John Bolton befand sich über ein Jahr bei wichtigen Entscheidungen mit US-Präsident Donald Trump im gleichen Raum. Nun packt er in "The Room Where It Happened" spät, aber doch, aus.

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Ein Abendessen in Osaka, wo Japan im Juni vor einem Jahr einen Gipfel der G20 ausrichtete. Es ist die Gelegenheit für Donald Trump und Xi Jinping, vertraulich zu reden, ohne Begleittross, nur mit Dolmetschern an ihrer Seite. John Bolton, damals Nationaler Sicherheitsberater, hat hinterher, offenbar vom US-Übersetzer, erfahren, worum es bei dem Gespräch ging. Nun ist es die Schlüsselepisode eines Memoirenbands, der so viel Brisantes aus erster Hand enthält wie kein anderes Buch über Trumps Wirken im Oval Office.

In Osaka, so Bolton, habe Xi von politischen Kräften in Amerika gesprochen, die einen kalten Krieg mit China ansteuerten. Trump habe dies sofort auf die Demokratische Partei gemünzt und es mit dem Satz bestätigt, dass es unter den Demokraten tatsächlich ein hohes Maß an Feindseligkeit gebe. Dann habe er das Gespräch auf das Präsidentschaftsvotum des November 2020 gelenkt und Xi um Hilfe gebeten. "Er unterstrich die Bedeutung von Bauern und höheren chinesischen Importen von Sojabohnen und Weizen für den Ausgang der Wahl", schreibt Bolton in Anspielung auf die Farmer des Mittleren Westens, für die China ein überaus wichtiger Markt ist.

The Room Where It Happened ist natürlich nicht das erste Buch, das das Innenleben der Regierung Donald Trumps beleuchtet. Bolton aber ist der erste Regierungsmitarbeiter von Rang, der aus dem Nähkästchen plaudert. Im April 2018 holte Trump den Hardliner, der noch kurz zuvor einen Erstschlag gegen Nordkorea empfohlen hatte, als Koordinator der Außen- und Sicherheitspolitik ins Weiße Haus, im September 2019 hat er ihn gefeuert. Bolton sei ein "verbitterter, langweiliger Narr", der von nichts eine Ahnung habe und zur Freude vieler verbannt worden sei, twittert er jetzt, während das Justizressort mit einem Eilantrag versucht, die Veröffentlichung zu blockieren – obwohl viele Zeitungen schon Auszüge druckten.

Pompeo attackiert Trump

Auch US-Außenminister Mike Pompeo griff Bolton am Donnerstagabend an. "Es ist sowohl traurig als auch gefährlich, dass John Boltons letzte öffentliche Rolle die eines Verräters ist, der Amerika Schaden zufügte", schrieb er auf Twitter. Bolton habe das Vertrauen des amerikanischen Volkes in ihn verletzt. Er habe das Buch zwar noch nicht gelesen, so Pompeo weiter. Anhand der Auszüge könne er aber sehen, dass Bolton eine Reihe von "Lügen" und "Halbwahrheiten" verbreite. Mit seiner Zurückweisung von Boltons Darstellungen folgt Pompeo einer Reihe von Mitarbeitern der Trump-Regierung.

Erratischer Stil und "erstaunliche" Wissenslücken

Wie eigentlich alle halbwegs kritischen Autoren, die sich bisher mit Trump beschäftigten, zeichnet Bolton die Skizze eines Präsidenten mit einem erratischen Stil und "erstaunlichen" Wissenslücken. Seinen damaligen Stabschef John Kelly habe Trump einmal gefragt, ob Finnland zu Russland gehöre. Als bei einer Unterredung mit Theresa May, der einstigen britischen Premierministerin, vom Vereinigten Königreich als einer Nuklearmacht gesprochen wurde, habe ihn der Fakt überrascht.

Um das Erratische zu illustrieren, erzählt der Ex-Berater, wie Trump während eines Nato-Gipfels 2018 drauf und dran war, mit einem Ausstieg aus dem Bündnis zu drohen. "Wir werden austreten und jene, die nicht zahlen, nicht verteidigen", habe er Bolton diktiert. Als der ihm das Ultimatum auszureden versuchte, soll Trump entgegnet haben: "Wollen Sie nicht etwas Historisches tun?"

Auch der Insider bestätigt ein Phänomen, das andere längst auf den Punkt gebracht haben: das Phänomen eines US-Präsidenten, der mit Autokraten problemlos einen guten Draht findet, während er mit Demokraten, allen voran Angela Merkel, erkennbar fremdelt. Als Xi Jinping bei besagtem Dinner in Osaka von Internierungslagern sprach, die er errichten lasse, um muslimische Uiguren einzusperren, signalisierte er Einverständnis. Bolton selber saß nicht mit am Tisch, er beruft sich auf einen Dolmetscher, der Trump mit den Worten zitiert, Xi möge die Lager ruhig bauen, das sei "genau das Richtige". Trump dementiert diese Äußerung heute.

Hilfe für Putin und Erdoğan

Dann wäre da noch, von Bolton im vorigen Sommer notiert, eine Bemerkung über Journalisten, die nach Trumps Worten inhaftiert werden sollten, damit sie ihre Quellen preisgeben. "Diese Leute müsste man hinrichten. Das sind Dreckskerle." Da wäre der russische Präsident Wladimir Putin, der den venezolanischen Oppositionsführer Juan Guaidó mit Hillary Clinton verglich, bis heute eine Lieblingsfeindin des Mannes im Oval Office, um die Forderung der USA nach dem Rücktritt des Machthabers Nicolás Maduro aufzuweichen. Recep Tayyip Erdoğan wiederum soll auf offene Ohren gestoßen sein, als er sich für eine Firma seines Landes ins Zeug legte, gegen die Staatsanwälte in Manhattan wegen Verletzung der Iran-Sanktionen ermittelten. Der amerikanische Präsident, fasst Bolton die Signale in Richtung Peking und Ankara zusammen, sei bereit gewesen, die eigene Justiz zu behindern, um "Diktatoren, die er mochte", einen persönlichen Gefallen zu tun.

Über die erste Begegnung mit dem Nordkoreaner Kim Jong-Un, im Juni vor zwei Jahren in Singapur, schreibt Bolton, Trump habe sich kaum für Details der angestrebten Nuklearabrüstung Pjöngjangs interessiert, dafür umso mehr für eine "Übung in Publicity". In den Monaten nach der Gipfelpremiere habe er gesteigerten Wert auf eine symbolische Geste gelegt: Sein Außenminister Mike Pompeo sollte Kim eine signierte CD mit Elton Johns "Rocket Man" überbringen, nachdem er selber den Diktator eine Zeit lang als kleinen Raketenmann verspottet hatte. Kim die CD zukommen zu lassen sei monatelang höchste Priorität gewesen, lautet der trockene Kommentar des Memoirenschreibers.

Schließlich das Amtsenthebungsverfahren, in dessen Verlauf Bolton als Kronzeuge vorgeladen werden sollte, was die republikanische Mehrheit im Senat allerdings abblockte. Bolton übt pointierte Kritik an den Demokraten, die sich ganz auf Trumps Versuch konzentrierten, die Ukraine durch das Zurückhalten von Militärhilfe zu Nachforschungen gegen seinen Rivalen Joe Biden zu bringen. Hätten sie nicht so auf Eile gedrängt, hätten sie es nicht allein auf die Ukraine beschränkt, sondern ähnlich gelagerte Fälle in China und der Türkei mit einbezogen, hätten sie womöglich eher Erfolg gehabt. (Frank Herrmann, 18.6.2020)