Die damalige FPÖ-Spitze kommunizierte intensiv zum Thema BVT.

Foto: APA/Punz

"Jetzt ist der Tag X", dachte sich die Verfassungsschutz-Referatsleiterin G., als am 28. Februar 2018 bewaffnete Polizisten in ihrem Zimmer standen. Der Tag X, an dem Rechtsextreme an der Macht "als Erstes die Staatspolizei aufhängen" wollten. Obwohl G. in den Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Verfassungsschutzmitarbeiter nur am Rande vorkam und nicht verdächtig war, durchsuchten Polizisten stundenlang ihr Büro und stellten hunderte Seiten an Berichten über Neonazis sicher. Es war der Tag der sogenannten BVT-Razzia, die einen U-Ausschuss auslöste und die Sorgen linker bis konservativer Kreise in Bezug auf die Regierungsbeteiligung der FPÖ verstärkte.

Nach wie vor ist die große Frage ungeklärt: Handelte es sich um überschießende, rechtsstaatliche Ermittlungen oder um eine Machtdemonstration der frisch in die Regierung gelangten FPÖ? Neue Dokumente, die STANDARD und "Profil" vorliegen, zeigen, wie intensiv innerhalb der FPÖ vor und nach der Razzia über das BVT diskutiert wurde. Die Chatnachrichten werfen auch für die Staatsanwaltschaft Fragen auf.

Im Zentrum der Affäre stand damals der Einsatz der berüchtigten Polizeieinheit EGS bei der Razzia. Obwohl er formal nicht EGS-Chef war, führte der freiheitliche Gemeinderat Wolfgang Preiszler, Sohn eines langjährigen niederösterreichischen FPÖ-Abgeordneten, die Razzia an. Die EGS, eine Einheit für Suchtgift- und Einbruchsdelikte, samt Preiszler hatte der damalige Generalsekretär Peter Goldgruber an die fallführende Staatsanwältin der WKStA vermittelt.

Der EGS-Chef aus der FPÖ

Dass Preiszler aktiv für die FPÖ tätig war, will Goldgruber nicht gewusst haben. Dasselbe sagte der damalige freiheitliche Innenminister Herbert Kickl, obwohl er Preiszler erst kurz zuvor offiziell besucht hatte. Kickls Kabinettschef Reinhard Teufel meinte gar, überhaupt nicht in die Vorbereitung der Hausdurchsuchung involviert gewesen zu sein. All diese Aussagen wurden im U-Ausschuss unter Wahrheitspflicht getätigt.

Chatnachrichten auf dem Smartphone des einstigen FPÖ-Klubobmanns Johann Gudenus, das im Zuge der Casinos-Affäre beschlagnahmt wurde, rücken die Causa in ein neues Licht. So schickte Gudenus, der bisher in der BVT-Affäre weder medial noch ermittlungstechnisch eine Rolle gespielt hat, bereits am 9. Jänner 2018 – also sieben Wochen vor der Hausdurchsuchung – die elektronische Visitenkarte von Preiszler an Kickls Kabinettschef Teufel. Just zu diesem Zeitpunkt hatte Kickls rechte Hand Peter Goldgruber das Konvolut voller Vorwürfe gegen BVT-Mitarbeiter vom Rechtsanwalt Gabriel Lansky erhalten.

Hat Gudenus dem Innenministerium jenen Mann fürs Grobe vermittelt, der bei der später für rechtswidrig erklärten Hausdurchsuchung im BVT aufräumen sollte? "Ich kann mich nicht erinnern, ob ich mich irgendetwas gefragt habe, als ich die Nachricht erhalten habe", sagt Teufel auf eine Anfrage. Gudenus meint, Preiszler habe beim Polizeiball im Jänner 2018 im Tross der Ehrengäste des Innenministeriums mitgehen wollen und deshalb Kontakt zu Kickl gesucht.

Nach der Razzia schrieb Preiszler Gudenus, er wechsle wegen der Ermittlungen nun auf einen sicheren Messengerdienst. Auf eine Anfrage reagierte Preiszler nicht.

Fakt ist, dass sich Gudenus ab spätestens 2016 mit einem dubiosen Nachrichtenhändler traf, der seine Arbeit dem BVT anbot, aber dort nicht besonders wohlgelitten war. Schon im Sommer 2017 schrieb dieser an Gudenus, er überlege, "die Dokumente, welche wir letzten Winter besprochen haben, zu spielen". Welche Dokumente das waren, weiß Gudenus nicht mehr. Im Oktober 2017 verlängerte der damalige Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) in einer seiner letzten Amtshandlungen den Vertrag von BVT-Chef Gridling. S. informiert Gudenus, der antwortet mit "Schade".

"BVT-Kandidaten!"

Gridling war Hauptziel der Ermittlungen gegen das BVT; er wurde suspendiert, jegliche Vorwürfe gegen ihn entpuppten sich als haltlos. Immer wieder chatteten S. und Gudenus miteinander; dabei berichtete S. auch von Treffen mit Goldgrubers rechter Hand Udo Lett, der in den Ermittlungen Zeugen an die WKStA vermittelte.

Gudenus sandte Teufel kurz nach der Razzia auch Visitenkarten zweier BVT-Mitarbeiter mit der Nachricht: "BVT-Kandidaten! Gute Leute." "Ich habe Leute empfohlen, von denen ich dachte, sie sind zuverlässig und ehrlich. Ich bin mir eigentlich auch sicher, dass mich niemand dazu aufgefordert hat", so Gudenus.

Warum hat sich das Spitzenpersonal der FPÖ im Innenministerium sowie ihr Klubobmann Gudenus so intensiv um das BVT gekümmert? Ein Motiv sahen Beobachter darin, dass das Extremismus-Referat immer wieder auf Neonazis im Umfeld der FPÖ-Spitze geblickt hat.

Viele Weggefährten des durch die Arbeit des BVT mehrfach verurteilten Neonazis Gottfried Küssel machten in der FPÖ Karriere und fanden sich auch in türkis-blauen Ministerien. Im Jahr 2010 eskalierte eine "Party" mehrerer FPÖ-Mitarbeiter, Küssel tauchte damals auf. Neben einer engen Mitarbeiterin Straches soll auch Reinhard Teufel, Kickls späterer Kabinettschef, zugegen gewesen sein – im U-Ausschuss sagte er, er habe daran keine Erinnerung.

Die Familie Gudenus war, vor allem in Form des verstorbenen Vaters John, mit Küssel verbunden. John Gudenus, selbst wegen Wiederbetätigung verurteilt, sagte über Küssel, man habe einen "anständigen Mann eingelocht".

Die WKStA, die auf die Gudenus-Chats gestoßen ist, übermittelt diese jedenfalls an die Staatsanwaltschaft Wien. Die versucht schon seit Monaten, den Urheber des BVT-Konvoluts zu finden. Auf Anfrage heißt es, dass der Bericht über Gudenus’ SMS zur Kenntnis genommen wurde. Auch in der WKStA tröpfeln die eigentlichen, durch freiheitliche Aktivitäten mitausgelösten Ermittlungen vor sich hin: Fast alle Verfahren wurden eingestellt, zum Rest gibt es einen Vorhabensbericht. (Fabian Schmid, 18.6.2020)