Corona hält auch Kamerun im Griff, einen Lockdown kann sich das Land nicht leisten.

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Die Schulen sind nach einer kurzen Schließung seit Anfang Juni wieder geöffnet.

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Präsident Paul Biya verbringt seine Tage lieber in einem Genfer Hotel.

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Als es darauf angekommen wäre, blieb der Präsident zwei Monate lang stumm. Über Twitter fragten sich die Kameruner: "#WhereisBiya" oder "#LetsFindBiya". Und auf den Straßen kursierten Gerüchte, wonach der 87-jährige Staatschef Paul Biya an Covid-19 erkrankt oder sogar schon gestorben sei. Oppositionsführer Maurice Kamto leitete vor dem Verfassungsgericht ein Verfahren ein, mit dem das Präsidentenamt als "vakant" erklärt werden sollte.

Dabei sollten die Kameruner an das Phänomen längst gewöhnt sein: Denn je länger die inzwischen 37-jährige Regierungszeit des Präsidenten anhält, desto seltener ist er zu Hause. Ein gutes Drittel des Jahres verbringt Biya im Ausland – am liebsten im Genfer Intercontinental-Hotel, wo stets eine Suite für ihn freigehalten wird. Seit sich Anfang März das Coronavirus auch in Kamerun ausbreitet, soll der Greis mit den schwarz gefärbten Haaren zwar tatsächlich zu Hause gewesen sein. Doch seinem Volk hatte er offensichtlich nichts zu sagen.

Übliche Plattitüden

Als Biya am Vorabend des Nationalfeiertags Ende Mai sein Schweigen schließlich brach, hatte er in seiner Fernsehansprache außer den üblichen Plattitüden immer noch nichts zu sagen, außer dass die Bevölkerung angesichts der von der Pandemie ausgehenden "heimtückischen Gefahr" zusammenrücken müsse und alle "politischen Streitereien" vergessen solle.

Doch das Fundament zu einer derartigen Harmonie hatte der Dauerherrscher nicht gelegt. Außer von der Corona-Pandemie wird Kamerun von einem blutigen Sprachenstreit zwischen anglo- und frankophonen Landsleuten erschüttert, während im abgelegenen Norden die islamische Extremistensekte Boko Haram ihr Unwesen treibt.

Corona-Ansteckungsrate steigt

Kamerun hat als sechster afrikanischer Staat jüngst die Marge von 10.000 Corona-Infizierten passiert – fast 300 Menschen sind dem Erreger bereits zum Opfer gefallen. Obwohl die Ansteckungsrate weiter steigt, sah sich die Regierung in Yaoundé Anfang des Monats gezwungen, ihren Lockdown zu lockern: Wie auch in anderen afrikanischen Staaten drohte die Ausgangssperre größeren Schaden als das Virus anzurichten.

Die Wiedereröffnung der Schulen, Restaurants und sogar Nachtclubs ließ bei den Kamerunern den Eindruck aufkommen, dass die Gefahr gebannt sei: Keiner halte sich mehr an Vorsichtsregeln, klagt der Epidemiologe Yap Boum II, "während die Ansteckungszahlen drastisch in die Höhe gehen". "Warum setzt die Regierung die Bevölkerung einer derartigen Bedrohung aus?", fragt der Chef der oppositionellen Volkspartei, Kah Walla. Die Antwort lautet wie in den meisten afrikanischen Staaten: weil ein Lockdown wirtschaftlich nicht länger durchzuhalten ist.

Solidaritätsfonds abgängig

Insofern ist Kamerun kein Einzelfall. Doch in Sachen Korruption bricht der scheindemokratische Staat selbst afrikanische Rekorde. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) fragte kürzlich in Yaoundé an, was eigentlich aus dem Solidaritätsfonds geworden sei, in den die Gesundheitseinrichtungen des Landes seit fast drei Jahrzehnten zehn Prozent ihrer Einkünfte einzahlen müssen. Die Summe muss inzwischen zu einem beachtlichen Betrag angewachsen sein, der in Notfällen zur Verfügung gestellt werden soll – und wenn die Corona-Pandemie kein Notfall ist, was dann?

Doch bisher wurde aus dem Fonds noch kein Cent ausbezahlt, obwohl es an den Mitteln zum Kampf gegen das Virus überall hapert. Im ganzen Land wurden gerade einmal 3.000 Mund-Nasen-Schutzmasken verteilt, es mangelt sowohl an Desinfektionsmitteln wie an Intensivstationsbetten. Wo überhaupt welcher Betrag des Solidaritätsfonds liegt, wollte oder konnte den Menschenrechtlern in Yaoundé keiner sagen. Gut möglich, dass der gesamte Fonds in die Taschen korrupter Politiker abgeflossen ist.

Oppositionskonten gesperrt

Als Oppositionspolitiker Kamto den akuten Mangel an Schutzmitteln zum Anlass nahm, solche auf eigene Kosten zu verteilen, wurden fünf seiner Anhänger verhaftet, die Konten der von Kamto gegründeten "Überlebensinitiative" gesperrt. Die Opposition versuche die Krise für ihre Zwecke auszuschlachten, hieß es zur Begründung.

Wahnwitzige Korruption und Regierungsversagen sind die Gründe dafür, dass die im Westen des Landes lebende englischsprachige Bevölkerungsminderheit (rund 20 Prozent) autonom oder sogar unabhängig werden will. Sie fühlt sich von den Machenschaften der frankophonen Elite übervorteilt. Der Unmut über ihre Behandlung als Bürger zweiter Klasse führte vor vier Jahren zum Aufruhr: Seitdem herrscht in den beiden Westprovinzen des Landes Bürgerkrieg. In ihm haben bereits mehr als 3.000 Menschen ihr Leben und rund 900.000 ihr Zuhause verloren.

Massaker im Westen

Statt in einen Dialog mit den Unzufriedenen zu treten, will Biya das Problem mit militärischen Mitteln lösen: Seine Soldaten richteten in den beiden anglophonen Provinzen immer wieder Blutbäder an. Erst im Februar brachte die Armee im Dorf Ngarbuh 23 Zivilisten um, darunter 15 Kinder und zwei schwangere Frauen.

Das Massaker löste einen derartigen internationalen Aufschrei aus, dass sich Yaoundé gezwungen sah, eine Untersuchung einzuleiten. Sie machte tatsächlich drei Soldaten für die Ermordung der Frauen und Kinder verantwortlich: Sie müssen jetzt mit einer Mordanklage rechnen. Der Bürgerkrieg geht unterdessen weiter: Seit April nehmen die Kämpfe wieder zu, sämtliche humanitären Flüge in die Unruheprovinzen wurden gestoppt.

Boko Haram agiert im Norden

Nicht viel besser geht es den Kamerunern im äußersten Norden des Landes, wo die ursprünglich aus Nigeria stammende Islamistensekte Boko Haram schon seit Jahren ihr Unwesen treibt. Die Extremisten haben die Pandemie zum Anlass genommen, ihre Aktivitäten im Vierländerkreuz zwischen Nigeria, dem Niger, dem Tschad und Kamerun zu verstärken – in dem Glauben, dass die Regierungen der Anrainerstaaten jetzt mit anderem beschäftigt sind. Das sie überhaupt mit etwas beschäftigt sind, muss zumindest im Fall Kameruns bezweifelt werden: Sonst hätte man nicht über Twitter nach dem Präsidenten zu fahnden. (Johannes Dieterich, 19.6.2020)