Unlängst gingen die Wogen in den Social-Media-Kanälen hoch. Am Wiener Gürtel, einer der meist befahrenen Straßen Europas, werden diesen Sommer eine Kreuzung gesperrt und ein Pool samt Außenflächen errichtet. Was bitte ist das Problem dabei? Dass ein temporärer Pool den Fluss der vielen Autos stört? Doch wohl eher umgekehrt, oder? Die Autos stören beim Baden!

So soll der Pool am Gürtel ausschauen.
Foto: Gürtelfrische NEU c: „art:phalanx“.

Rotlichtmilieu, Clubs und Sport für alle

Der Gürtel war ein typisches Projekt des 19. Jahrhunderts. Er sollte das Wachstum von Wien vorantreiben. Er entstand auf einer 76 Meter breiten Trasse, wo einst der Linienwall Wien umfasst hatte. Die Stadt wuchs schneller als gedacht und bald lag ein Teil von Wien innerhalb, der andere Teil außerhalb des Gürtels. Bis heute teilt der Gürtel die Stadt, wenn auch weitaus weniger als früher. Ungewöhnliche Wohnprojekte wie die Sargfabrik im 14. oder der Brunnenmarkt im 16. Bezirk machten auch bislang weniger beliebte Stadtteile höchst attraktiv. Und heute haben Immobilienmarkt und Gentrifizierung ohnehin alles aufgemischt, was außerhalb des 1. Bezirks liegt. Entlang des Gürtels siedelten sich seit jeher jene Funktionen an, die in der restlichen Stadt unerwünscht waren, von Handwerksbetrieben über Peepshows und Bordellen bis zu legendären Clublokalen wie das Chelsea oder der B72 in den Stadtbahnbögen. Wo keine Bahn fährt, eröffnen sich zwischen den Fahrspuren breite Grünstreifen mit Hundewiesen, Basketballkäfigen oder Free-Gym-Anlagen für Fitness im Freien. Wenn man sich am Lärm und den Abgasen der Autos nicht stört, kann das sehr super sein. Vielfach ist man auch froh über jede Auswegmöglichkeit aus der dicht verbauten Stadt angrenzend an den Gürtel.

Plantschen mit dem Babyelefanten
Foto: Sabine Pollak

Familienbäder und freier Eintritt für Kinder

Innerstädtische Schwimmbäder in Parks, so genannte Familienbäder abseits der großen Badeanlagen, gibt es seit dem Roten Wien. 1917 wurde das erste im Hütteldorfer Staubereich des Wienflusses eröffnet. Die kleinen Badeanlagen ermöglichten Hygiene, Frischluft und Bewegung für alle Wiener Kinder. Von den einstmals dreißig Familienbädern gibt es heute nur noch zehn. Kinder zahlen keinen Eintritt und man kommt auch nur mit Kind hinein. Eine tolle Sache und das Geplantsche und Lachen sowie die türkisfarbenen Flächen inmitten der Häuserblocks beleben seit jeher den urbanen Sommer. Mit den neuen Urlaubsdestinationen an der Adria und auch weiter weg sank die Beliebtheit der Bäder und einige mussten schließen.

Heuer, in dem wahrscheinlich wieder sehr heißen Sommer und post-Corona-bedingt wird es auf die verbleibenden Bäder wohl einen Run geben. Aber auch Erwachsene kommen innerhalb der Stadt auf ihre Rechnung. 2009 eröffnete am Donaukanal das Badeschiff, ein umgebauter Lastkahn mit einem 32 mal 8 Meter großen Pool, flankiert von einem zweigeschossigen Teil mit Gastro und Sonnendeck. Anfangs war es eine kleine Sensation, das Schwimmen auf dem Kanal, das gechlorte Becken inmitten des schmutzig-braunen Kanals, die dekadenten Liegestühle. Mittlerweile fügt sich das schwimmende Bad gut ein in die viel umworbene Zone entlang des Donaukanals, wo die Kommerzialisierung den alternativen Container-Bars im Nacken sitzt.

Thames Bath: Schwimmende Pools sollen in der Themse entstehen.
Foto: Studio Octopi + Picture Plane

Baden im Fluss

Wien ist nicht London. Die britische Metropole ist größer, dichter und rauer als Wien und die Wohnungen sind klein und teuer, der Druck nach Freiflächen ist also dementsprechend größer. Seit einiger Zeit gibt es eine beachtliche Initiative in London, den Verein Thames Baths. Thames Bath sind die Architektengruppe Octopi, Landschaftsplaner und Marineingenieure sowie etliche Künstlergruppen, wie das Studio rund um Tracey Emin und Caitlin Davis oder besessene Freiluftschwimmer, The Outdoor Swimming Society. Es ist den Herren und Damen ernst damit, sie glauben an eine Zukunft für ein grüneres London mit neuen Lebensqualitäten. Studio Octopi plant aktuell mehrere solche schwimmenden Schwimmbäder.

Dabei ist dies in der Themse weder einfach herzustellen (Gezeiten), noch ist die Themse wahnsinnig einladend, weil ziemlich verschmutzt. Aber Briten sind da nicht so, sie schwimmen praktisch zu jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter und außerdem geht es um das Prinzip. Die Stadt und insbesondere die attraktiven Flächen entlang des Flusses sollen nicht nur mit Straßen verbaut oder einigen wenigen luxuriösen Wohnprojekten zur Verfügung stehen, sondern für alle zugänglich sein. Der größte öffentliche Raum in London entlang und auf der Themse soll durch Bepflanzungen, Steganlagen und vor allem durch die schwimmenden Bäder neu nutzbar werden, durch naturnahe Holzstrukturen mit natürlich gereinigtem Wasser.

Thames Bath: Attraktive Flächen sollen allen zugänglich sein.
Foto: Studio Octopi + Picture Plane
Thames Bath: Bepflanzung und Steganlagen sollen London grüner machen.
Foto: Studio Octopi + Picture Plane
Thames Bath: Ein ambitioniertes Projekt
Foto: Studio Octopi + Picture Plane
Thames Bath soll mehr Lebensqualität für die Londoner bringen.
Foto: Studio Octopi + Picture Plane

Schwimmen können alle

Schwimmen ist gesund, es ist eine Sportart, die (fast) alle können (wer es nicht kann, könnte heuer damit anfangen, mitten in der Stadt), und je nach Becken kann man es mehr oder weniger sportlich betreiben, von Plantschen bis Kraulen ist alles drin. Das geplante Schwimmbecken am Gürtel polarisiert. Selbst vehemente PKW-Gegner meldeten Zweifel an. Was wenn es sich staut? Was wenn ein Verkehrskollaps kommt? Was wenn der Babyelefant nicht mitschwimmt? Lustig, dass man an PKW-Kollapse denkt, aber an Herzkreislauferkrankungen durch Hitze nicht. Und Chlor (sorry, aber dieses Becken wird kein sich natürlich reinigendes Wasser haben) vernichtet alle Viren.

Es geht aber gar nicht um das Becken an sich. Es geht um eine starke Haltung, die man in klimatischen Krisenzeiten einer viel zu stark und viel zu sinnlos befahrenen Straße entgegnet. 13 Kilometer lang, 76 Meter breit, und das alles nur für Autos, mitten in der Stadt? Das ist verrückt. Man könnte schnell den Prototypen eines Pools bauen und viele weitere könnten folgen. Jeder Bezirk sollte einen bekommen beziehungsweise immer zwei Bezirke ein gemeinsames Bad. Alleine, dass sich zwei Bezirksvorsteher auf ein solches Projekt einigen, ist einen Orden wert. Man sollte ihnen ein Denkmal setzen, ein gemeinsames für zwei, es werden ohnehin gerade ein paar Denkmalsockel von ehemaligen Kolonialherren, Feldmarschällen und Eroberern frei.

Golf, Speerwerfen und Eistockschiessen

Und dann könnte man mit anderen Sportarten andocken. Da ist noch was drin, auf den 13 Kilometern. Denkbar wären Golf (in Längsrichtung), Tennis und Federball, eine Viertel-Marathonstrecke, Speerwurf, Kugelstoßen, Hürdenlauf, Eisschnelllauf und Stockschießen im Winter sowieso. Wien hätte ein zentrales Sportband beziehungsweise wäre von einem Band umzingelt, je nachdem, auf welcher Seite man sich befände. Es wäre begrünt und voller bunter Sportplätze und ab und an könnte man eine Sanddüne errichten. Dort würde ich dann zentrale Boxringe arrangieren, für Bürgerinnen und Bürger, die sich dringend abreagieren müssen. Auch die Politik dürfte einsteigen in den Ring, wenn es mit dem Reden wieder einmal nicht mehr klappt.  

Und, mein ceterum censeo: Stoppt das Autokino in Urfahr in Linz! Baut Schwimmbäder! (Sabine Pollak, 22.6.2020)

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