Steirische-Herbst-Intendantin Ekaterina Degot gibt ersten Ausblick auf Festival im Schatten der Pandemie.

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Graz – Der Steirische Herbst trotzt der Corona-Krise. Eröffnet wird er laut Plan am 24. September – wenn auch anders als ursprünglich geplant. "Paranoia TV" heißt das Motto und ist zugleich das zentrale Format, denn die Kunst wird dabei zu einem großen Teil digital zu den Besuchern geliefert werden. Intendantin Ekaterina Degot hat am Mittwoch einen ersten Ausblick auf das Konzept des Festival gegeben.

Degot kann sich vieles vorstellen, nicht aber, dass das Avantgardefestival Steirische Herbst in diesem Jahr nicht stattfindet. "Im März waren die Vorbereitungen schon sehr avanciert. Wir hatten das Thema, die Projekte – das alles war plötzlich unmöglich weil wir vor allem ortsspezifisch arbeiten. Künstler sollten nach Graz kommen, um die Orte zu sehen und ihr Konzept zu entwickeln. Uns war klar, dass das nicht möglich ist, aber das Festival zu canceln kam für uns nicht infrage", betonte Degot im Gespräch. In der von Unsicherheit und Angst geprägten Atmosphäre habe man dann eine neue Form für das Festival entwickelt, das auf die durch die Pandemie hervorgerufene neue Situation reagiert und sie reflektiert.

Mehr als nur online

Wer will, wird das Festival zu jeder Tageszeit und überall erleben können, denn es wird auf allen möglichen digitalen Kanälen transportiert. "Viele Künstler sind in den letzten Monaten online gegangen. Wir wollten den Steirischen Herbst nicht einfach online präsentieren, sondern selbst ein Medienkonglomerat sein", beschrieb die künstlerische Leiterin die spontane Transformation von Steirischer Herbst in "Paranoia TV". Thematisch werde es ein ganz anderes Festival als ursprünglich geplant werden, obwohl die Künstler zum größten Teil die gleichen geblieben sind. "Einige Arbeiten sieht man jetzt in ganz neuem Licht. Natürlich haben wir auch neue Aufträge vergeben", sagte Degot.

Beiträge von rund 40 Künstlern werden zu sehen sein: Sie kommen in den bekannten aber für ein Festival doch unvertrauten Formaten wie Talkshows, Fernsehserien, Liveübertragungen von Ereignissen und Gesprächen, kündigte die Intendantin an. Das ganze werde "sehr experimentell, spielerisch und humorvoll" werden, blickte sie optimistisch nach vorne. Bis zum Festivalbeginn werde es auch eine App geben, über die in die verschiedenen Programmpunkte eingestiegen werden kann. Über eine Kooperation mit dem öffentlich rechtlichen Sender Ö1 wird man die Projekte und Programme von "Paranoia TV" fast täglich in mehreren Sendungen im Radio, online und als Podcast empfangen können. "Natürlich ist nicht alles nur online, einige Sachen werden auch in real life möglich, aber sie bleiben trotzdem mit Paranoia TV liiert", schilderte Degot.

Pandemie als Thema

Inhaltlich werde es um die mit Angst und Unsicherheit befrachtete Pandemiesituation gehen, die maßgebliche Einschnitte in den Alltag gesetzt und Künstlern veränderte Rahmenbedingungen der Kunstproduktion und -präsentation gebracht hat. Zugleich werde die Rückkehr zur alten "Normalität" thematisiert. "Ich persönlich habe nicht so viele Ängste, aber wenn ich es kritisch betrachte, dann fürchte ich mich vor dieser Normalität", wie Degot sagte. Letztlich habe die alte Normalität nicht nur das Coronaproblem gebracht, sondern sei auch schon geprägt von u. a. Fremdenfeindlichkeit, Überwachung, Diskriminierung aufgrund von Alter und Geschlecht bis hin zu Bewegungseinschränkungen und Selbstisolation gewesen. "Vielleicht müssen wir uns vorstellen, dass es nie mehr normal wird", gab die Kuratorin zu bedenken.

Um solche Utopien und der Notwendigkeit utopischen Denkens wird sich etwa eine Konferenz im Forum Stadtpark drehen. Die feministische Aktivistin und emeritierte Professorin für politische Philosophie, Silvia Federici, und Alexander Neupert-Doppler wurden unter anderem zu "Es könnte anders sein – Konferenz für Praktische Kritik – Utopie" eingeladen. Sie werden sich gemeinsam mit weiteren Teilnehmern wie dem US-amerikanischen Ethnologen und bekennenden Anarchisten David Graeber mit Fragen nach der Neudefinition der Beziehung von Mensch und Tier auseinandersetzen oder die Möglichkeit einer Welt ohne Rassismus skizzieren.

Details im August

In "real life", wie Degot sagte, wie auch online auf www.paranoia-tv.com wird man am dritten Festivalwochenende im Literaturhaus das Literaturfestival unter dem Titel "Out of Joint" miterleben können. Über ein aus den Fugen geratenes Leben werden die Philosophen Robert Pfaller und Konrad Paul Liessmann sowie Autorinnen und Autoren wie u. a. Kathrin Röggla, Judith Schalansky oder Clemens J. Setz sprechen. Programmdetails werde man in beiden Fällen im August präsentieren, kündigte Degot an.

Eine große Ausstellung, wie sonst üblich, werde es nicht geben, wohl aber einige Performances in der Stadt. Jedenfalls plane man die Eröffnung im öffentlichen Raum: "Es wird ein sehr partizipatives Kunstwerk." Wo, das werde erst später bekannt gegeben. Der Schlusspunkt steht jedenfalls schon fest: "Eine finale Diskussion über Österreich und Paranoia", wie Degot vorausblickte. (APA, 17.6.2020)