Sharon Dodua Otoo ist Schriftstellerin, Aktivistin und Bachmannpreisträgerin 2016. Mittwochabend eröffnete sie den Bachmannpreis mit ihrer Klagenfurter Rede zur Literatur. DER STANDARD bringt Auszüge.

Eröffnete den Bachmannpreis Corona-bedingt virtuell: Sharon Dodua Otoo.
Foto: ORF / Johannes Puch

Verehrtes Publikum, erlauben Sie mir bitte eine Anmerkung, bevor ich mit der Rede beginne. Es geht um die Schreibweise des Wortes "Schwarz" in meinem Titel. Sie werden vielleicht festgestellt haben, dass er zweideutig ist, je nachdem, ob "Schwarz" groß- oder kleingeschrieben wird. Eventuelle Irritationen deswegen möchte ich zunächst aus dem Weg räumen.

Es wäre mir eine große Freude, Ihnen von malenden schwarzen Blumen zu erzählen. Von ihren Duftnoten und Farbtönen, ihrer Resilienz und ihrem Großmut, ihrer Nahrhaftigkeit, von ihren heilenden Kräften. Was wir alles von diesen seltenen Blumen lernen könnten! Aber darum soll es heute nicht gehen. Tatsächlich werde ich über Menschen reden. Paradoxerweise habe ich genau dieses Wort – "Menschen" – weggelassen, um sicherzugehen, dass der Titel von anderen richtig geschrieben wird. (...)

Die Verwendung der Großbuchstaben am Anfang des Wortes kann zeigen, dass wir der Community angehören oder, wenn dem nicht so ist, dass wir uns mit der Bewegung solidarisieren. (...)

Ein Aushandlungsprozess

Für einen respektvollen Umgang mit unserer gemeinsamen deutschen Sprache gibt es Lösungen und Angebote. Und schließlich kennt die deutsche Sprache bereits Veränderung. Eine Sprache, die es geschafft hat, sich von "Fräulein" zu verabschieden und ein Wort wie "Safari" willkommen zu heißen, ist stark genug, um weitere Upgrades zu verkraften. Oder zumindest, um einen souveränen Aushandlungsprozess zuzulassen. (...) Viel zu oft habe ich die ärgerliche Erfahrung gemacht, dass ein Text von mir im Lektorat "korrigiert" und veröffentlicht wurde, obwohl ich mit meiner gewählten Schreibweise etwas ganz anderes hatte ausdrücken wollen. "Lehrer*innen" hat nicht die gleiche Bedeutung wie "Lehrerinnen und Lehrer", "Fremdenfeindlichkeit" schreibe ich nicht, wenn ich "Rassismus" meine, und "schwarz" ist nicht gleich "Schwarz".

Wenn Sie nicht verwechselt werden wollen mit einer Person, die Selbstbestimmung für überflüssig hält, oder gar mit einer Person, die eine alleinige Deutungshoheit für sich beansprucht, plädiere ich doch dafür, Sprache als eine Post-it-Note zu begreifen: als ständige Erinnerung daran, dass Diskriminierung existiert und dass unsere eigene Haltung dazu in der Wortwahl oder der Schreibweise deutlich werden kann. (...)

Keine Konsequenzen-Freiheit

Wir dürfen, wenn es um Sprache und Literatur geht, recht viel. Gesetze, die Verstöße gegen die sogenannte Political Correctness regeln, gibt es keine. Leute, die behaupten: "Das wird man ja wohl noch sagen dürfen!", haben – mit wenigen Ausnahmen – absolut recht. Die Meinungsfreiheit ist im gesamten deutschsprachigen Raum ein hohes Gut – sie ist eines der wichtigsten Menschenrechte überhaupt. Was es jedoch nicht gibt, obwohl sie bisweilen als Menschenrecht verstanden wird, ist Konsequenzen-Freiheit. Literatur wird nicht ohne gesellschaftlichen Kontext geschrieben und auch nicht ohne einen solchen rezipiert. Selbstverständlich dürfen wir den Kontext vernachlässigen. Die interessantere Frage ist aber, warum wir das tun.

Verwendet eine weiße deutsche Autorin rassistisches Vokabular in ihrer Kurzgeschichte, weil sie die Lesenden ausschließlich als weiß imaginiert? Was, wenn sie dadurch versucht, sich von ebendieser Art der Diskriminierung zu distanzieren? Ist die satirische Reproduktion eines rassistischen Begriffs für Schwarze Menschen gerechtfertigt, wenn ein Schwarzer deutscher Komiker sie vornimmt? Was, wenn er dadurch versucht, sich den Begriff anzueignen, um ihn seines schmerzhaften Potenzials zu berauben? Ist die emotionale Belastung für Schwarze Lesende dadurch zumutbar gemacht? Können wir hier von fehlender Solidarität sprechen? (...)

Nicht entschuldigen

Erst durch die Rezeption wird das, was ich schreibe, zu Literatur. Vorher ist es bestenfalls ein Monolog. Und ich möchte mit meinem Schreiben auf gesellschaftliche Missstände hinweisen. Dafür brauche ich Verbündete. Erst durch die Rezeption wird mein Wunsch zum Programm. Somit schreibe ich in der Tradition von Geoffrey Chaucer und Charles Dickens, von Bertolt Brecht und Heinrich Böll. Ich komme vielleicht nicht von Homer, aber ich schreibe im warmen Schatten des nigerianischen Autors Chinua Achebe, der unter anderem mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wurde und der einst sagte: (...) "Schriftsteller*innen sind nicht nur Schriftsteller*innen, sondern auch Bürger*innen ... Es war stets die Aufgabe ernsthafter und gelungener Kunst, der Menschheit beizustehen, ihr zu dienen." Ich schreibe in den riesigen Fußstapfen der Schwarzen US-amerikanischen Autorin und Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison, die proklamierte: (...) "Ich schreibe für Schwarze Menschen ... Ich muss mich nicht entschuldigen." Ich schreibe in Dankbarkeit für die bahnbrechende Arbeit der Schwarzen deutschen Aktivistin, Pädagogin und Dichterin May Ayim, die in ihrem Gedicht Der Käfig hat eine Tür folgende Zeilen verfasste: "... es ist mir inzwischen lieber ich bin ausgegrenzt ich bin nicht eingeschlossen ..."

Blumen malen

Apropos Schreiben. Eine letzte Sache, die ich klären möchte – und dann kann es endlich mit der Rede losgehen –, betrifft das Konzept "Blumen malen". Wann haben Sie es das letzte Mal getan? Vielleicht haben Sie angesichts der aktuellen Krise keine Zeit dafür? Ihnen fehlt die Ruhe? Denken Sie sogar, Sie hätten kein Talent dafür? Oder haben Sie in Ihrem Leben so viele Blumen gemalt, dass Sie dabei keinen Zauber mehr verspüren? Oder gehören Sie zu den Menschen, die trotz allem – vielleicht sogar wegen allem – Blumen in all ihrer vergänglichen Schönheit zu malen gedenken? (...)

Blumen malen, ganz ohne Rücksicht auf fehlende Kitabetreuung, finanzielle Einbußen, gesundheitliche Risiken oder rassistische Aggressionen. Für manche von uns der ganz normale entspannte Alltag – und für viele von uns: eine radikale Vorstellung. Wenn zu diesen Herausforderungen noch hinzukommt, dass wir Einzelerscheinungen in den jeweiligen Communitys der Blumen-Malenden sind – die einzige Frau unter Männern zum Beispiel –, bekommt unsere Kunst eine zusätzliche Aussagekraft, um nicht zu sagen, eine Vorzeige-Qualität.

Positionen und Problematiken

Viele Schwarze Kunstschaffende arbeiten unter diesen oder ähnlichen Zwängen. Auch wenn wir es wollen, steht unsere Kunst nicht für sich allein – sie wird zur Repräsentation einer ganzen Community. Wie gehen wir damit um? Es gibt Schwarze deutsche Autor*innen, die in ihrer Arbeit Schwarzsein gar nicht thematisieren.

In Die Falle von der preisgekrönten Krimiautorin Melanie Raabe spielt es keine Rolle. Andere schreiben zwar Schwarze Hauptprotagonist*innen, entscheiden sich aber bewusst, gewaltvolle Diskriminierungserfahrungen nicht in den Mittelpunkt der Geschichte zu stellen. Mit Brüder wollte Jackie Thomae ausdrücklich kein "Rassismusbuch" schreiben. Und wieder andere Autor*innen beschreiben detailliert die diversen Lebensrealitäten ihrer Schwarzen Figuren. Der im Frühjahr erschienene Roman 1000 Serpentinen Angst von Olivia Wenzel reflektiert die Geschichte einer Schwarzen ostdeutschen queeren Frau. Es muss Platz für diese verschiedenen Romane geben – und auch für jene von Chantal-Fleur Sandjon, SchwarzRund, Noah Sow, Zoe Hagen, Michael Götting und noch vielen mehr. Denn durch die Rezeption einer ganzen Palette an Arbeiten werden Positionen und Problematiken deutlicher, komplizierter, herausfordernder. Wir Schwarzen Menschen können uns in unserer Diversität begreifen und die Bürde der Repräsentation wird leichter. Außerdem wird die deutschsprachige Literaturlandschaft daran wachsen, davon lernen, und wenn sie sich traut, wird sie ihren Horizont erweitern. So oder so schreiben wir Menschen der afrikanischen Diaspora weiter – denn es gibt unendlich viel zu erzählen. Also kommen wir endlich zum Thema des heutigen Abends. Verehrtes Publikum: "Dürfen Schwarze Blumen Malen?" Ja. Je mehr, desto besser. Haben Sie vielen Dank! (Sharon Dodua Otoo, 18.6.2020)