Produktivsein lässt es sich an vielen Orten in Wien.

Foto: Christian Fischer

Ein Büro, ein Tisch, ein ergonomischer Sessel, der Monitor im richtigen Winkel, eine helle Lampe, vielleicht noch eine Topfpflanze und die Maus von Colani: Das Bild des idealen modernen Arbeitsplatzes war fest im kollektiven Bewusstsein verankert. Die wenigen Arbeitsnomaden mit ihren mobilen Gerätschaften, die sich in den Kaffeehäusern ansiedelten, wurden belächelt bis bewundert: "Kann man denn so wirklich arbeiten?" Na sicher kann man! Corona hat gezeigt, was Generationen von Studentinnen und Studenten eh schon länger wussten: Zum Produktivsein braucht’s nur ein bissl Inspiration (bzw. eine drohende Deadline), einen Laptop und stabiles WLAN bzw. ein Handy mit solidem Datenvolumen. Und einen guten Platz – aber davon gibt’s in der lebenswertesten Stadt der Welt zur Genüge.

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BÜRO MIT ZIMMERSERVICE: Das Hotel

Ein temporärer Tapetenwechsel kann Wunder wirken.
Foto: Getty Images/iStockphoto Fotograf: svengine

I want to be alone", haucht Greta Garbo im Kinodrama Grand Hotel von 1932 – ein Filmzitat, das haarscharf beschreibt, was es eben nur im Hotel gibt: ganz für sich selber sein, ohne sich dabei um irgendwas kümmern zu müssen. Außer um die Zimmerrechnung, leider. Gerade wenn man verzweifelt um Ideen und/oder Konzentration ringt, kann so ein temporärer Tapetenwechsel Wunder wirken – da lohnt sich die Investition in ein paar Tage oft wirklich. Viele neuere Wiener Hotels wenden sich nicht zuletzt deshalb ganz bewusst nicht (nur) an Touristen. 25 Hours Hotel, Daniel Wien, Magdas, die Ruby Hotels, das Hotel am Brillantengrund kommen da gleich in den Sinn – aber man kann auch unironisch retro in der Pension ums Eck (oder am anderen Ende der Stadt) produktiv sein. Schade nur: Die schönen Corona-Angebote stundenweiser Zimmervermietung gibt’s schon wieder nicht mehr. Und ein klassisches Stundenhotel ist dann doch eher etwas für die Arbeit der anderen Art.

Vorteile: keine Störungen, genug Platz, Serviceangebot.
Nachteile: hohe Kosten, kein Austausch.
Geheimtipp: Mehr Hotelfeeling geht kaum. Im Rothensteiner in Wien-Neubau fühlt man sich wie aus der Zeit und aus der Welt genommen. Glamour gibt’s hier keinen, dafür eine herrlich nostalgische Atmosphäre – und preiswert ist es auch.

BÜROGEMEINSCHAFT: Das Wohnzimmer von Freunden

Die relative Einsamkeit im Homeoffice war für viele kurzfristig eine echte Erleichterung: Der Weg zur Arbeit reduziert sich auf die Strecke vom Bett zum Tisch (wenn überhaupt), der Pyjama bleibt ganztags an, die Kollegen nerven nur remote – nur wenn der Kaffee aus ist, dann ist man immer selber schuld. Doch nach einiger Zeit meldet sich die fiese Daueruntermieterin im kuscheligen Arbeitsschneckenhaus: die Prokrastination. Die Konzentrationsfähigkeit sinkt mit der Selbstkontrolle, der Kühlschrank lockt mit unanständigen Angeboten, und das Projekt "Badezimmer putzen" ist auf einmal viel dringender als die Deadline. Weil auch der Büromensch halt doch ein Herdentier ist, bietet sich hier an, das Angenehme mit dem Praktischen zu verbinden: als rotierende Privatbürogemeinschaft nämlich, mit ein, zwei oder drei Freundinnen oder Freunden. Mal bei der einen im Wohnzimmer, dann beim anderen in der Küche … Alle am Laptop, alle werkeln vor sich hin, es gibt Tee und Kaffee, und jede Ablenkung wird liebevoll, aber konsequent gerügt.

Vorteile: flexibel, geringe Kosten, effektiv.
Nachteile: Wenn nicht alle diszipliniert mitmachen, wird’s schnell zur Homeoffice-Party.
Geheimtipp: einen einfachen, aber strikten Zeit- und Zielplan erstellen. Und erst wenn wirklich alle alles fertig haben, die Prosecco-Flasche aufmachen.

KONZENTRATIONSKATHEDRALE: Die Bibliothek

Ruhe bitte!" Eins ist klar: Telefon- oder Onlinekonferenzen sind hier keine Option. Auch für "Füße am Tisch, Laptop am Schoß"-Menschen und Snack-Süchtler, deren Hirn ohne ständige Kalorienzufuhr nicht rundläuft, ist die Bibliothek nicht der richtige Ort zum Arbeiten. Hier herrschen Ordnung, Stille und Konzentration. Also genau das, was man braucht, wenn man zu Aufmerksamkeitsschwäche und Prokrastination neigt.

Studentinnen und Studenten nutzen Bibliotheken schon von jeher zum Lernen – und zunehmend entdecken auch Berufstätige die Vorzüge der heiligen Hallen der Literatur, vor allem wenn sie jetzt wieder regulär geöffnet sind. Ehrwürdiges Flaggschiff ist natürlich die Nationalbibliothek mit ihren insgesamt sieben Lesesälen, gleich danach folgt die Hauptbibliothek der Stadt Wien am Urban-Loritz-Platz. Wunderschöne Kurzzeitarbeitsplätze gibt’s u. a. auch in der Wien-Bibliothek im Rathaus, im Mak-Lesesaal oder in der Bibliothek der "Bildenden".

Vorteile: ruhig, gute Lichtverhältnisse, Infrastruktur.
Nachteile: Öffnungszeiten, mangelnde Bequemlichkeit, Meetings unmöglich, Catering schwierig.
Geheimtipp: Bibliothek der Arbeiterkammer, Prinz-Eugen-Straße 20–22. Große Tische, modernistisches Ambiente, viel Platz, frei zugänglich – und mit Garten!

DER WIENER KLASSIKER: Das Kaffeehaus

Bild nicht mehr verfügbar.

Zu einem großen Teil entstand dieser Artikel im Kaffeehaus.
Foto: REUTERS / GUGLIELMO MANGIAPANE

Das Kaffeehaus, schrieb unlängst die geschätzte Kollegin P. an dieser Stelle, stehe "sinnbildlich für exakt die Distanz, die man hierzulande überlebensnotwendig braucht, kombiniert mit der Nähe, die man aushält". Eine treffliche Zusammenfassung davon, warum das Wiener Kaffeehaus seit Jahrhunderten nicht als Institution des Konsums, sondern vielmehr als eine der Kreativität und Produktivität gilt. Und was die alten weißen Herren Kaffeehausliteraten Karl Kraus, Arthur Schnitzler, Stefan Zweig oder Friedrich Torberg konnten, kann ich schon lang: im Kaffeehaus schreiben nämlich.

Selbstredend ist dieser Artikel zu einem großen Teil im Kaffeehaus entstanden. In unseren geliebten Bezahlwohnzimmern sind wir nun nach der Zwangspause endlich wieder zu Hause angekommen, nippen am kleinen Schwarzen, werden dazwischen vom Kellner ignoriert, beobachten unsere Tischnachbarn und bekommen währenddessen ordentlich was weiter. Und wenn nicht, gibt’s ein Achterl oder zwei zum Hineinweinen.

Vorteile: Atmosphäre, Infrastruktur, zeitliche Flexibilität, Inspiration.
Nachteile: Ablenkung durch zufällig vorbeikommende Bekannte (Wien, du Dorf). Geheimtipp: Café Milano, Stubenring 24. Direkt neben dem immer übervollen Prückel, hinter einer denkmalgeschützten Keramikfassade, findet sich eine hinreißend angegrindete Oase der Ruhe – mit Sichtfenster zum Ring fürs "Begleitfernsehen". Der Kaffee ist auch top.

OPEN-AIR-OFFICE: Im Grünen

Arbeiten im Grünen ist auch in Wien möglich.
Foto: apa/schlager

Wien ist nicht nur die lebenswerteste Stadt der Welt, sondern auch eine der grünsten: Auch wenn man’s bei einem Spaziergang durch die Josefstadt nicht für möglich halten möchte, bestehen doch über 50 Prozent des Stadtgebiets aus Grünraum. Und wenn es das Wetter erlaubt – schaut gut aus für die nächsten Wochen –, spricht nichts dagegen, auf einem Bankerl oder gleich in der Wiese die fälligen Projekte anzugehen.

Zwischen Kahlenberg und Laaer Berg, zwischen Auhof und Kaiserebersdorf warten Türkenschanzpark, Stadtpark, Schönbrunner Schlosspark, Augarten, Prater, Donauinsel und zahllose weitere Grün- und Freiflächen auf arbeitswillige Stadtbewohnerinnen. Und als Alternative für Weicheier, Rückenschmerzanfällige und Personen mit empfindlicher Blase tut’s natürlich zur Not auch der Gastgarten – vielleicht sogar beim Heurigen mit Wienblick, der eignet sich auch gut für Meetings.

Vorteile: Frischluft, Flexibilität, Platzangebot.
Nachteile: wenig Infrastruktur (Toiletten!), kein Strom, Wetterabhängigkeit.
Geheimtipp: Friedhof St. Marx, Leberstraße. In Touristenführern wird er als schönster Friedhof von Wien gepriesen, die Wiener selber kennen ihn kaum – auf seinen Bankerln finden auch Sie die ewige Arbeitsruhe.

TO BOLDLY GO ...: Die Zwischenräume

Es soll ja Leute geben, die während der Corona-Krise heimlich ihre leeren Büros aufgesucht haben. Weniger aus lauter Sehnsucht nach der gewohnten Office-Umgebung, sondern um endlich mal in Ruhe arbeiten zu können, ohne Familie und, Corona-Bonus, sogar ohne Kollegen! "Ich musste mich durch die Innenhoftür reinschleichen, das war richtig abenteuerlich!", erzählt z. B. Grafikerin C.

Mittlerweile gehören die meisten Wiener Büros nicht mehr zu den "abandoned places" – wen also das Abenteuer zu geistigen Höchstleistungen inspiriert, der muss sich neue Orte suchen. Kollege U. etwa hat sein kreatives Glück in der Straßenbahn gefunden – von Endstation bis Endstation, gern auch mehrmals, mit dem Laptop auf dem Schoß. Warum auch nicht. Kollegin N. sitzt am liebsten am S-Bahnhof Praterstern, Bahnsteig 3, ganz hinten, und Projektmanager T. erledigt seinen Workload gar in einem leer stehenden Rohbau. Hauptsache, es geht irgendwas weiter auf der Baustelle.

Vorteile: Individualität, Flexibilität.
Nachteile: keine klaren Strukturen, viele unvorhersehbare Faktoren.
Geheimtipp: am Wochenende mal Laptop, Wasserflasche und Sitzdecke packen und forschen gehen. Wenn Sie keinen neuen Arbeitsplatz finden, dann sicher jede Menge neue Eindrücke. (Gini Brenner, 19.6.2020)

Update 29.6.: Im 25 Hours Hotel ist die stundenweise Anmietung weiterhin möglich, weiters gibt es das Angebot, Zimmer monatsweise zu mieten.