I can't breathe: Als Zeichen des Protests ließ der Künstler Jammie Holmes Banner mit den letzten Worten von George Floyd über US-amerikanische Städte fliegen. Hier am Himmel über Detroit.
Foto: Jammie Holmes / Library Street Collective / Hayden Stinebaugh

Sogar aus dem Weltall sind sie sichtbar. In dicken gelben Buchstaben steht "Black Lives Matter" auf der 16th Street NW in Washington. Deutlich erkennt man sie auf den Satellitenbildern von Google Maps. Der Slogan zieht sich über zwei Blocks bis zum Weißen Haus.

Anfang Juni wurde der Schriftzug als Reaktion auf den Mord an dem Schwarzen George Floyd durch rassistisch motivierte Polizeigewalt von Freiwilligen und Künstlern in nur wenigen Stunden auf den Asphalt gemalt. Als Protestmahnmal fordert es lang ersehnte Gerechtigkeit.

Auch die Bürgermeisterin von Washington, Muriel E. Bowser, unterstützte die Aktion: Trotz heftiger Kritik von Donald Trump ließ sie den Straßenabschnitt in "Black Lives Matter Plaza" umbenennen. Es gehe um eine deutliche Botschaft, die man als Stadt versenden möchte, sagte Bowser.

Keine Objekte für den Kunstmarkt

Die Street-Art-Aktion diente vielen anderen US-amerikanischen Städten, die sich in den vergangenen Wochen mit den Black-Lives-Matter-Protesten (BLM) solidarisch zeigten, als Vorbild. So verbreiteten sich die gelben Lettern ähnlich wie die Proteste über zahlreiche Bundesstaaten: Plötzlich prangte "End Racism Now" vor einer Kreuzung in North Carolina, und in Kalifornien malte der Künstler Demetris Bamr Washington "Black Lives Matter" auf Rasenflächen, die sich bis zum State Capitol erstreckten. Auf Instagram bat er Freiwillige um Hilfe. Später schrieb er dort: "Teamwork made the dreamwork!"

Generell dienten soziale Medien engagierten Kunstschaffenden nicht nur als Organisationstools für die – von der Künstlerin und Aktivistin Patrisse Cullors mitbegründeten – BLM-Bewegung, sondern auch als Plattformen, auf denen sie ihre Beiträge zu den Protesten teilen konnten:

In Collagen, Videos, Fotos und Murals werden Polizeistationen in Brand gesetzt, wird Trump parodiert und jener Menschen gedacht, die durch Polizeigewalt sterben mussten. Mit diesem friedlichen Protest fordern Kunstschaffende "social and racial justice", die aktuellen Geschehnisse sollen nicht in Vergessenheit geraten. Dieser Protestkunst gehe es nicht darum, schöne Objekte für den Kunstmarkt zu schaffen, schreibt der Politikprofessor Sandipto Dasgupta auf Artnet, sondern eine Vision einer anderen Welt.

Niemals vergessen: Flüchtiges Mahnmal über New York City.
Foto: Jammie Holmes / Library Street Collective

Wie auch die Straßenschriftzüge waren viele der Kunstbeiträge temporäre Aktionen im öffentlichen Raum. So schrieb die Künstlerin Alisha B. Wormsley auf eine Werbetafel in Detroit den Satz "There are black people in the future", der Künstler Eric Rieger projizierte Fotos von Floyd an Häuserfronten in Minneapolis.

Mit seiner Aktion Everything hurts ließ der Künstler Jammie Holmes Flugzeuge über die Städte New York, Detroit, Miami, Dallas und Los Angeles fliegen, an denen Banner an die letzten Worte George Floyds erinnerten. Mit seiner Arbeit wolle er auch Menschen abseits digitaler Medien erreichen, so Holmes. "Eine gemeinsame Botschaft ist der Schlüssel für echte Veränderung."

Zeit für einen Systemwandel

Während sich Personen aus der Kunstwelt aktiv an den BLM-Protesten engagierten, hielten sich viele Kunsteinrichtungen zurück, wofür sie heftige Kritik ernteten. Speziell in der "Kunsthauptstadt" New York fordert die Szene einen Systemwandel im Kreativsektor. Vielen Einrichtungen wurde Heuchelei vorgeworfen, da sie die propagierte Diversität der Stadt nicht widerspiegeln würden.

Statistiken zeigen: Etwa zwei Drittel der New Yorker Bevölkerung gelten als "person of colour". In den Museen sind es hingegen nur 30 Prozent, noch weniger in den oberen Etagen. Von gezeigten Künstlern ganz zu schweigen.

Die Initiative Art Workers for Black Lives lobte zwar, dass sich einige Institutionen mit den Protestierenden solidarisierten und Unterstützungserklärungen versendeten – wie das MoMA, das konkret vorschlug, wie Museen zukünftig weniger mit der Polizei kooperieren könnten. Dennoch kämen von den meisten Häusern nur "leere Statements" und "keine längerfristigen Lösungen für das eigentliche Problem".

Alte Debatten, neuer Sprengstoff

So schwappte gemeinsam mit den Protesten eine ganze Kulturdebatte nach Europa. Plötzlich diskutiert man auch hier verstärkt über Rassismus, soziale Ungleichheit und Repräsentation. Welche Denkmäler dürfen stehen bleiben und welche sollen gestürzt werden? Demontierte Statuen wie jene von Edward Colston in Bristol sollen ins Museum wandern. Wie werden diese Institutionen mit einer Neureflexion unserer Geschichte umgehen?

Erst Anfang der Woche versuchte eine Aktivistengruppe, ein süd-sudanesisches Artefakt aus einem Pariser Museum zu entwenden, um es zu restituieren – sie warfen dem Museum vor, dieses als Kolonialgut selbst gestohlen zu haben. Eine weitere Debatte, die durch die Proteste wieder neuen Sprengstoff bekommen hat. (Katharina Rustler, 19.6.2020)