Christine Blume ist Schlafforscherin am Zentrum für Chronobiologie der Universität Basel.

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Der Körper kann bei Stress nicht herunterfahren – das kann Schlafprobleme verursachen.

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Sorgen und Stress beeinflussen die Schlafqualität – ganz besonders in einer Ausnahmesituation wie der Corona-Krise. Eine Umfrage der Universität Basel, an der mehr als 400 Menschen in Deutschland, Österreich und der Schweiz teilgenommen haben, zeigt, wie sich der Schlaf in dieser Ausnahmesituation verändert hat. Die Schlafexpertin Christine Blume, eine der Autorinnen der Studie, die in der Fachzeitschrift "Current Biology" publiziert wurde, über "Corona Dreams" – und was gegen Einschlafprobleme hilft.

STANDARD: Wie haben die Menschen in der Zeit des Corona-Lockdowns geschlafen?

Blume: Sie haben länger geschlafen, dafür war die Schlafqualität geringer. Das geht aus unserer Umfrage hervor, die wir während der Phase der stärksten Restriktionen im März und April durchgeführt haben. Die längere Schlafdauer ist eine Folge der Tatsache, dass die Befragten während dieser Zeit eher entsprechend ihrem biologischen Rhythmus geschlafen haben, weil sie weniger durch externe Faktoren wie Arbeitszeiten eingeschränkt waren. Das ist sicher eine positive Nachricht. Allerdings hat die wahrgenommene Schlafqualität auch etwas abgenommen. Das hängt stark mit den Belastungen durch den Lockdown zusammen – also beispielsweise mit gesundheitlichen und finanziellen Sorgen oder der Belastungen der Kinderbetreuung.

STANDARD: Was genau ist eine verringerte Schlafqualität?

Blume: Dazu zählen Probleme beim Einschlafen, aber auch häufiges oder zu frühes Aufwachen. Wir haben auch erfragt, wie erholt sich die Menschen in der Früh fühlen und wie müde sie untertags sind. Wobei man sagen muss, dass in unserer Stichprobe die Menschen relativ gesunde Schläferinnen und Schläfer waren. Wir glauben, dass die Effekte von Corona auf die Schlafqualität der Gesamtbevölkerung eher noch stärker sind.

STANDARD: Wie wirken sich Sorgen konkret auf das Schlafverhalten aus?

Blume: Der Körper kann bei Stress nicht so gut herunterfahren, doch Entspannung ist ein Schlüssel für guten Schlaf. Das wirkt sich bei jedem individuell aus. Die einen haben Probleme beim Einschlafen, weil sie sich von den Gedanken nicht lösen können. Andere schlafen gut ein, wachen aber morgens um vier Uhr auf und fangen zu grübeln an. Oder der Schlaf ist sehr unruhig. Wobei man zur Erklärung sagen muss: Auch gesunde Schläferinnen und Schläfer wachen bis zu 20-mal pro Nacht auf, aber sie können sich daran meist nicht erinnern. Patientinnen und Patienten, die Schlafprobleme haben, wachen oft kurz auf und können sich auch daran erinnern. Sie kommen von der Schlafdauer oft schon auf sechs oder sogar sieben Stunden, haben aber trotzdem das Gefühl, dass sie eine schlechte Nacht hatten – und fühlen sich danach erschöpft und nicht erholt.

STANDARD: Wie schaut es mit Albträumen aus?

Blume: Es gab viele Berichte über sogenannte Corona-Dreams, besonders in den sozialen Medien. Viele Leute haben gesagt, dass sie plötzlich intensiver und mehr träumen. Dazu gibt es meines Wissens nach noch keine veröffentlichte Studie. Wir wissen aber, dass man sich an Träume nur erinnern kann, wenn man daraus aufwacht. Wie erwähnt haben viele Menschen in der Zeit des Lockdowns schlechter geschlafen – und sind in der Nacht vermutlich öfter aufgewacht. Dazu kommt auch, dass die Menschen länger geschlafen haben. Zwar träumen wir in allen Schlafphasen, doch in den Morgenstunden haben wir besonders viele Phasen des sogenannten REM-Schlafs. Dieser ist mit besonders intensiven Träumen assoziiert. Wer also in der Früh länger schlafen kann, weil sowieso nur das Homeoffice wartet, hat auch tatsächlich mehr intensive Träume.

STANDARD: Welche Tipps haben Sie für einen gesunden Schlaf?

Blume: Sport oder auch einfach nur Bewegung im Tageslicht können den Schlaf verbessern, besonders wenn die Bewegung vier bis acht Stunden vor dem Zubettgehen stattfindet. Ein großes Problem für viele Menschen war in den letzten Monaten, dass sie durch das Homeoffice Berufliches von Privatem nicht mehr räumlich trennen konnten. In einem solchen Fall sollte man versuchen, auf anderen Ebenen Arbeit und Freizeit zu trennen. Zum Beispiel sollte man im Homeoffice nicht im Pyjama oder gar im Bett arbeiten. Außerdem können in einem solchen Fall Rituale helfen. Etwa dass man immer nach Feierabend einen Spaziergang macht, um mit dem Arbeitstag abzuschließen. Auch der Wechsel zurück in den Pyjama am Abend ist ein Ritual, das dem Körper signalisiert, dass nun Zeit zum Schlafen ist.

STANDARD: Raten Sie vor Fernseher und Handy vor dem Schlafengehen ab?

Blume: Beim Fernseher kommt es immer darauf an, welche Inhalte konsumiert werden. Ein Horrorfilm ist ganz sicher nicht schlafförderlich, eine Serie, die die Zuseherinnen und Zuseher einlullt, ist eher kein Problem. Wer am Handy kurz vor dem Einschlafen noch auf Instagram oder Twitter surft, verhindert, dass das Gehirn zur Ruhe kommt. Dazu kommt, dass das Handy eine Lichtquelle ist, die uns abends tendenziell wach macht.

STANDARD: Helfen Schlafmittel?

Blume: Finger weg von Medikamenten, weil sie nichts an der Grundsituation ändern und ein Abhängigkeitspotenzial haben. Leider passiert der Griff zum Rezeptblock bei Ärzten oft zu schnell.

STANDARD: Was stattdessen?

Blume: Unsere Methode der Wahl ist die kognitive Verhaltenstherapie. Wir gehen davon aus, dass jeder Mensch gut schlafen kann, viele Menschen das aber verlernt haben. Das bedeutet: Man kann es wieder lernen. Dabei hilft zum Beispiel, nur dann ins Bett zu gehen, wenn man wirklich müde ist. Wer nach 20 Minuten noch nicht eingeschlafen ist, steht wieder auf, geht in einen anderen Raum und lenkt sich ab, dann probiert man es wieder, wenn man sich müde genug fühlt. Das macht man so lange, bis man wirklich innerhalb von 20 Minuten einschläft. Das ist sehr effektiv, um Einschlafstörungen zu behandeln. Vielen Menschen geht die natürliche Verbindung von Bett und Schlaf verloren. Das Bett triggert dann nicht mehr den Schlaf, ganz im Gegenteil. Viele berichten, dass sie hellwach sind, sobald sie im Bett liegen. Mit der Methode versucht man, die Zeit, die man wach im Bett verbringt, zu begrenzen – und die Zeit, die man schläft, zu erhöhen und dadurch diese Assoziation wiederherzustellen.

STANDARD: Was tun, wenn die Gedanken rasen?

Blume: Dieses Problem haben viele. Sie sind hundemüde, aber die Gedanken und Sorgen lassen sie nicht los. Dann kann man sich zum Beispiel vorstellen, in den Himmel zu schauen und jeden Gedanken, der kommt, auf eine Wolke zu setzen und davonziehen zu lassen. Es geht darum, Gedanken nicht weiterzuspinnen, sie aber auch nicht zu unterdrücken.

STANDARD: Und was halten Sie von Schäfchenzählen?

Blume: Ich persönlich finde das ein bisschen anstrengend. Der Vorteil dabei ist aber, dass man gedanklich beschäftigt bleibt. Wenn es hilft, die störenden Gedanken loszulassen, spricht also nichts dagegen. (Franziska Zoidl, 21.6.2020)