Douglass’ Untersuchung von Holzgegenständen der amerikanischen Ureinwohner: In Siedlungen der Hopi fand er etwa Material, das seit dem 13. Jahrhundert in Verwendung war.

Die Dendrochronologie wird auch in Österreich an mehreren Institutionen kultiviert. Eine davon ist die Uni Innsbruck. Hier arbeiten Kurt Nicolussi und Kollegen am Institut für Geografie im Zuge einer alpinen Dendrochronologie unter anderem daran, Details der Klimavergangenheit, früheren Waldgrenzen und Gletscherveränderungen im Alpenraum herauszufinden.

Die Grenze, bis zu der man in Mittel- und Nordeuropa mithilfe der Dendrochronologie "zurückschauen" kann, ist mit dem Ende der Eiszeit markiert. "Die ältesten Hölzer, die man hier finden kann, sind etwa 14.000 Jahre alt", erklärt Nicolussi. "Südlich der Alpen kommt man noch etwas weiter zurück. Durchgehende Zeitreihen lassen sich für diese frühen Phasen aber nicht zusammensetzen."

10.000 Jahre zurück

Durchgehende Zeitreihen zu haben, das bedeutet, über genug Probenmaterial zu verfügen, um gesicherte Jahresringchronologien erstellen zu können. Neue Proben können mit dieser Zeitreihe abgeglichen und zeitlich jahrgenau verortet – sprich datiert – werden. Nicolussi und Kollegen konnten in zwei vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Projekten eine Zeitreihe für den Ostalpenraum aufbauen, die etwa 10.000 Jahre zurückgeht, exakt bis ins Jahr 8072 vor unserer Zeitrechnung.

Die Forschungsarbeit ist eine Art Puzzlespiel, bei dem man nach immer mehr Proben sucht, die in Mooren oder unter Gletschern erhalten blieben. Man fahndet in den Jahresringabfolgen der verschiedenen Hölzer nach Überschneidungen, um immer weiter in der Zeit zurückzukommen. Die Innsbrucker ostalpine Hochlagenchronologie basiert derzeit auf knapp 2000 solcher subfossil konservierten Hölzer.

Anhand dieser Referenzchronologie konnten etwa Hölzer des Kupferbergbaus auf dem Salzburger Mitterberg ab etwa 1370 v. Chr. datiert werden. Das analysierte Material stammte dabei von Holzkästen, die man damals für das Waschen des Kupfererzes nutzte.

"Dank der toxischen Wirkung des Erzes wurde das Bodenleben im Umkreis reduziert, und das Holz konnte sich erhalten", erklärt Nicolussi. Anfangs nutzten die prähistorischen Bergleute noch Fichtenholz aus der unmittelbaren Umgebung für diese Kästen, später mussten sie das Holz aus einem weiteren Umkreis heranschaffen, wie eine Analyse der Holzstrukturen ergab.

Wissen aus den Jahresringen

Doch nicht immer ist die Jahresringabfolge gut einordenbar. Die Einflüsse, die sich in ihr abbilden, sind vielfältig. Grundsätzlich ist die Variabilität der saisonalen Zuwächse nicht zufällig, klimatische Aspekte wie Temperatur- und Niederschlagsverläufe bilden sich darin ab. Doch dazu kommen Signale in den Strukturen, die vom konkreten Standort, vom lokalen Nährstoffangebot, vom Insektenbefall, vom Blitzschlag erzählen, erklärt Nicolussi.

Manche Signale lassen auf punktuelle Ereignisse wie Fels- und Bergstürze oder Lawinen rückschließen. Und natürlich bilden sich Ereignisse mit globaler Wirkung ab – etwa der Ausbruch des Tambora im heutigen Indonesien im Jahr 1815. Dank elektronischer Vermessung und statistischer Methoden, mit denen die Strukturen heute verarbeitet werden, ist die Auswertung der Proben einfacher geworden.

Trotz aller Schwierigkeiten ist die Dendrochronologie bis heute die genaueste Datierungsmethode für das Holozän. Immerhin können ihre Aussagen auf das Jahr genau getroffen werden. Die 14C-Methode, die den Zerfall eines Kohlenstoffisotops vermisst, nähert sich eher auf Jahrzehnte und wird oft mit dem Wissen aus den Jahresringen ergänzt.

Zudem braucht die 14C-Methode die Dendrochronologie für die Kalibrierung: In den Hölzern bildet sich auch der jeweilige 14C-Gehalt der Atmosphäre ab, der etwa von Schwankungen der Sonnenaktivität und des Erdmagnetfelds abhängig ist. Diese Daten müssen für eine genauere Radiokarbonmethode berücksichtigt werden.

Klima-Stressfaktoren

Aus den dendrochronologischen Daten werden auch langfristige Klimaveränderungen abgelesen. Doch auch die klimatischen Stressfaktoren bilden sich – gerade in einer Gebirgsregion wie den Alpen – je nach Standort unterschiedlich ab.

Die Innsbrucker Wissenschafter nutzen etwa Hölzer aus Berglagen nahe der Waldgrenze, um Temperaturverläufe – der bestimmende Einflussgeber hier – abzubilden. Proben aus Tallagen können genutzt werden, um das Hydroklima – Niederschlag und Trockenheit – nachzuvollziehen.

Nicolussi und Kollegen haben etwa bereits eine Rekonstruktion der Sommertemperaturentwicklung der vergangenen 2500 Jahre publiziert. An weiter zurückgehenden Untersuchungen wird gearbeitet. In den Dendro-Daten bilden sich langfristige Ereignisse wie beispielsweise die Kleine Eiszeit, also jene Kaltperiode, die das das Klima in Europa ab dem 13. Jahrhundert prägte, gut ab. Auch das Anwachsen der Gletscher, die dadurch mehr Holz konservierten, kann nachvollzogen werden.

Lücken in anderen Weltgegenden

Die Methoden der Dendrochronologie gehen mittlerweile weit über Analyse von "Jahresringbreitenwerten" hinaus. Man versucht mit der Untersuchung von Sauerstoff-, Kohlenstoff und Wasserstoffisotopen verbesserte Klimarekonstruktionen zu erreichen und über die Bestimmung der Ausprägung der Holzzellen Signale innerhalb einer einzelnen Wachstumssaison besser zu erfassen.

Nicolussi und Kollegen arbeiten etwa mit Kollegen der Uni Bern zusammen, um in einem FWF-Projekt Klimadaten für den Alpenraum aus den vergangenen 9000 Jahren auf Basis von Holzisotopen zu extrahieren.

Neben der Weiterentwicklung dieser Methoden und dem Ausbau der bestehenden Zeitreihen sieht Nicolussi noch genügend weitere Aufgabe für eine künftige Dendrochronologie: "Die Forschung ist in Mitteleuropa weit gediehen. Lücken gibt es hingegen in anderen Weltgegenden, aber auch Potenzial, Chronologien, die weiter in die Zeit zurückreichen, aufzubauen – etwa für Neuseeland, wo Baumvorkommen noch vor dem Höhepunkt der Eiszeit gut belegt sind." (Alois Pumhösel, 24.6.2020)