Israels Militär kennt einen ganzen Rechtekatalog für Transgenderpersonen.

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Als der kleine Ofer Erez groß genug war, um zu verstehen, dass es Buben und Mädchen gibt, war ihm klar: Das Mädchen, das alle in ihm sahen, war er nicht. Bis er darüber auch sprechen konnte, vergingen 14 lange Jahre. Eine Zeit, in der er von der Annahme getragen war, er sei der einzige Mensch auf der Welt, der ein anderes Geschlecht hat als das, in das er nach der Geburt eingeordnet wurde. "Ich wuchs in den 1990ern in einem kleinen Kibbuz auf dem Land auf", sagt Erez dem STANDARD, "niemand sprach über Transgender, ich wusste nicht einmal, dass es das gab."

Mit 16 Jahren änderte sich das. Erez lernte sich zu definieren, er wagte sein Coming-out in der Familie und vor den engsten Freunden. Die Reaktionen waren gut, respektvoll, erzählt er: "Ich bat darum, dass nicht zu viele Fragen gestellt werden, also wurde nicht viel gefragt." Es hätte ihn damals überfordert, auf alles zu antworten.

Nicht alles erklären müssen

Wenn Erez, der erste offen transgender lebende Offizier der israelischen Armee, heute den Militärapparat darin schult, den Bedürfnissen von Transgenderpersonen gerecht zu werden, dann predigt er auch das: "Schützt die Betroffenen vor zu vielen Fragen." Zwar sei es ganz natürlich, dass die anderen Rekruten Neugier zeigen, "sie haben vielleicht noch nie in ihrem Leben eine Transgenderperson gesehen." Die Verantwortung, sie aufzuklären, liege aber nicht bei den Betroffenen – sondern bei der Armee.

Heute kennt Israels Militär einen ganzen Rechtekatalog für Transgenderpersonen. Er ist auf Erez' Druck hin entstanden. Dabei lebte der heute 26-Jährige in den ersten eineinhalb Jahren seines Militärdienstes selbst im Verborgenen. Erst kurz vor dem Ende seiner Offiziersausbildung outete er sich vor der Kompanie. Es war während einer Trainingseinheit, in der die Offiziersanwärter erkunden sollten, was ihre jeweils persönlichen Bedürfnisse sind. Erez stand auf, erklärte sich. Kein Mucks war zu hören, während er sprach. "Als ich aufhörte zu sprechen, passierte etwas Peinliches", sagt Erez, "es gab Applaus."

Das war 2014. Seither ist viel geschehen. Jede Basis hat eine Ansprechperson für LGBT-Anliegen. Wer sich während des verpflichtenden Militärdienstes, der in Israel mindestens zwei Jahre dauert, einer Hormonbehandlung oder einem chirurgischen Anpassungsprozess unterziehen will, bekommt das von der Armee bezahlt. Männer haben das Recht, eigene Duschen zu benutzen und Männeruniformen zu tragen, auch wenn sie im Personenstandsregister als Frauen eingetragen sind – und umgekehrt.

Wenn sie am Wochenende nach Hause fahren, dürfen Transgender-Soldaten nicht gezwungen werden, die offizielle Uniform zu tragen, die es in einer Damen- und einer Herrenversion gibt. Sie haben das Recht, in der Unisex-Arbeitsuniform zu reisen, die eigentlich nur für den Dienst auf der Basis vorgesehen ist.

Vorgesetzte in der Pflicht

Was aber wohl am wichtigsten ist: Die Vorgesetzten müssen Soldaten mit jenem Geschlecht ansprechen, das sie sich selbst zuschreiben. Da es in der hebräischen Sprache sogar an den Verben ablesbar ist, ob jemand weiblich oder männlich ist, kann ein simples "Kommen Sie" Probleme auslösen. Umso wichtiger ist, dass Vorgesetzte klare Richtlinien für die Anrede erhalten.

Niemand wird gezwungen, sich in der Armee zu outen. Wer es aber tut, so der Grundsatz, soll geschützt werden. Auf dem Papier funktioniere das gut, sagt Erez: Wer Opfer transphober Übergriffe wird, kann sich bei den LGBT-Beauftragten beschweren, die den Fall vors Militärgericht bringen. Disziplinarstrafen für die Täter können die Folge sein. Doch es gibt einen Haken: "In der Praxis kommt das nie vor", sagt Erez, der heute Reserveoffizier ist und im Hauptberuf eine Antidiskriminierungs-NGO leitet. Es sei vielen gar nicht bewusst, dass es diese Option gibt. Es sei Aufgabe der Armeeführung, dieses Wissen unter die Soldaten zu bringen.

Was aber, wenn man sich weder als Mann noch als Frau fühlt? Die Armee kennt nur A oder B und knüpft an jedes Geschlecht eigene Spielregeln. So dürfen Frauen, inklusive Transfrauen, lange Haare und Ohrringe tragen, Männer aber nicht. Menschen, die sich jenseits der beiden Pole einordnen, finden hier keinen Platz. Bis die Armee dem ganzen Spektrum gerecht wird, gebe es noch viel zu tun, sagt Erez. "Wir arbeiten dran." (Maria Sterkl aus Tel Aviv, 18.6.2020)