Es wird in alle Richtungen geforscht: Eine Studie untersucht, inwieweit die Blutgruppe von Patienten die Schwere des Krankheitsverlaufs beeinflussen könnte.

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Bei vielen Fachzeitschriften verläuft die Begutachtung von Studien vor ihrer Veröffentlichung durch Fachleute (Peer-Review) momentan im Eiltempo. Statt monatelanger Wartezeiten werden manche Papers, die von hoher Relevanz für die Pandemie sind, innerhalb von Tagen oder Wochen publiziert. Eine Herausforderung für die Journale, die qualitativ hochwertige Arbeiten veröffentlichen wollen, aber in manchen Fällen nachträglich schon Studien zurückziehen mussten. Das renommierte "New England Journal of Medicine" erhält seit Pandemiebeginn bis zu 200 Einsendungen pro Tag.

Nun veröffentlichte das Fachblatt eine Studie, die sehr schnell durch das Peer-Review-Verfahren gelangte: Erst Anfang des Monats erschien sie als Vorabdruck (Preprint). Es handelt sich um eine Arbeit deutscher und norwegischer Forschender, die eine mögliche Verbindung zwischen Blutgruppen und schwereren Covid-19-Verläufen untersuchten. Hierfür werteten sie DNA-Proben aus italienischen und spanischen Städten aus, die stark von der Pandemie betroffen sind. Gesucht wurde nach Stellen im Genom, an denen 1.610 Covid-19-Intensivpatienten ähnliche Varianten haben, die sich von einer zufällig ausgewählten Vergleichsgruppe (2.205 Personen) unterscheiden.

Gen für AB0-Blutgruppe im Fokus

Dabei stieß das Team auf zwei interessante Punkte: Eine Stelle auf Chromosom 3 zeigte die stärkste statistische Korrelation mit einem schweren Krankheitsverlauf; hier befinden sich mehrere Gene, bei denen noch unklar ist, welches potenziell Einfluss hat. Eine weitere Stelle auf Chromosom 9 zeigt ebenfalls einen statistischen Zusammenhang. Hier befindet sich ein Gen, das die AB0-Blutgruppe bestimmt.

Corona-Studie zum Einfluss von Blutgruppen.
ORF

Das Ergebnis deutet darauf hin, dass Personen mit Blutgruppe A ein höheres Risiko für einen schweren Verlauf der Coronavirus-Erkrankung haben, Blutgruppe 0 ein vermindertes. Dies würde zu den Beobachtungen in zwei vorangehenden Studien aus China und den USA passen, die bisher ohne Peer-Review veröffentlicht wurden.

Ein Studienautor, der Molekularbiologe Andre Franke von der Christian-Albrechts-Universität Kiel, hofft bereits auf mögliche Anwendungen: Die Studie schaffe "eine hervorragende Grundlage für die Entwicklung von Wirkstoffen, die an den gefundenen Kandidatengenen ansetzen können". Man könne potenziell besser abschätzen, bei welchen Patienten das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf hoch sei.

Vorsichtige Einordnung

Gottfried Fischer, der sich als Blutgruppenserologe der Med-Uni Wien mit Immungenetik befasst, sieht die Studie nüchtern: "Sie zeigt, dass es genetische Faktoren gibt, die den Verlauf der Covid-19-Erkrankung modifizieren. Das Ergebnis besagt, dass die Wahrscheinlichkeit für Blutgruppe A, einen schweren Verlauf zu haben, um das 1,3-Fache erhöht ist." Dieser Zusammenhang ist statistisch signifikant, der Unterschied im Risiko ist aber im Vergleich zu anderen Faktoren nur klein.

Ein Nachweis für einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Genprodukt und der Krankheit ist damit noch nicht erbracht. Die Studie sei aber "ein guter Startpunkt für weitere Untersuchungen, die notwendig sind, um die Rolle dieser Gene in Verbindung mit schweren Covid-19-Krankheitsverläufen und den praktischen Nutzen realistisch einzuschätzen", sagt Fischer.

Außerdem sei es besonders bei diesen genomweiten Assoziationsstudien wichtig, durch weitere Arbeiten zu überprüfen, ob die Ergebnisse reproduzierbar sind. Es gab schon Studien, die relevante Gene für eine höhere Covid-19-Anfälligkeit suchten. Sie erzielten bisher keine signifikanten Ergebnisse, beschränkten sich allerdings im Gegensatz zur neuesten Untersuchung nicht nur auf Patienten mit schwerem Verlauf. Für das Unterfangen wäre auch eine genauere Umreißung des Krankheitsbilds wichtig, was bei einem neuartigen Virus schwierig ist, sowie eine Überprüfung für verschiedene Ethnien.

Über die Blutgerinnung

Es ist bereits bekannt, dass es eine Korrelation gibt zwischen bestimmten Blutgruppen und dem Spiegel an Gerinnungsfaktoren: Menschen mit Blutgruppe A tendieren zu einem höheren Spiegel, was mit erhöhter Bereitschaft für Thrombosen einhergeht. "Auch hier wäre ich vorsichtig, einen ursächlichen Zusammenhang herzustellen, da in das Gerinnungssystem viele Regulationsmechanismen hineinspielen", sagt Fischer.

Seine Kollegin, die Blutgerinnungsmedizinerin Ingrid Pabinger-Fasching, betonte kürzlich im STANDARD-Interview: "Eine Thrombose ist immer auch ein Zeichen für eine fortgeschrittene Erkrankung und nicht spezifisch für Covid-19." Bei vielen schwerkranken Menschen wie Krebspatienten sei die Gefahr einer Thrombose oder Lungenembolie hoch, weil der geschwächte Allgemeinzustand sich auf die Blutgerinnung auswirkt.

Nicht unrealistisch wäre eine gewisse Schutzfunktion, die je nach Blutgruppe variiert: Es ist bekannt, dass manche Virus- und Bakterieninfektionen unterschiedliche Bluttypen durchschnittlich verschieden stark betreffen.

Wie Schutzfunktion entsteht

Dies liegt an den Antikörpern, die anders ausgeprägt sind (siehe Infokasten). "Das Bakterium Yersinia pestis, das die Pest auslöst, hat ein Oberflächenmerkmal, das Strukturen auf den roten Blutkörperchen bei Typ 0 ähnelt. Daher kann sich das Immunsystem dieser Personen vermutlich schlechter gegen den Erreger wehren", sagt Fischer. Bei diesen Antikörpern handelt es sich aber auch nur um einen von mehreren Schutzmechanismen des Immunsystems. Die heutige Verteilung der Blutgruppen wird unter anderem als Abbild verschiedener evolutionärer Selektionskräfte erklärt, weil gewisse Gruppen etwas besser gegen manche Krankheiten geschützt waren.

Im Gegensatz zum AB0-Bluttyp spielen bei ernsten Covid-19-Verläufen andere Risikofaktoren wie Vorerkrankungen eine wesentlich größere Rolle, warnt Fischer: "Von einem möglicherweise geringfügig erhöhten Risiko aufgrund der Blutgruppe darf man sich nicht verunsichern lassen." Und es wäre grob fahrlässig, mit Blutgruppe 0 darauf zu schließen, dass man vor einem schweren Verlauf geschützt sei. (Julia Sica, 19.6.2020)

Originalpublikation:

Genomewide Association Study of Severe Covid-19 with Respiratory Failure