Protest in Indien gegen China und dessen Präsidenten Xi Jinping.

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Die Luft ist dünn, die Landschaft karg. Pflanzen wachsen in dieser Höhe kaum noch, die wenigen Menschen, die hier leben, sind Nomaden. Die Temperaturen liegen knapp über dem Gefrierpunkt. Unwirtlicher könnte die Gegend im Himalaja kaum sein, um die sich die Nuklearmächte Indien und China streiten. Doch ausgerechnet hier oben ist es nun zum blutigsten Zusammenstoß der beiden Staaten seit 40 Jahren gekommen.

Indischen Angaben zufolge sind im Galwan-Tal in Ladakh insgesamt 20 Soldaten umgekommen. Zu einem Schusswechsel soll es dabei nicht gekommen sein. Die Soldaten hätten sich gegenseitig zunächst mit Steinen beworfen, dann geprügelt und einen Abhang hinuntergestürzt. Während drei sofort starben, erlagen weitere 17 später den Verletzungen. Die Region, um die es geht, liegt im Himalaja auf 4000 Meter Höhe.

In Indien rasselt die nationalistische Presse nun mit den Säbeln. Dort gibt man eindeutig China die Schuld: Seit April hätten dort chinesische Truppen ein Gebiet von 60 Quadratkilometern besetzt. Peking dagegen behauptet, indische Soldaten hätten die Grenze überschritten und chinesische Soldaten angegriffen. Indiens Handelskammer brachte einen Boykott chinesischer Waren ins Spiel.

Chinas "guter Wille"

In der chinesischen Presse dagegen findet der Konflikt auffallend wenig Beachtung. Hier dominiert der erneute Corona-Ausbruch in Peking. Ausgerechnet in der eigentlich Corona-frei erklärten Hauptstadt ist es am Donnerstag auf dem größten Gemüse-Markt Asiens zu fast 200 Neuinfektionen gekommen. Einige Stadtteile wurden abgeriegelt. Reisende, die aus Peking in andere Städte des Landes kommen, müssen sich dort wieder in eine zweiwöchige Quarantäne begeben.

Allerdings äußerte sich der für raue Töne bekannte Chefredakteur der nationalistischen Zeitung Global Times, Hu Julin, am Dienstag auf Twitter: "China will keinen Konflikt, aber hat auch keine Angst davor." Die 17 toten indischen Soldaten seien vor allem deswegen gestorben, weil die indische Armee viel zu langsam gewesen sei, ihnen eine Notfallbehandlung zukommen zu lassen, was wiederum darauf hinweise, dass sie für eine militärische Auseinandersetzung gar nicht die notwendigen Mittel habe. Dass man keine Auskunft über chinesische Opferzahlen gebe, sei ein "Akt des guten Willens".

Der Grenzverlauf zwischen beiden Staaten ist in dieser Region seit Jahrzehnten ungeklärt und umstritten. Im Oktober 1962 war es zu einem kurzen Krieg gekommen. Die Militärgrenze bildet die LAC, die "Line of Actual Control", was aber kein von beiden Staaten offiziell anerkannter Grenzverlauf ist. Seitdem fanden immer wieder kleinere Scharmützel statt.

Ungewollter Konflikt

Zuletzt waren 2013 Soldaten der Volksbefreiungsarmee 19 Kilometer weit zum Ort Daulat Beg Oldi (DBO) vorgerückt. Schon im Mai war es zu Zusammenstößen zwischen Grenzpatrouillen gekommen. China fühlt sich demnach provoziert, weil Indien im Galwan-Tal Straßen baut. Eine davon soll zu eben jenen Stützpunk DBO führen, wo auf 5000 Meter eines der höchsten Flugfelder der Welt liegt. Es handelt sich um ein strategisch bedeutsames Gebiet.

Beide Staaten haben nun hochrangige Militärs in die Region entsandt, um die Situation zu entspannen. Die Gespräche sollen mehrere Stunden gedauert haben, über den Inhalt ist nichts bekannt.

Gerade China dürfte ein zweiter Konfliktherd gerade eher ungelegen kommen. Denn die Grenz-Scharmützel spielen sich auch im Schatten einer drohenden Eskalation zwischen den USA und China statt. Washington hat erst kürzlich Flugzeugträger in die Region entsandt. Wirtschaftlich spricht US-Präsident Trump schon seit längerem vom "De-Coupling", einer Entflechtung der beiden Volkswirtschaften. Indien ist dabei Teil der US-Strategie, China einzugrenzen. Indiens Erzrivale Pakistan gilt unterdessen als traditioneller Verbündeter Pekings. (Philipp Mattheis, 18.6.2020)