Im Gastkommentar hält WU-Professor Fritz Breuss die Stoßrichtung der EU-Hilfsmittel zum wirtschaftlichen Wiederaufbau der Mitgliedstaaten zwar für richtig, kritisiert aber, dass diese erst 2021 wirksam werden können.

Das Jahr 2020 wird – in Abwandlung des Stoßseufzers von Königin Elizabeth II – als Annus horribilis in Erinnerung bleiben. Die Corona-Pandemie überschattet Feierlichkeiten in Europa: 75 Jahre Ende des Zweiten Weltkrieges, 70. Jahrestag der Gründung der EU und 25 Jahre EU-Mitgliedschaft Österreichs, Finnlands und Schwedens.

Das Coronavirus hat die an sich schöne Bilanz der 25-jährigen EU-Mitgliedschaft – allerdings nur im letzten Jahr – getrübt. Alle Studien belegen, dass die EU-Mitgliedschaft (vor allem die Teilnahme am Binnenmarkt) für die drei Länder, die 1995 der EU beitraten, insgesamt vorteilhaft war. Interessanterweise fallen die Wohlfahrtssteigerungen in Österreich höher aus als in den skandinavischen Ländern. Österreich konnte durch die EU-Mitgliedschaft sein reales BIP pro Jahr um 0,8 Prozent steigern, Finnland und Schweden nur um jeweils halb so viel. Ein Hauptgrund dafür dürfte die stärkere Intra-EU-Handelsverflechtung Österreichs sein, die wiederum eine Folge der intensiveren Handelsbeziehungen mit den Staaten Mittel- und Osteuropas ist.

Und nun der Corona-Schock. Aus Angst vor der exponentiellen Ausbreitung der Pandemie haben alle Staaten (am mildesten Schweden) nach dem Drehbuch der WHO die Volkswirtschaften – mit unterschiedlichem Tempo – ins Koma versetzt. Nach dem offensichtlichen Erfolg des Lockdowns versuchen die Regierungen in einer Art DKT-Spiel die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

Der Corona-Schock trifft die EU-Wirtschaft hart.
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Einmalige Rezession

Die Rezession 2020 ist in mehrfacher Hinsicht einmalig. Zum einen ist sie von der Regierung ausgelöst, zum anderen ist sie die tiefste seit der Großen Depression in den 1930er-Jahren. Laut den Schätzungen der EU-Kommission könnte das reale BIP in der EU heuer um rund 7,5 Prozent schrumpfen – mit großen Schwankungen von zehn Prozent in Griechenland, Italien und Spanien bis zu nur vier Prozent in Polen. Die Corona-Rezession ist am ehesten mit jener während der Spanischen Grippe (1918–20) vergleichbar, als das BIP in Österreich um rund 16 Prozent schrumpfte.

Nachdem der Verursacher der Corona-Rezession der Staat war, ist es nur recht und billig, dass auch der Staat den Schaden behebt. Wer ist dafür eher zuständig, die EU oder die Mitgliedstaaten? Wieder hat sich gezeigt, dass in fundamentalen Krisen der Nationalstaat rascher reagieren kann als die EU, die zudem in Gesundheitsfragen nur begrenzte (unterstützende) Kompetenzen hat. Das Coronavirus hat nicht nur den Nationalismus wieder aufleben lassen, sondern die Mitgliedstaaten haben – je nach Finanzkraft – auch unterschiedlich hohe nationale Hilfspakete geschnürt. Deutschland unterstützt seine Wirtschaft mit der Hälfte der Mittel aller EU-Staaten, obwohl sein BIP-Anteil nur ein Viertel ausmacht.

Richtige Stoßrichtung

Nach der anfänglichen Schockstarre der Kommission und nach der Steilvorlage durch den Macron-Merkel-Plan hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen "Europäischen Aufbauplan" vorgelegt. Er ist ein Kompromiss zwischen dem Macron-Merkel-Vorschlag, 500 Milliarden Euro Zuschüsse an die am stärksten betroffenen EU-Mitgliedstaaten zu vergeben, und jenem der "Frugalen Vier", die nur Kredite als Solidaritätshilfe vergeben wollen. Der EU-Aufbauplan hat einen Umfang von 750 Milliarden Euro, davon 250 Milliarden an Krediten, und soll – zeitlich begrenzt – in den mehrjährigen Finanzrahmen 2021 bis 2027 im Ausmaß von 1100 Milliarden Euro eingebaut werden. Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU erlaubt ja es der Union, einem Mitgliedstaat finanziellen Beistand im Fall von Naturkatastrophen zu gewähren.

Im Prinzip ist die Stoßrichtung des EU-Recovery-Plans richtig. Er unterstützt fiskalpolitisch die Mitgliedstaaten und entlastet oder begleitet in der Krisenbewältigung die EZB, die mit ihrem Corona-Programm massiv Staatsanleihen aufkauft. Die Hauptkritik am Recovery-Programm der EU liegt im Timing. Die Mittel können frühestens 2021 fließen, da sich die EU-Mitgliedstaaten und das EU-Parlament erst auf einen Kompromiss einigen müssen. Und wenn neue Eigenmittel, wie CO2-Steuer oder CO2-Grenzabgaben, eingeführt werden sollen, müssen auch die Mitgliedstaaten zustimmen. Italien und Spanien, die von der Corona-Krise am stärksten betroffenen Länder, würden die Mittel aber bereits heuer benötigen, um die Rezession abzumildern. 2021 soll das reale BIP – auch nach Kommissionsprognose – mit sechs Prozent bereits wieder üppig wachsen. Die zusätzlichen Hilfsgelder wirkten dann aber nur prozyklisch. Laut Kommissionsschätzungen würde durch das 750-Milliarden-Euro-Programm das Niveau des realen BIPs der EU zwischen 2021 und 2024 um ein bis zwei Prozentpunkte steigen.

Wachstumslokomotive Osteuropa

Was bedeutet das für Österreichs Zukunft in der EU? Wird Österreich in den nächsten 25 Jahren in der EU genauso viel profitieren wie im vergangenen Vierteljahrhundert? Wohl kaum, denn die Wachstumslokomotive Osteuropa, von der Österreich vorrangig profitierte, kommt allmählich zum Stillstand, und die EU selbst hat nach dem Austritt Großbritanniens noch zu viele Baustellen zu bearbeiten, dass sie trotz des ehrgeizigen Green Deals kaum jemals – laut eigenem Ziel in "Europa 2020" – zur am raschesten wachsenden Weltregion aufsteigen könnte. China schläft nicht. (Fritz Breuss, 16.6.2020)