Seit dem brutalen Mord am Afroamerikaner George Floyd durch einen Polizisten breitet sich die Solidarität mit der Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) weltweit aus. Auch in Österreich waren allein am 4. Juni in Wien 50.000 Menschen auf der Straße. In den USA haben sich unter anderem zahlreiche Umwelt-NGOs und Gruppen der Klimabewegung solidarisch erklärt und thematisieren strukturellen Rassismus – generell und im Zusammenhang mit ihren Kernthemen. So hat sich etwa Greenpeace USA in mehreren Statements zum Thema Rassismus und Polizeigewalt zu Wort gemeldet und bietet auf seiner Website Ressourcen zum Thema an, hunderte Umweltgruppen haben sich mit BLM solidarisch erklärt und fordern ein Ende des strukturellen Rassismus, Schutz der Protestierenden und eine Reduktion der Finanzmittel für die Polizei. 

In Österreich sind derartige Schritte von Umweltorganisationen und in der Klimabewegung eher Mangelware. Die meisten Organisationen brauchten einige Zeit, bis sie sich solidarisch erklärten, meist blieben es Randbemerkungen. Auch Fridays for Future (FFF) Wien ließ sich mit einem Solidaritäts-Statement mit Black Lives Matter etwas Zeit. Laut der FFF-Aktivistin Amina Guggenbichler (18) soll sich das in Zukunft ändern: “Ich glaube, dass wir uns bisher zu wenig zum Thema Antirassismus geäußert haben – auch weil er für uns so extrem selbstverständlich ist. Wir merken aber jetzt nach viel Feedback, dass das nach außen hin nicht unbedingt so gewirkt hat. Die Black-Lives-Matter-Bewegung ist ein Weckruf für uns gewesen, zu zeigen, dass Antirassismus und Klimagerechtigkeit zusammenhängen. Wir befinden uns gerade in einem Prozess, das Ganze noch mehr nach außen zu tragen.” 

Das würde sich die Aktivistin auch von anderen Umweltorganisationen wünschen. Offenheit dürfe nicht als selbstverständlich angenommen werden, sondern müsse aktiv gelebt werden. Kommuniziere man Antirassismus nicht offensiv, “verschließt man sich vor den anderen, man schafft eine Grenze damit. Deswegen ist es ganz wichtig, jetzt laut und aktiv zu werden was Antirassismus und Black Lives Matter angeht, weil es oberste Priorität haben muss, dass wir alle gemeinsam an einem Strang ziehen.”

Guggenbichler: "Klimagerechtigkeit funktioniert nicht ohne Antirassismus und soziale Gerechtigkeit."
Fridays for Future Vienna

Das Erbe des Kolonialismus

Die Klimakrise ist eine rassistische Krise. Die Wurzeln des mit fossilen Ressourcen befeuerten kapitalistischen Wirtschaftssystems liegen im Kolonialismus und damit in der rassistischen Abwertung und Unterdrückung von Menschen in Ländern des Globalen Südens durch europäische Kolonialmächte, um sich deren Ressourcen und Arbeitskraft zu nehmen. Diese strukturelle Unterdrückung und Benachteiligung von Schwarzen, Indigenen und People of Color (BIPoC) setzt sich bis heute fort. Neben der weit überdurchschnittlichen Betroffenheit durch Polizeigewalt zeigt sich dies in den Auswirkungen von Umweltbelastungen und Klimawandel-Folgen: Schmutzige Fabriken, Kraftwerke und Abfalldeponien liegen meist in oder nahe an Wohngebieten mit überwiegend Schwarzer oder Indigener Bevölkerung. Das ist besonders für die USA gut erforscht. Gleichzeitig leiden vor allem Menschen im Globalen Süden unter den Folgen der Klimakrise, obwohl sie selbst nur einen Bruchteil zur Erderhitzung beigetragen haben. Zur Lösung der Klimakrise braucht es wiederum alle, so Guggenbichler: “Es ist ganz klar, dass Klimagerechtigkeit ohne Antirassismus und soziale Gerechtigkeit nicht funktioniert. Deswegen sind wir gerade stark dabei, uns zu den Themen wie Antirassismus und Polizeigewalt zu äußern. Wir brauchen alle Menschen, damit wir der globalen Klimakrise begegnen können. Auch Europa kann nicht einfach die Grenzen hochziehen, wenn in Zukunft wegen Klimaveränderungen Millionen Menschen flüchten müssen. In diesem Sinne ist es wichtig, dass wir alle zusammenarbeiten.”

An die Wurzeln der Krise(n)

Schließlich sieht sich die Wiener Gruppe von Fridays for Future als Teil der Klimagerechtigkeitsbewegung. Und für diese ist die Klimakrise kein rein naturwissenschaftliches Problem, das allein mit technologischen Lösungen zu bremsen ist. Stattdessen braucht es Ansätze an den Wurzeln der Krise – und das sind dieselben, die auch für Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, Geschlecht, Sexualität und anderem verantwortlich sind. Was die Aufgabe nicht einfacher macht: Die Bewegung ist besonders in Europa sehr weiß und stammt eher aus privilegierten Bevölkerungsschichten. Das räumt auch Guggenbichler ein: “Ich bin der Meinung, dass wir noch viel offener und diverser werden müssen. Was die Herkunft angeht, ist die Vielfalt bei uns noch nicht so groß. In der Organisationsgruppe sind wir großteils Leute aus Österreich oder Deutschland. Aber wir haben zumindest bei den Teilnehmenden der Freitagsstreiks immer Menschen verschiedenster Herkunft, soweit ich das beurteilen kann, ich kenne sie ja nicht alle. Jedenfalls möchten wir generell noch offener werden und Inklusion schaffen. Wir bemühen uns zum Beispiel gerade, für körperlich oder geistig beeinträchtigte Menschen zugänglicher zu werden. Außerdem haben wir gerade bei den Jüngeren viele Menschen aus der LGBTIQ+-Community.”

Ungleichheit auch beim Aktivismus

Wegen der Dringlichkeit der Klimakrise setzen viele aktivistische Gruppen auf zivilen Ungehorsam. Auch immer mehr bekannte Persönlichkeiten wie die frühere UNFCCC-Generalsekretärin Christiana Figueres haben schon zu solchen Aktionen aufgerufen, Prominente wie Joaquin Phoenix oder Jane Fonda beteiligen sich an solchen. In Österreich war in den letzten Jahren System Change, not Climate Change an den meisten ungehorsamen Aktionen für Klimagerechtigkeit beteiligt, unter anderem an einer Blockade der Straßenkreuzung vor der Urania mit hunderten Menschen im Mai 2019. Dabei kam es zu schwerer Polizeigewalt, die strafrechtliche Ermittlungen gegen Polizisten nach sich zog. 

Auch hier zeigen sich Unterschiede. Nicht jeder Mensch hat die gleichen Möglichkeiten, sich an bewusster Regelüberschreitung zu beteiligen, um auf strukturelle Ungerechtigkeiten wie die Klimakrise aufmerksam zu machen. Nicht nur, aber ganz besonders Hautfarbe und Herkunft machen dabei einen großen Unterschied. Denn auch in Österreich ist Gewalt vonseiten der Polizei gegen Schwarze Menschen eine schmerzhafte Wahrheit. Davon weiß auch Guggenbichler zu berichten: “Durch Erfahrungsberichte meines Vaters weiß ich, dass es auch in Österreich viele rassistische Polizisten gibt und dass Polizeigewalt in Österreich ein Thema ist. Er wurde hier schon selbst Opfer von Polizeigewalt.” 

Das ist allerdings nicht der Grund, warum sie selbst an Aktionen wie der Urania-Blockade nicht teilnehmen würde. Die Rolle von Fridays for Future in der Österreichischen Klimabewegung ist bisher schlicht eine andere. “In Wien haben wir ja verschiedene Gruppen, wie System Change oder Extinction Rebellion. Uns als Fridays zeichnet aus, dass wir eine sehr familienfreundliche und barrierefreie Gruppe sind, die sich nicht in Gefahr begibt. Wir wollen, dass bei uns genauso die 90-jährige Oma gegen Rechts teilnehmen kann, wie die Mutter mit dem Kinderwagen.” Trotzdem verurteilt Guggenbichler zivilen Ungehorsam nicht, im Gegenteil: “Ich persönlich bin davon überzeugt, dass es zivilen Ungehorsam braucht, allerdings nicht von Fridays for Future, sondern von anderen Organisationen. Wir brauchen solche Aktionen, damit die Politik aufwacht, denn wir werden oft ignoriert oder belächelt. Ziviler Ungehorsam ist auch ein Weckruf.”

Die Proteste in den USA kann Guggenbichler verstehen. “Wenn ich Menschen zuhöre, die betroffen sind oder schon Opfer von Polizeigewalt wurden, dann verstehe ich ihren Zorn und auch warum manche jetzt radikale Taten setzen. Man hat dort einfach so lange enorm viel Schmerz erlebt. Wenn wir Gerechtigkeit wollen, gilt es auch, anderen gerecht gegenüberzutreten. Im Endeffekt sitzen wir alle im selben Boot”, so die Aktivistin.

Die Klimagerechtigkeit, die sich Aktivistinnen und Aktivisten wie Guggenbichler wünschen, ist kein Wunschzustand, sondern ein Prozess, bei dem es gilt Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die eigene Verantwortung angemessen wahrzunehmen. Es geht darum anzuerkennen, dass wir vielleicht alle im selben Boot sitzen, aber nicht alle in derselben Klasse untergebracht sind. Es gibt nicht genug Rettungsboote und manche haben nicht einmal Schwimmwesten. Wenn wir uns also gerade in der ersten Klasse am Buffet den Bauch vollgeschlagen haben, sollten wir uns auch als erste an die Reparatur der Lecks machen. Denn die werden immer größer. (Manuel Grebenjak, 24.6.2020)

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