Los Angeles – Natürlich hatte Christian Coleman auch diesmal eine passende Ausrede parat. Dass er schon wieder einen Dopingtest verpasst hat und nun sogar um einen Start bei den Olympischen Spielen fürchten muss, daran trug selbstredend nicht der schnellste Mann der Welt und Bad Boy der Leichtathletik die Schuld, sondern andere. Er selbst habe sich nur auf weihnachtlicher Shoppingtour befunden.

Die unabhängige Integritätskommission AIU des Leichtathletik-Weltverbandes World Athletics kam nach ihrem Kontrollbesuch am 9. Dezember 2019 trotzdem zu einem klaren Schluss. Weil die Dopingjäger den umstrittenen US-Sprinter zum dritten Mal innerhalb von zwölf Monaten nicht zu einem Test antrafen, wurde der 100-m-Weltmeister vorläufig gesperrt.

Coleman versicherte noch wenige Stunden vor Bekanntgabe der AIU-Entscheidung in einer leidenschaftlichen Erklärung auf Twitter, "nie leistungssteigernde Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente" genommen zu haben – und holte mit einer steilen These zum Gegenschlag aus.

Der Vorfall im vergangenen Winter sei ein "gezielter Versuch" der AIU gewesen, ihn bewusst nicht antreffen zu wollen. Während er "keine fünf Minuten entfernt" in einer Shopping Mall Weihnachtsgeschenke einkaufte, habe er keinen Anruf der Kontrolleure erhalten. Und wenn doch, dann wäre "ich mehr als bereit und verfügbar für Tests" gewesen, bekräftigte der 24-Jährige.

Im AIU-Bericht, den Coleman am Mittwoch ebenfalls öffentlich machte, sind Anmerkungen der Kontrolleure nachzulesen. Demnach hätten diese alle zehn Minuten durch lautes Klopfen an Colemans Haustür auf sich aufmerksam gemacht, eine Stunde lang. Ebenfalls notiert ist, dass tatsächlich kein Anrufversuch unternommen wurde. Bis zu einer Anhörung darf Coleman keine Wettkämpfe bestreiten.

Bereits vor der WM in Katar im vergangenen Jahr war Coleman nur dank eines Passus im Regelwerk einer Sperre nach drei verpassten Tests entgangen. Nun werden ihm die bereits damals zur Last gelegten versäumten Tests vom 16. Januar 2019 und 26. April 2019 sowie der neue Fall vom 9. Dezember 2019 zum Verhängnis. Bei drei so genannten "missed tests" droht – je nach Schwere – eine Sperre zwischen einem und zwei Jahren.

Nach der Anfang des Monats ausgesprochenen Sperre gegen die 400-m-Weltmeisterin Salwa Eid Naser (22) aus Bahrain wird damit bereits der zweite prominente Gold-Gewinner von Doha aus dem Verkehr gezogen.

Christian Coleman
Foto: imago images/ZUMA Press

Eigentlich soll Coleman, der den großen Jamaikaner Usain Bolt 2017 mit WM-Bronze in Rente geschickt und sich in Katar in 9,76 Sekunden zum Weltmeister gekrönt hatte, die Zukunft des US-Sprints sein. Dessen prominenteste Vertreter waren zuvor in hässlicher Regelmäßigkeit von den Dopingfahndern aussortiert worden: Tim Montgomery, Tyson Gay oder Justin Gatlin – sie alle manipulierten zumindest zeitweise.

Nun werden auch die Zweifel an Coleman immer größer. Für Verwunderung hatte er schon vor der WM 2017 gesorgt, als er Gatlin seinen Mentor nannte. "Er hat mir viele Ratschläge gegeben", sagte der Jungstar damals. Nun befindet sich der Bad Boy erneut im Rechtfertigungsmodus. (sid, 17.6.2020)