"Es war schon immer besser, sich den Gitarristen zu schnappen und nicht den Leadsänger."

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Eine alte Regieregel lautet: Jeder Film, jedes Theaterstück ist nur so gut wie seine Nebendarsteller. Hauptdarsteller müssen meist nur bedeutungsschwer in die Kamera schauen. Erst die flexibleren Sidekicks schaffen es, einem Projekt die notwendige Komplexität und Tiefe zu verleihen. Anders gesagt: Wo wäre Batman ohne Robin? Sherlock Holmes ohne Dr. Watson? La Boum-Star "Vic" (Sophie Marceau) ohne ihre beste Freundin "Pénélope"?

Klassentreffen

"Ach, warum fällt mir erst jetzt auf, dass Pénélope eigentlich die viel Bessere war?", stöhnte gestern auch mein Freund, der Fotograf. La Boum zählt, wie für so viele aus unserer Generation, zu seinem fixen Heimkino-Repertoire. Nach zehn Jahren musste er sich den Teenie-Kultfilm wieder einmal reinziehen – diesmal mit überraschenden Erkenntnissen: "Hätte ich die Kraft der Nebenrolle bloß schon früher gesehen. Wie vieles wäre mir erspart geblieben!" – Wie sich herausstellte, hatte mein Freund die gesamte Unterstufe vergeblich für die verwöhnte Iris mit den langen blonden Haaren geschwärmt. Die Annäherungsversuche der burschikosen Kathi hingegen, die hatte er nicht einmal ignoriert. "Heute, um ein paar Erfahrungen reicher, würde ich so eine Kathi auf Händen tragen."

Ja, der entspannte Sidekick wäre wohl für die meisten von uns die bessere Wahl gewesen. Man braucht sich bei Klassentreffen nur die früheren Schulkameraden anzusehen: Wie erschreckend wenig wurde aus dem schönen Mark, der einen früher keines Blickes würdigte. Auch die einst so unendlich süße Tamara würde man heute im Bus glatt übersehen.

Im Zweifel für die Gitarre

Obwohl die vielen Blogger und Internet-Poser mit ihren Fotos ständig versuchen, uns eine andere Wahrheit anzudrehen: Es war schon immer besser, sich den Gitarristen zu schnappen und nicht den Leadsänger. Kluge Mädchen und Jungs wussten das. Irgendwann, nachdem man sich lange genug mit Alphatieren und Drama-Queens abgemüht hatte, kapierte man das endlich auch.

The one, das ist auf lange Sicht nicht der Ego-Shooter, der beruflich und privat auf allen Hochzeiten tanzt, um sich mit jeder Geste Feedback abzuholen. The one, das ist fast immer der Mann oder die Frau auf den zweiten Blick – also nicht Föhnwelle und Glitzerjeans, sondern Brillenschlange, und dahinter womöglich die schönsten Augen der Welt.

"Man heiratet nie seinen Typ. Der eigene Typ ist immer fatal", erklärte einst Burgschauspielerin Gusti Wolf dieses stillere Paradies. Und tatsächlich, man braucht sich nur im Freundeskreis umzusehen: Hotspots können verdammt trostlose Orte sein. Auf den scheinbaren Nebenschauplätzen, da wartet das wesentlich nachhaltigere Glück.

Die Rolle von Sidekicks in Drehbüchern ist es, originell, lustig und beständig zu sein. Im Gegensatz zu ihren glamourösen Freunden braucht ihr Ego keine permanente Bestätigung, was sie zu wesentlich verträglicheren Zeitgenossen macht.

Den Fluch der ersten Garde beschreibt auch der folgende Film ganz gut: "Wie ist er eigentlich im Bett?", fragt Gitarrist Ray in Woody Allens Sweet and Lowdown seine Blanche, die zuvor ein Verhältnis mit einem Schauspielstar hatte. Blanche, um keine Antwort verlegen, zieht an ihrer Zigarette und sagt: "Ach weißt du, er schlief eigentlich nur mit sich selbst."

Hand aufs Herz: Braucht man das? (Ela Angerer, RONDO, 2020)