Kommenden Freitag beginnt der EU-Gipfel der Staats-und Regierungschefs, bei dem das von Merkel und Macron vorgeschlagene 750-Milliarden-Euro-"Wiederaufbauprogramm" für die Union beschlossen werden soll.

Österreich in Gestalt von Bundeskanzler Sebastian Kurz will dem nicht zustimmen – als Quasiwortführer der sogenannten Frugalen Vier (außerdem noch die Niederlande, Schweden und Dänemark). Ein fataler Querschuss im, wie die "Zeit" schreibt, "vielleicht wichtigsten Moment in der Geschichte der EU"? Das Wiederaufbauprogramm soll die Folgen der Corona-Krise bekämpfen, gleichzeitig aber mit der Aufnahme von Schulden durch die EU-Kommission bei gemeinsamer Haftung der Mitglieder eine wirkliche gemeinsame, strategische Wirtschaftspolitik ermöglichen, um gegen die abdriftenden USA und ein hegemoniales China bestehen zu können. "Es geht ums Überleben", sagt der Politologe Ivan Krastev vom Institut für die Wissenschaften vom Menschen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Foto: AP/Ronald Zak

Wird Kurz es riskieren, diesen historischen Moment der EU zu torpedieren? Ist er überhaupt ein wirklicher Herzenseuropäer, so wie der verstorbene Parteifreund Alois Mock oder auch der Sozialdemokrat Franz Vranitzky, die bei größten politischen Gegensätzen Österreich vor 25 Jahren gemeinsam in die EU geführt haben?

Rechtspopulistische Rhetorik

Kurz ist bisher eher mit rechtspopulistischer EU-Kritik aufgefallen. Zuletzt formulierte er in einem "Kurier"-Interview so, dass man glauben konnte, er meine, die Schweiz habe es als Nicht-EU-Mitglied besser. Tatsächlich meinte er nur eine technische Besonderheit bei den Beihilfen. Aber der Verdacht wurde auch genährt dadurch, dass er über die EU nur mit dem Vokabular der EU-Gegner spricht: "Bevormundung durch Brüssel", "Bürokratieabbau", "Regulierungswahn", "Kommission verkleinern" et cetera. Vor den EU-Wahlen 2019 forderte er zwar, Mitgliedern, die gegen den Rechtsstaat verstoßen, das Geld zu kürzen, in der Realität ließ er sich jedoch nicht einmal zu einer formalen Verurteilung des Autokraten Viktor Orbán hinreißen. Der Dozent für Politikwissenschaft und ehemalige Kreisky-Sekretär Thomas Nowotny bezichtigte Kurz sogar, Österreich "an Europas national-populistischen Rand" zu führen.

Rechtspopulistische Rhetorik ist die eine Sache, vor allem wenn sie innenpolitisch motiviert ist. Kurz will klar die europaskeptischen Ex-FPÖ-Wähler behalten. Ob das staatsmännisch ist, ist die andere. Und ob ein österreichischer Kanzler eine Mitverantwortung dafür übernehmen kann, dass ein entscheidender Moment der EU schiefgeht, ist noch einmal etwas anderes.

Tatsächlich richtet sich der Widerstand der Frugalen Vier gegen etwas, das so nicht geplant ist. Es scheint auch, als würden Einzelne – Dänemark – schon abspringen. Im Kern geht es darum, ob die gefährdeten Südstaaten Zuschüsse oder Kredite bekommen sollten. Letztere könnten sie sich nicht mehr leisten.

Herauskommen muss/wird ein Kompromiss. Aber wenn der österreichische Kanzler zu wenig Augenmaß beweist und gemeinsam mit anderen zu lange und bei den falschen Fragen auf einem Veto beharrt, läuft er Gefahr, wegen populistischer Kurzsichtigkeit die strategischen Interessen der EU aus den Augen zu verlieren. (Hans Rauscher, 17.6.2020)