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Mit Terroirkarotten läuft derzeit ein Versuch – eine Sorte, sechs Standorte, eine Pflanz- und Erntezeit.

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Wenn Sommeliers Wein verkosten, stellen sie sich unter anderem die Frage, auf welchem Boden die Rebe für diesen Wein gewachsen ist. Denn Wein erzählt im Glas, was die Pflanze das Jahr über erlebt hat – und auch wie es dem Boden geht, in dem sie wurzelt. Mit ein wenig Übung empfängt man die Botschaft erstaunlich klar. Natürlich zeigt sich im Wein nicht nur der Boden, sondern auch der Mensch, der sich um Erde und Pflanze kümmert, und auch das Klima, das die Reben mit Wind und Wetter umweht.

Vor allem der Wein wird durch die genaue Befassung mit dem Boden positiv beeinflusst. Aber auch andere landwirtschaftliche Erzeugnisse profitieren davon, wenn der Landwirt auf einen guten Untergrund achtet. Davon ist zum Beispiel auch Philipp Lammer überzeugt. Er ist Landwirt in der Steiermark und hat als Vertreter der Vereinigung zum Schutz für alte Sorten, der "Arche Noah", gemeinsam mit Gastronom Josef Floh und Landwirten wie Robert Brodnjak und Franziska Lerch heuer das Projekt "Terroirkarotten" initiiert.

Terroir ist ein Begriff aus der Weinwelt. Er schreibt die Einflussfaktoren auf den Wein. Dieser wird durch Klima, Boden, Rebsorte, aber auch durch den Menschen zu dem, was er ist. Dieser Gedanke wurde auf Karotten umgelegt.

Terroirkarotten

Mitte Mai hat die Terroirkarotten-Truppe an fünf Standorten – vom Weinviertel über die City Farm in Wien bis hin ins steirische Straden – Karotten der Sorte "Milan" ausgesät. Nach 100 Tagen Kulturbau – so lange braucht die Karotte, bis man sie ernten kann – geht es ans Verkosten. Das passiert bei einem Event namens "Kochcampus".

Seit einigen Jahren organisieren die besten Gastronomen des Landes diesen Austausch untereinander und mit den Produzenten. Neue Produkte, aber auch neue Blickwinkel auf diese werden beim Kochcampus aufgetan. Zum Beispiel auch der, dass eben nicht nur Wein aus der Steiermark und Wien verschieden schmeckt, sondern auch Karotten von ein und derselben Sorte.

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Die Kunst, guten Wein zu machen, liegt darin, die richtige Lage mit der richtigen Sorte zu kombinieren.
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"Wer schon einmal eine Karotte aus dem Supermarkt und eine aus dem Garten oder dem Bauernmarkt miteinander verglichen hat, kennt den Unterschied", sagt Franziska Lerch. Die eine ist wässrig und ein bisschen süß, die andere weit komplexer und konzentrierter, sodass man gerne auf ein Vokabular, wie man es im Wein hat, zurückgreifen würde. Unter anderem daran arbeiten wir", sagt Lerch.

Querdenken, quer einsteigen

Franziska Lerch ist Quereinsteigerin. In ihrem jetzigen Tun sieht sie mehr Sinn als in ihrer Tätigkeit als Sprachwissenschafterin. "Es ist unglaublich, wie Böden sich mit der Art, wie man sie behandelt, verändern." Ein gesunder Boden sei wie ein Schwamm, der Wasser aufnimmt und speichert, und wieder abgibt, wenn die Pflanzen in ihm es brauchen. Außerdem lebt er durch die vielen Mikroorganismen, die sich in ihm tummeln.

"Die Flächen, die wir erst seit kürzerer Zeit biologisch bewirtschaften und mit Humus und Schafwolle wieder aufpeppeln, können weit weniger Regen aufnehmen als die Böden, die wir schon länger unter unseren Fittichen haben", erzählt die Landwirtin vom Lerchenhof. Allein 80 Sorten an Paradeisern sprießen in ihrem Garten. Gemüsearten sind es wohl an die 50, erzählt sie.

Es liegt nahe, dass der Terroirgedanke, der in der Weinwelt längst zelebriert wird, auch für Gemüse und Obst aller Art gilt. Schließlich wachsen auch sie im Boden und werden von Sonnenstunden, Wind, Wetter und Mensch geprägt. Wurzelgemüse gar wächst gleich im direkten Kontakt mit dem Boden.

Um unter Beweis zu stellen, dass Gemüse sehr wohl anders schmeckt, je nachdem, wie man mit ihm und ihrem Ernährer, der Erde, umgeht, veranstaltete der Kochcampus vor einiger Zeit eine Sellerieverkostung als ersten Teil eines gemüsigen Terroirprojekts. Hier ging es um verschiedene Sorten, die auf ein und demselben Boden gewachsen waren. Und um die Teile der Sellerieknolle, die, je nachdem, wie man die Knolle anschneidet, auch ein anderes Geschmackserlebnis hervorbringen.

Lagenverkostung

Mit den Terroirkarotten findet der Versuch bei einer Verkostung im August seine Fortsetzung. Die Lagenverkostung der Karotten findet leider unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Doch habe allein Brodnjak auf seinem Hof "Krautwerk" sieben Sorten angepflanzt. Die trägt er am Wochenende zum Wiener Karmelitermarkt. Eine private Sortenverkostung ist für den Anfang also jedenfalls möglich.

Was Landwirte und Gastronomen nämlich schon lange bestätigen, ist, dass es sehr wohl wichtig ist, wo und wie welches Gemüse wächst. Zwar beschreibt man die Eindrücke, die einem so eine Gourmet-Karotte liefert, (noch) nicht mittels eines besonderen Vokabulars, aber die Qualitätsunterschiede sind augenscheinlich.

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Das Foto zeigt einen "Bodenhorizont" – eine Aufnahme, die unterschiedliche Schichten im Boden sichtbar macht.
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Denn dürfen Tomate, Paprika, Gurke und Co nicht einmal im Boden wachsen, sondern müssen auf künstlichem Nährboden eine Performance von schneller, praller und länger haltbar abliefern, wie wir sie von vielen Gemüsesorten aus dem Supermarkt gewohnt sind, ist das Geschmackserlebnis definitiv verwässert und weniger intensiv – ganz abgesehen davon, welchem Zaubermittelchen der pralle, knallrote Paradeiser ausgesetzt wird, damit er auch Wochen nach dem Kauf noch aussieht wie am ersten Tag.

"Plastikmeer" nennt man die Landstriche in Andalusien, die von Plastiktunneln bedeckt sind. In diesen wachsen Obst und Gemüse für ganz Europa – immer unter denselben Bedingungen, auf demselben Nährboden und mit denselben Keulen behandelt, die vor Schädlingen und Krankheit bewahren. Von Terroir kann da keine Rede sein. Und der Boden ist gleich gar kein Kriterium – obwohl er in Gemüse, das auf andere Weise wächst, eine grundlegende Rolle spielt.

Der Boden der Tatsachen

Weil der Boden eben eine so wichtige Variable in der Landwirtschaft ist, gibt es Experten, die sich hauptberuflich damit beschäftigen. Franz Zehetner ist einer von ihnen. Der Bodenkundler buddelte bereits als Kind in Eferdinger Sandgruben auf der Suche nach versteinerten Haifischzähnen aus dem Oligozän. Noch heute gräbt er im Boden herum, aber aus wissenschaftlich fundierten Motiven.

Dennoch mutet es seltsam an, wenn jemand Erdbrocken in der Hand betrachtet wie andere Diamanten. Auf die sogenannte Fingerprobe, dem Zerreiben und Zerbröseln der Bodenprobe zwischen den Fingern, die Informationen zur Konsistenz des Bodens liefert, folgt die Mundprobe. Je mehr es zwischen den Zähnen knirscht, umso höher der Sandgehalt und umso geringer beispielsweise die Fähigkeit des Bodens, Wasser zu speichern.

Natürlich analysieren Zehetner und seine Kollegen Bodenproben auch im Labor. Dennoch, sagt der Wissenschafter, seien die Beobachtungen am Standort wichtig. Auch Geologin Maria Heinrich liegt der Boden am Herzen. Als Geologin befasst sich die Wissenschafterin mit dem Fels und unverwitterten Gesteinen, die sich unter der Bodenschicht befinden.

Geologie und Boden übten Einfluss aufeinander aus, sagt Heinrich. Das Wissen über beides sei beispielsweise für den Weinanbau sehr wichtig. Ihre Meinung als Übersetzerin zwischen den Disziplinen ist seit Jahrzehnten gefragt.

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Ohne Boden haben Pflanzen keine Nährstoffe, durch die sie wachsen können, und auch kein Wasser, das der Boden für sie speichert.
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Denn obwohl alle vom Selben sprechen, nämlich von dem, was sich unter der Rebe im Boden und den darunterliegenden Gesteinsschichten so abspielt, gibt es dreierlei Vokabular: das des Winzers, das des Bodenkundlers und das der Geologin, wie Maria Heinrich eine ist. Der Grat, hier nicht in wissenschaftliche Untiefen zu geraten und trotzdem fachlich fundiert zu formulieren, sei oft ein schmaler gewesen, sagt die Geologin.

Ein Grund, drei Sprachen

"Das Verständnis untereinander ist gar nicht so einfach", sagt Heinrich. So würde sie niemals den Begriff "Urgestein" verwenden, wie ihn Winzer vor einigen Jahren noch zur Beschreibung von kargen, verwitterten Böden genutzt haben. Laut Heinrich wurde der Begriff Urgestein vor etwa 200 Jahren das letzte Mal in der Geologie verwendet. Denn zumindest geologisch sage er nichts aus.

"Wenn Winzer von Boden sprechen, verwenden sie Gesteinsausdrücke. Mit Urgestein meinen Winzer oft Festgesteine der Böhmischen Masse. Diese sind aber, was ihre Festigkeit und Zusammensetzung betrifft, sehr unterschiedlich. Auch Löss ist kein Boden, sondern ein Gestein." Genau deswegen sei der Dialog zwischen diesen Disziplinen so wichtig. Denn alle haben sie Einfluss auf das, was im Endeffekt im Glas landet.

Im Jahr 2006 war Heinrich etwa im Weinbaugebiet Carnuntum vor Wien an einem derartigen Boden-Geologie-Wein-Projekt beteiligt. Für Winzer Gerhard Markowitsch markierte es eine neue Form des Denkens, was seinen Wein betrifft. Die Widerstandsmessungen, die im Rahmen des Projekts ausgewertet wurden, waren für ihn besonders aufschlussreich. Dies ist eine flächige Form der Analyse. Man erhält also Ergebnisse über den gesamten Weinberg und die Gesteinsschichten darunter.

Dieses Wissen sei vor allem für die Wahl der Unterlagsrebe entscheidend. Seit die Reblausplage 1872 in Europa auftrat, ist nahezu jede europäische Rebe auf einer amerikanischen aufgepfropft. Diese werden von den Schädlingen nämlich verschont. "Schema F für alle Lagen, Reben und Unterlagsreben, gibt es nicht", sagt Markowitsch.

Die Kunst, guten Wein zu machen, liege darin, die richtige Lage mit der richtigen Sorte zu kombinieren. Kalkhältiger Boden sei aber weltweit ein guter Boden für große Weine. Natürlich seien auch unter anderen Bedingungen Glanzleistungen möglich. Das mache das Ganze so interessant und komplex. Immer dann, wenn einer der vier Parameter – Boden, Rebe, Klima und Mensch – über sich hinauswächst. Aber alles hat seine Grenzen. Ist zum Beispiel das Klima mies, wird selbst ein Top-Boden leider keinen großartigen Wein hervorbringen.

Trotzdem beginne jeder große Wein beim Verstehen der Region und den Bedingungen, die dort herrschen. Und wer die Region verstehen will, der muss auch den Boden verstehen – auch wenn Boden weder beim Wein noch bei anderen Nutzpflanzen isoliert betrachtet werden kann. Landwirtschaft wird immer ein Zusammenspiel zwischen Boden, Sorte, Klima und Mensch sein. Andere sagen Terroir dazu. (Nina Wessely, RONDO, 24.6.2020)