Der Übersetzer und sein Alter Ego (Lachs): Sümeyra Yilmaz.

Alex Gotter

Europa kann das eigene Leben ganz schön kompliziert machen. Denn wenn ich mich als Europäer fühle, so denkt der junge rumänische Übersetzer Tino (Sümeyra Yilmaz), dann kann ich ja mein oft lästiges, weil enges Geburtsland verlassen, ohne die Heimat aufzugeben. Ich gewinne dann sogar eine neue, europäische Heimat dazu!

Ja, aber. In Alexandra Pâzgus Theaterstück fluss, stromaufwärts ist die Rechnung nicht so einfach. Der 2018 mit dem Exil-Literaturpreis ausgezeichnete und im Vorjahr auf einer Nebenspielstätte des Schauspiel Leipzig uraufgeführte Text handelt von Identitätsfragen einer jungen Generation in Zeiten intensiver Migration. Um von den "nationalen Besonderheiten nicht aufgefressen zu werden", zieht der 30-jährige Übersetzer immer wieder aus seinem Land und von seiner Familie weg. Oma Effie (Lilly Prohaska) leuchtet das nicht ganz ein, und mit Whatsapp hat sie auch nichts am Hut. Sie will einfach nur ordentlich rauchen, aber das ist ja jetzt überall verboten.

Konkret verortbare Szenen wie jene mit Oma Effie, im breiten Fauteuil unter der gelben Sonne einer altmodischen Stehlampe sitzend (Szenografie: Petra Schnakenberg) peilt Regisseur Alexandru Weinberger-Bara in seiner Inszenierung nur wenige an. Der am Max-Reinhardt-Seminar ausgebildete und in Wien vor allem durch seine beeindruckende Regie bei Milo Raus Doppelmonolog Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs im Volx bekannte Theatermacher (25) lässt der Offenheit des Textes auch auf der Bühne ihren Raum, was ein rätselhaftes und oft nicht gleich erschließbares Bildcluster ergibt.

Hallo Alter Ego!

Eher der Lyrik denn der Prosa oder Dramatik ähnelt denn auch die Sprache in den "Stücken" der in Sibiu geborenen Autorin: Strophen ohne klares Sprecher-Ich. Und dementsprechend lose folgen die Szenen bei der Pressepremiere im Corona-bedingt schütter besetzten Werk X Petersplatz aufeinander. Reale Vorstellungen sind erst 2021/22 (sic!) geplant, allerdings wird eine filmische Aufzeichnung der Premiere für vier Tage ab 27. Juni, 18 Uhr kostenlos auf der Website zur Verfügung stehen.

In blitzblauen Hartschalensitzen am Flughafen wartend begrüßt Tino zu Beginn aufs Allerherzlichste einen alten Bekannten, sein Alter Ego namens Lachs (Enrique Fiß), das gerne mansplaint. Die beiden werden in ihren Selbstgesprächen – über den rumänischen Exodus, über rumänische Osterbräuche oder über das eigene Selbstverständnis – nicht mehr voneinander weichen.

Es folgte keine Conclusio, sondern ein aufgerissenes Feld des unsteten Daseins (zwischen Rumänien und Österreich oder Deutschland), das Bezugspunkte sucht. Und sich oft über sich selbst wundert. (Margarete Affenzeller, 19.6.2020)