In der Kommission, die nach scharfer Kritik am HGM nun weitere Säle des Museums prüfen soll, sollten Militärhistoriker sitzen, fordert Michael Hochedlinger, selbst Militärhistoriker und ehemaliger HGM-Mitarbeiter, in seiner Replik auf Elena Messner und Eva Blimlinger.

Weder in jener Kommission, die unter Vorsitz von Wolfgang Muchitsch den skandalumwitterten Ausstellungsteil 1918–1945 zu prüfen hatte, noch unter den medial lautstark auftretenden Fundamentalgegnern des Heeresgeschichtlichen Museums (HGM) findet sich auch nur ein einziger Militärhistoriker.

Eva Blimlinger ist gewiss eine sehr streitbare Person (ewiger Dank gebührt ihr für ihren ebenso engagierten wie vergeblichen Kampf gegen das Haus der Geschichte in der Hofburg), aber nennenswertes militärhistorisches (oder museumspraktisches) Know-how hat sie als Erstfachgermanistin und Kulturmanagerin wohl nicht aufzuweisen. Und wenn sie dem Direktor des HGM, M. Christian Ortner, in einem unschönen Argumentum ad Hominem seinen Doktorvater Lothar Höbelt vorhält (und damit den Verdacht bestätigt, dass der Kreuzzug gegen das HGM und die jüngst künstlich wieder hochgekochte Aufregung um Höbelt zusammenhängen), muss sie sich daran erinnern lassen, dass sie selbst über gar kein Doktorat verfügt.

Die Militärgeschichte hat die Geschichtswissenschaft hierzulande der Armee überlassen.
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Medienberichten zufolge will die erweiterte Muchitsch-Kommission, die demnächst alle Säle des HGM durchleuchten soll, mit Ansgar Reiß, dem Leiter des Armeemuseums Ingolstadt, und Gorch Pieken, dem geschassten wissenschaftlichen Direktor des Militärhistorischen Museums Dresden, fehlende Expertise zukaufen. Der kuriose Umstand, dass auch diese beiden keine Militärhistoriker sind, verdient es umso mehr, hervorgehoben zu werden.

Geschichtsflucht

Tatsächlich lassen sich Militärhistoriker in Deutschland und Österreich nur mit Mühe rekrutieren. Selbst im Militärhistorischen Beirat des Verteidigungsministeriums sind sie recht schwach vertreten. Die akademische Geschichtswissenschaft hat sich hierzulande eben nie wirklich für Militärgeschichte interessiert und das Themenfeld seit dem 19. Jahrhundert der Armee überlassen. Nach 1945 bestand natürlich keinerlei Anreiz, Krieg und Militär universitär zu rehabilitieren.

Den Anschluss an eine sich seit den 1980er-Jahren etablierende "neue", sozialgeschichtlich orientierte Militärgeschichte hat man völlig verschlafen. Angloamerikanische Historiker bewirtschaften heute die kriegerischen Aspekte der österreichischen Geschichte vor 1918 als lohnende Marktlücke.

Minenfeld Zeitgeschichte

Der Interessenhorizont der österreichischen Historiker engte sich indes mehr und mehr auf die Zeitgeschichte ein. Manfried Rauchensteiner, bis 2005 Direktor, hat diese Entwicklung früh erkannt und die inhaltliche Ausrichtung des Hauses, das bis dahin ein Museum des habsburgischen Militärs gewesen war, entsprechend erweitert: Es sollte jetzt Kern eines ins Zeithistorische expandierenden Nationalmuseums werden. Mit dem 1998 eröffneten Saal "Republik und Diktatur 1918–1945" hat Rauchensteiner dem HGM sichtlich einen Bärendienst erwiesen. Die Schau wurde von Anfang an als informationsbefreiter Trödelladen kritisiert, aber einen Festsaal der NS-Verharmlosung hat darin niemand gesehen. Damals gab es auch keine Konkurrenz, die mit Aussicht auf Erfolg begehrliche Blicke auf Gebäude und Exponate hätte werfen können, und die eher biedere Zeitgeschichte war noch nicht Hilfswissenschaft einer globalisierten Empörungskultur.

Zwei Jahrzehnte später stellt sich die Lage ganz anders dar. Zwei Häuser der Geschichte mit parteipolitischem Entstehungshintergrund buhlen um ein Publikum, dem sie wenig bis gar nichts zu bieten haben. In der Wiener Hofburg findet auch der Bildungswilligste nur lieblos ausgeschütteten Plunder, der die Geschichte unseres Landes bestenfalls karikiert. Es ist bezeichnend, dass die Verantwortlichen die Corona-Krise in Gestalt von Klopapier museal einzufangen gedenken. In St. Pölten prangt der bustouristenfreundliche "Schallaburg-Stil". Und unsere Zeitgeschichte? Oliver Rathkolb, promovierter Jurist, hat sie zu einer Art historischer Staatsanwaltschaft weiterentwickelt, die die Politik vor sich hertreibt. Freilich: Die Strafverfolgung der Vergangenheit ist mittlerweile ein Selbstläufer.

Moralisches Gütesiegel

In einem postheroischen Zeitalter mit opferzentriertem Geschichtsbild wirkt ein Militärmuseum natürlich wesenhaft deplatziert. Eine Holocaust- oder Deserteursgedenkstätte wird das Bundesheer kaum finanzieren. Bleibt die stürmisch eingemahnte "Kontextualisierung". Leider meint die neue Zauberformel nie die so dringend nötige Erklärung nicht oder nur schwer visualisierbarer Zusammenhänge, auf die fast alle Museen (aus Bequemlichkeit oder Unvermögen) verzichten, übrigens auch Muchitschs Landeszeughaus in Graz. In Wahrheit geht es um die Entschärfung von gegenwartsunverträglicher Geschichte durch Warntafeln, um betreutes Sehen und kuratiertes Denken.

Ehe auch die übrigen Säle des HGM von Unberufenen vermasselt werden, ein konstruktiver Vorschlag zur Güte: Der allgemeinhistorische Saalinhalt von "Republik und Diktatur" wird an allfällige Interessenten abgegeben. Den so freiwerdenden Stellraum nützt das HGM für das Thema "Österreicher in der Deutschen Wehrmacht" und für eine Darstellung der Geschichte des Bundesheers der Ersten und Zweiten Republik. Ein bisschen "Firmenmuseum" darf, ja muss sein.

Wer aber kümmert sich um das Hitler-Haus in Braunau? (Michael Hochedlinger, 17.6.2020)